Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Handgezogene Nudeln – im Jade-Palast – na und? Nudeln sind doch nicht so etwas besonderes? Sogar Junggesellen können sich, eine Kochstelle, frisches Wasser und Strom/ Gas/ Feuer vorausgesetzt, doch schnell eine warme Mahlzeit zaubern? Aber sie können sich nicht showreif in Charlottenburg in eine offene Küche stellen und Nudeln von Hand ziehen!
Dabei werden eigentlich nicht die Nudeln gezogen. Die Nudeln gibt es vorher ja nicht, sondern nur ein Stück Teig. Dieser wird mit einer bestimmten, lange geübten Technik kunstvoll auseinandergezogen und durch die Luft gewirbelt, so dass man sich fast bei den Gauklern des „Palazzos“ wähnt.
Für die, für die Strom aus der Steckdose kommt und Milch von Netto, kommen Nudeln wohl aus der Packung. Aber irgendjemand oder eine Maschine muss sie ja herstellen.
Während manche Inder sich nur von Mitgliedern der eigenen Familie oder Religion etwas kochen lassen, weil sie den Wert des Essens begriffen haben, weichen andere aus demselben Grund notfalls auf industriell Gefertigtes aus. Deshalb gibt es in Indien die Dabba-Wallas, die das am Vormittag in der Familie zubereitete Essen mit dem Fahrrad zur Arbeitsstelle der anderen Familienmitglieder bringen.
Wer einfach essen will, warum keine handgezogenen Nudeln im Jade-Palast? Wir sind fast satt geworden und hatten dann keine Zeit mehr. Außerdem wollten wir den Tisch freimachen für die Wartenden. Es gab u.a. „Rinderhesse“ in einem Teller Suppe. Aber wir sind ja keine Kannibalen. Wir essen ja keinen Hessen! Am gesündesten sind wohl die Beilagen – Gemüse – und der leckere Tee. Das ist alles alkoholfrei und fleischfrei.
Wie komme ich an handgezogene Nudeln im Jade-Palast in Charlottenburg in Berlin?
Geld mitnehmen. Bargeld lacht.
Mit dem Auto in ein Parkhaus an der Wilmersdorfer Straße fahren. Parkplätze gibt es gegenüber vom Kant-Kino kaum. Nicht nur das Haus mit dem Eckrestaurant Jade-Palast an der Südwestecke Kantstraße und Krumme Straße ist eine Baustelle mit Gerüst zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels, sondern ganz Berlin. Zurzeit besonders. Auch wenn die systematische, vom Senat gelenkte Parkplatzvernichtung durch Fahrradparkplätze auf der Fahrbahn, Sitzgelegenheiten neben Abgasen und Lärm, die niemand nutzen möchte, Ladestationen und und und sich verlangsamt hat oder gar zum Stillstand kam nach der diesjährigen Wahl zum Abgeordnetenhaus und der anschließenden CDU-SPD Machtübernahme im Senat unter Kai Wegners Leitung – überall in Berlin gibt es im Sommer und Herbst Tiefbaustellen. Meist werden gar nicht so tief Glasfaserkabel verlegt, damit nicht nur Handys mit 5G funktionieren, sondern auch Rechner u.a. Dem Hochbau wurde durch Heizungsgesetz, hohe Zinsen und schlechte Wirtschaftslage bei gleichzeitigen Preiserhöhungen ja der Stecker gezogen.
Gezogen werden seit Juli 2023 die Nudeln. Von Hand. Ganz analog statt digital. Sogar das Bezahlen läuft seit Eröffnung bar, weil das komplizierte und für die Gastronomie teure Zahlen mit Karten, Plastik und Handys erst von einem Techniker eingerichtet werden muss. Das dauert. Techniker fehlen genau wie Busfahrer und Bäcker. Ein neuer Nudelbäcker ist aber jetzt vor Ort. Deutsch kann er nicht und wer nicht chinesisch kann, wird wohl verbal mit dem Chef nicht kommunizieren können. Dafür ist er ein Strippenzieher.
Die Schlange. Das Essen. Die kleine Karte – handgezogene Nudeln im Jade-Palast
Von einem Koch erwarte ich, dass er gut kochen kann. Das kann er wohl, denn die Leute stehen schon draußen Schlange und auch während des Essens weist mich der Sitznachbar am engen Tisch darauf hin. „Die stehen Schlange“, sagt er. Und dann nochmal, weil er es wohl selbst kaum glauben kann, obwohl das Restaurant schon vollbesetzt ist: „Die stehen wirklich Schlange!“
Auf der Speisekarte stehen vier Gerichte in verschiedenen Variationen. Am interessantesten klingt das „betrunkene“ Huhn. Nicht, dass es den Suff nicht überlebt hätte. Aber es war zum Zeitpunkt unseres Besuchs der einzige verfügbare Alkohol, da so kurz nach der Eröffnung noch keine Schanklizenz vorlag. Zudem im Sommer, wo alle außer uns im Urlaub waren und in Berlin alles noch länger dauert als sowieso schon. Entfernungen, Arbeitsmoral, Zahlungsmoral.
Das Essen war heiß, frisch und lecker. Wir bevorzugen eine kleine Speisekarte. Die im Jade-Palast passt auf ein laminiertes Blatt. Die Rückseite ist unbedruckt. Super.
Das hat den Vorteil, dass das, was serviert wird, wirklich gut sein muss. Sonst käme ja keiner. Und deshalb ist auch alles frischer. Die Lagerhaltung ist einfacher und braucht weniger Platz. Im Idealfall wirkt sich das günstig auf die Preise aus. (Weil weniger Platz gebraucht wird, ist das Ladenlokal kleiner und die Miete niedriger. Auch werden weniger Eisschränke benötigt.) Leider sind die Preise, seit dem im Frühjahr 2022 die Inflation ausgerufen wurde, eigentlich überall zu hoch. Die Statistik weiß, dass im Juli 2023 der Umsatz in der Gastronomie Deutschlands zurückging. Wenigstens hier rollt der Rubel, denn die Hütte ist voll.
Wo kommen die Nudeln her, wo bereitet man sie so zu?
In Mittelasien, Nordasien und Ostasien, vor allem in den sich überlappenden Gebieten, sind handzogene Nudeln weit verbreitet. Auf den Ostasien östlich vorgelagerten Großinseln, in Japan also, gibt es Ramen. Die Uiguren, die meist in der zurzeit zur Volksrepublik China gehörenden Provinz Sinkiang wohnen, verspeisen sie regelmäßig.
In Kirgistan und Usbekistan gibt es das Nationalgericht Lagman oder Lachman; in China heißt das 拉面, gesprochen [Laa-Miän!], das „La“ wird dabei hoch gesprochen, die beiden Silben gleichlang. In der VR-chinesischen Umschrift in lateinische Buchstaben sieht das so aus: Lamiàn, genauer lāmiàn.
Es kommt darauf an, das die Nudeln nicht einfach aus einem Fladen herausgeschnitten werden, sondern ein Teigstück in die Länge gezogen wird, so dass Nudeln entstehen.
Ein Grundnahrungsmittel und Gericht im Reich der Mitte, dem drittgrößten Land der Welt, sind Gansu Lanzhou lamian, 甘肃兰州拉面. Das sind handgezogene Nudeln (lamian) aus Lanzhou, Provinz Gansu. Aber auch bei Völkern der Russländischen Föderation, vor allem in Sibirien, im asiatischen Teil Russlands und bei den in Moskau und Sankt Petersburg lebenden Kirgisen, Tadschiken, Usbeken und Kasachen gibt es eine Vorliebe dafür. Und natürlich in Mittelasien selbst, dass seit dem Zerfall der Sowjetunion durch den Putsch gegen Gorbatschow u.a. aus fünf teils ineinander verflochtenen Staaten besteht.
China liegt auf demselben Doppelkontinent Eurasien wie Deutschland, nur auf der anderen Seite. Dieser Kontinent ist der größte auf der Erde. Die Entfernung ist weit – und dann gibt es ja auch noch die Grenzen, die zu überwinden sind, man braucht ein Visum, Geld und viel Zeit.
Da empfehlen wir als einfache Alternative in Deutschland handgezogene Nudeln im Jade-Palast in Charlottenburg Nähe Wilmersdorfer Straße (Fußgängerzone).
Anfahrt zum Jade-Palast mit dem ÖPNV
Zum Charlottenburger Chinarestaurant Jadepalast Kantstraße Ecke Krumme Straße kommt man am besten mit dem Bus M49, X34, X49 und 139 bis U-Bahnhof Wilmersdorfer Straße, dann einen Block genau nach Osten die Kantstaße entlang.
Es gibt einen S- und Fernbahnhof Berlin-Charlottenburg in der Nähe, wo die Regionalbahn hält und die Linien S5, S7 von Potsdam, S75 und S9 vom Flughafen Schönefeld bzw. BER. Vor dem Hauptgebäude des Charlottenburger Bahnhofs an der Stadtbahnstrecke fährt auch noch die Buslinie 109, die Zoo und Kurfürstendamm mit dem Flughafen Tegel TXL verband.
Den Bahnsteig verlässt man sinnvollerweise gen Osten, wo sich auch Fahrstühle befinden.
Der U-Bahnhof Wilmersdorfer Straße liegt an der U7 Spandau-Rudow, der längsten U-Bahnlinie Deutschlands, die bringt einen zu der Einkaufsmeile der Stadt. Wenn man das Geld für den Ku’damm nicht hat.
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