Regnerisch und blutig – es ist ein Jammer! Unerklärliche Todesfälle und Verrücktheit in dem dunkelschwarzen Horrorfilm „Wailing“ aus Südkorea

Ein koreanischer Pavillon: Gabriele-Tergit-Promenade am Potsdamer Platz in Berlin. Drei Sektoren trafen sich in unmittelbarer Nähe. Korea ist immer noch geteilt. © Foto/BU: Andreas Hagemoser, 2017

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Bisher war es doch so: Das Leben ging seinen Gang, bei Krankheit sind die Ärzte zuständig, für das Seelenheil ein Priester der Wahl. In Sibirien, Lateinamerika und Korea, wenn etwas Unerklärliches passierte, schonmal der Schamane.
Der Film „Wailing“ (sprich: Wejling, zu deutsch ‚Wehklagen‘) zerstört jede Hoffnung auf irgendeine Ordnung und der Hauptdarsteller ist auch noch der Chef der Dorfpolizei. Er wohnt mit Frau und Tochter in einem Dreigenerationenanwesen; die einzelnen Häuser gruppieren sich um einen ländlich wirkenden Hof. Das Regenwasser tropft von der Dachkante, die Traufe ist voll, die Regentonne ebenfalls, der Hof ertrinkt im Matsch. Dennoch sind wir in der Jetztzeit der Autos und Handys. Die Untertitel verraten, wer anruft, ganz banal: „Ehefrau“, „Schamane“.

Im Land der Ginsengzüchter und Sofortbildkameras

Zunächst wähnt man sich noch in einem Krimi. Die Frau des Ginsengzüchters sei gestorben, der Polizist wird aus dem Schlaf geholt. Die älteste Generarion überredet dann doch dazu, erstmal noch im Trockenen etwas zu essen. Die Todesfälle häufen sich dann jedoch und die bestialischen Umstände erschrecken. Ein hässlicher Ausschlag befällt die Opfer, die zudem vorher noch mit einer Minolta und einem altmodischen Blitzlicht photographiert werden. Sofortbilder. Dazu Symbole: Tierköpfe und anderes.

Klärt der kleine Polizist den Fall auf?

Man kann am Anfang vermuten, dass der etwas trottelige und einfach scheinende Tolpatsch von Polizist mit vier Sternen sich zur klugen Nummer 2 entwickelt, die am Ende alles aufklärt. Denn seine Kollegen haben zwar einen herrschsüchtigen Befehlston am Leib, scheinen aber alle nicht die hellsten zu sein und schreckhaft sind sie auch noch.
Oder soll der in diesem Streifen erzeugte Horror noch dadurch verstärkt werden, dass mutige Beamte zu Tode erschrecken, vor Entsetzen schreien, umfallen und zurückweichen?
Über zwei Stunden zieht sich die Angelegenheit, doch Aufklärung erhält auch der Ausharrende nicht. Immer mehr Opfer verenden grausam und blutverschmiert, gehen vorher auf die Umstehenden los.

Am Ende erreichen die Dämonen das Anwesen des Polizeichefs und die Sympathie des Publikums bangt besonders um die jüngste der drei Frauen aus der Familie der Hauptfigur: Das entzückende kleine Mädchen. Krankheit und Rettung wechseln sich ab, Stimmungsschwankungen und unglaubliche Beleidigungen der Eltern, zudem im höflichen Korea.

Motive, bei denen man es mit der Angst bekommt

Außer Unterwasseraufnahmen finden sich in diesem Genrefilm fast alle denkbaren Schreckensmotive, in denen Menschen Angst haben:
Der dunkle Wald. Abgründe. Nacht. Dunkelheit im Gewitter. Sogar auf der Polizeiwache fällt der Strom aus.
Dunkle Tunnel, ein Bergwerksstollen.
Losgelassene bissige Hunde.
Eine Unzahl Falter auf der Windschutzscheibe, die in Sekunden die Sicht trotz Scheibenwischers die versperren. Das Verlieren der Kontrolle über das eigene Fahrzeug. Die Angst der Mitfahrer, die dem hilflos ausgeliefert sind.

Lynchmordbanden. Feuer. Verrücktheit, Wahnsinn, Besessenheit. Teufel und Dämonen.

Japan und Korea

Speziell koreanisch: Der japanische Vergewaltiger.
Das ist eine Reminiszenz an die Zeit der Besetzung durch japanische Truppen. Im Zweiten Weltkrieg, der in Ostasien schon 1937 begann und nach mehrfachem Atombombenabwurf erst endete, als in Europa schon monatelang Frieden herrschte, besetzte das japanische Kaiserreich eine großasiatische „Wohlstandssphäre“, die grobgesagt die östliche Hälfte Asiens und die westliche des Stillen Ozeans einnahm.
Aufgrund der geographischen Lage als Halbinsel zwischen China und Japan war Korea gleich am Anfang betroffen und fast bis zum Ende. Der Koreakrieg kurze Zeit später war eine Folge. (Auch Tsushima übrigens, Ort des Sieges japanisch-kaiserlicher Marine über eine russisch-zaristische Armada, ist eine koreanische Insel im Süden.)
Die weitverstreuten japanischen Truppen, Männer, waren teils jahrelang von ihren Freundinnen, Verlobten und Ehefrauen getrennt. Zehntausende Koreanerinnen dienten als „Trostfrauen“ und Zwangsprostituierte. Der Japaner im Film ist also nicht einfach irgendwer, nicht irgendein Tourist aus irgendeinem Nachbarland.

Bitte keinen Kriminalfilm erwarten, obwohl es sich nebenbei um einen handelt.
Wer aber düstere, blutige Streifen mit (halb?-) satanischen Symbolen liebt, der kommt voll auf seine Kosten.

Ein Schamane tanzt wie ein Rockstar

Die schauspielerischen Leistungen sind gut bis sehr gut. Der Schamane – „Es ist der beste“, raunte die Alte – tanzt bei der Geisteraustreibung wie ein Rockstar, dass die Funken sprühen.

Das kleine Mädchen entzückend und der gut gecastete Polizist ein bisschen Dick und Doof in einer Person.

Alle, die sich vor Blut oder Geschwüren ekeln oder jeden Sonntag in die Kirche gehen, seien dagegen gewarnt.

Sonnenuntergang am Fluss

Was bleibt Positives (abgesehen von der filmisch guten Umsetzung des Bösen?)
Atmosphärische Landschaftsaufnahmen aus Korea.

Falls mit Nord-Korea und dem großen Land auf der anderen Seite des nördlichen Pazifiks etwas schiefginge – aus dem Ego oder der Eitelkeit der Herrscher heraus, Selbstüberschätzung, Missverständnissen oder warum auch immer – und das Land (atomar?) verwüstet würde, wäre der Süden der Halbinsel selbstverständlich stark betroffen, vielleicht kaum noch bewohnbar. Zumindest würden Fallout oder Ähnliches diese Erdgegend auf Jahrhunderte hinaus ruinieren und die Lebensqualität stark mindern. Hautausschläge wie im Film könnten dann tatsächlich auftreten.
Dann hätte man in diesem Streifen einige Bilder verewigt, wie es „damals“ in der Natur war. Dem ‚Damals‘, das jetzt ist.

Dennoch, wenn man nur ins Kino geht, um die schöne Landschaft auf der großen Leinwand zu sehen, ist man im falschen Film. Den Rest wird man kaum „übersehen“ können.
Ein Film, der es nach Cannes geschafft hat
Regisseur Na Hong-jins Werk wurde 2016 bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes im Rahmen des offiziellen Programms gezeigt.

Ein Filmtitel wie aus dem Chinesischen

Ein Wort noch zum Titel, unabhängig von der Bedeutung, rein phonetisch betrachtet: „Wailing“ ist in seiner Zweisilbigkeit ein genial gewähltes Wort, um den Filmtitel auch in der Nähe des Drehortes, in Ostasien zu bewerben. Beide Silben gibt es im Chinesischen (in Hanyu Pinyin „wei“ und „ling“ geschrieben). Der Titel, ob man ihn nun versteht oder nicht, ist leicht auszusprechen.

Selbst falsch ausgesprochen „wai-ling“ wäre er noch verständlich und die Silbe „wai“ ist auch eine Chinesische, sie bedeutet unter anderem „fremd, außen“ wie in dem Wort für Ausland.

Spoiler

Inhalt: Eine Reihe bestialische Übergriffe und grausamer Morden erschüttert ein Dorf in Südkorea. Scheinbar grundlos greifen sich Nachbarn brutal an. Der Dorfpolizist Jong-gu bemüht sich um Aufklärung, doch es gibt keine erkennbare Erklärung für die Gewaltwelle. Die Gerüchteküche brodelt. Es wird gemunkelt, dass ein japanischer Eigenbrödler, der seit kurzem am Waldrand haust, hinter der Mordserie stecke. Die Lage eskaliert dann immer weiter: eine dämonische Macht ergreift von der Polizistentochter Besitz. Um sie zu retten, setzt Jong-gu auf die Hilfe eines Schamanen und entfesselt dabei unabsichtlich die Macht des Bösen noch mehr …
„THE Wailing – Die Besessenen“ „erhebt das Genre-Kino zu einer wahren Kunst“, so Screen Anarchy. Nervenaufreibend. Nicht für Zartbesaitete.

Filmdaten: Cast

„The Wailing – Die Besessenen“. Originaltitel: „GOKSUNG“.
Ein Film von Na Hong-Jin.
Mit:
Kwak Do-Won,
Hwang Jung-Min,
Jun Kunimura,
Chun Woo-Hee,
Kim Hwan-Hee u.a.

Start: Bundesweit ab 12. Oktober 2017 im Kino.

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