Strawinsky an der Staatsoper Berlin Unter den Linden

Petruschkar. © Staatsballett Berlin, Foto: Yan Revazov, Aufnahme: Berlin, 2023

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Strawinsky at it’s best vor ausverkauftem Haus der Staatsoper Berlin Unter den Linden. Gleich zwei berühmte Choreografien interpretieren zwei der teils erfolgreichen, teils skandalumwitterten Ballette Strawinskys, die seit ihrer Uraufführung in Paris (Petruschka 1911 und Sacre du Printemps 1913) von Choreographen wie Martha Graham, Maurice Bejart, Pina Bausch und vielen anderen international renommierten Choreografen gestaltet wurden.

Petruschka

Meisterhaft choreografiert von Marco Goecke, der dieses für das Ballett Zürich interpretierte.

Kurze Skizzierung des Librettos, geschrieben von Strawinsky und Alexander Benois.

Es handelt sich um eine Burleske in 4 Akten, ein Volksfest in der Fastnachtswoche im Jahr 1830. Die Protagonisten sind drei Puppen eines Puppenspielers, die plötzlich lebendig werden: Petruschka (Kaspar), die Ballerina und der Mohr.

Zur Inszenierung: die Bühne ist minimalistisch, kein Dekor, lediglich schwarzer Fußboden und ein schwarzer Fond, mittig geteilt durch einen Vorhang. Dem Bühnenbild wird durch leichten Nebel und Leuchtstrahlen von oben eine geheimnisvolle Mystik verliehen. (Bühne und Kostüme Michaela Springer)

Wie in Worte fassen, was als Meisterleistung der Tänzer und Tänzerinnen des Staatsballetts Berlin präsentiert wurde, die alle in spartanischen Kostümen tanzten, mit Oberkörper Nackt bzw. Nude-Look bei den Tänzerinnen und lange schwarze, weite Hosen. Es gibt unendlich viele Bewegungsarten im (modernen) Ballett – an diesem Abend wurde aus diesem Repertoire reich geschöpft und bravourös präsentiert!

Petruschka (Alexandre Cagnat) kommt auf die Bühne mit zuckenden, phantasievollen Stakkatobewegungen, sein tänzerisches Können voll fordernd, fünf männliche Tänzer kommen hinzu mit vielen filigranen Arm- und Handbewegungen unter Beteiligung von Rumpf und Schultern. 3 Tänzerinnen kommen hinzu – die Spannung steigert sich durch Strawinskys Musik, fabelhaft gspielt von der Staatskapelle Berlin unter der Leitung von Giuseppe Mentuccia.

Skuril ist zwischendurch ein pantomimenhaftes Öffnen der Münder und kurze Schreie bei minimalen Bewegungen.

Die Ballerina (Alizée Sicre) tritt auf und ein pas de deux folgt – ebenfalls mit diesen ausgeklügelten Stakkatobewegungen zum Takt der Musik.

Der Mohr/Rivale (David Soares) tritt auf, sehr elegant und tanzt ebenfalls ein pas de deux mit der Ballerina, sich spielerisch neckend in dieser sehr ausgeklügelten detailreichen Choreografie. Petruschka beobachtet sie im Hintergrund. Es folgt ein tänzerisch ausgetragener Streit mit wildem Gestikulieren, fast ein Kampf. Es folgt ein Solo der Ballerina, ein Hochgenuß es anzuschauen bei inzwischen lieblicher Musik. Weitere Soli folgen von Ballettmitgliedern, die Präzisionsarbeit und hohes tänzerisches Können zeigen.

Leider muss Petruschka am Ende von des Rivalen Hand sterben – er tritt solo auf mit Rüschenkranz um den Hals und schwarz geschminkten Augen, Harlekinhosen und Lockenkopf. Er sagt laut: „Ich glaube, es geht mir ganz gut heute!“ und fällt tot um. Der Puppenspieler und seine Truppe kommt hinter dem Vorhang hervor, sie stehen in einer Reihe und sondern allesamt gleichzeitig ein lautes „Ah!“ ab, als sie den toten Petruschka auf dem Boden liegend sehen. Sie ziehen ihn zur Seite. Der Geist Petruschkas erscheint, laut zähneklappernd mit einem künstlichen weißen Gebiss, was Belustigung beim Publikum auslöst, welches die Aufführung mit minutenlangem Applaus goutiert.

Frühlingsopfer. © Staatsballett Berlin, Foto: Yan Revazov, Aufnahme: Berlin, 2023

Frühlingsopfer – Sacre du Printemps

Dieses bei seiner Uraufführung 1913 in Paris gleich von Skandalen begleitete Werk Strawinskys ist wohl das bekannteste. Das Staatsballett Berlin tanzt die einzigartige Choreografie der berühmten, 2009 verstorbenen Wuppertaler Tänzerin, Choreografin, Tanzpädagogin und Ballettdirektorin Pina Bausch, eine Ikone der internationalen Tanzszene, der Regisseur Wim Wenders ein Denkmal setzte mit seiner Tanzfilm-Dokumentation „Pina“.

Gleich zu Beginn Außergewöhnliches: in der 35-minütigen Pause haben MitarbeiterInnen den Bühnenboden mit Torf bedeckt und rechen ihn glatt. Ja, auf Torf müssen die TänzerInnen mit nackten Füßen tanzen – was eine zusätzliche Kraftanstrengung bedeutet! Der Torf symbolisiert die Anbetung der Erde, welches dem Opferfest zugrunde liegt.

Die Bühne ist erneut leer, ohne Dekor, auch die Wände kahl und schwarz. (Bühne und Kostüm: Rolf Borzik).

Die Handlung stellt ein heidnisches Ritual in Rußland dar, bei dem eine von alten Männern ausgewählte Jungfrau dem Frühlingsgott geopfert wird. (Machismo läßt grüßen, die Autorin). Sie tanzt sich zu Tode in einem Ritual.

Die Idee dazu kam Strawinsky als er sein Ballett „Feuervogel“ schrieb.

Auf der Bühne liegt eine junge Frau auf dem Torfboden auf einem roten Kleid. Weitere barfüßige Tänzerinnen wehen herein in Ausdrucktanz in diesen für Pina Bausch typischen langen, weiten, wallenden Kleidern in Alt-Rosa, die durchscheinend sind, so dass die BH-lose Brust zu sehen ist.

Auch sie legen sich auf den Boden. Immer mehr behende TänzerInnen „schweben“ herein, alle entsetzt still stehend vor dem roten Kleid auf dem Boden. Zu Strawinskys Sacre-Musik finden sie sich zur eng stehenden Gruppe zusammen, die Hände gehen nach oben und nach unten, schrille Trompetentöne, schütteln, drehen, Ekstase, Tänzer kommen hinzu (nackte Oberkörper, schwarze lange Hosen) – alle tanzen heftig, für’s Publikum hörbar, atmend. Die ganze Gruppe tanzt ekstatisch passend zur Musik. Das rote Kleid wird von einer zur anderen weitergereicht -wie eine heiße Kartoffel – denn es soll eine von ihnen geopfert werden. Ein Tänzer scheint die Auswahl treffen zu müssen, eine Tänzerin nach der anderen löst sich aus der Gruppe mit dem roten Kleid in der Hand auf den Tänzer zu, schreckt und läuft zurück. Sie tanzen im Kreis, die Musik ist maschinenartig, das rote Kleid in der Mitte auf dem Boden – es sieht aus wie ein Initiationstanz. Die Musik wird bedrohlich, wildes Laufen im Kreis, abrupter Stillstand. Die Tänzer tanzen, eine der Frauen wird ausgesondert, während die anderen wie Elfen tanzen. Zu martialischer Musik tanzen die Tänzer. Die Musik wird immer wilder. Ca. 10 (?) Tänzer setzen sich in einen Zirkel während (20?) Tänzerinnen rhythmisch, wild und dynamisch in der Gruppe tanzen. Abrupter Stillstand, alle total außer Atem, ihr Keuchen ist vom Publikum zu hören. Die TänzerInnen sind alle „klitschnaß“ geschwitzt – kein Wunder nach einem solch fordernden körperlichen Einsatz.

Ein Tänzer legt sich auf das rote Kleid am Boden – alle anderen tanzen wild und „außer Rand und Band“ ungeordnet über die Bühne, die Tänzerinnen bekommen Zuckungen, die Musik wird stakkatoartig, dann plötzlicher Stillstand (auch die Musik pausiert). Einer Tänzerin wird schließlich das rote Kleid angezogen, welches eine Brust freigibt, ein ekstatischer Tanz folgt zu ekstatischer Musik. To cut a long story short: das „Opfer“ tanzt in wildem Aufbegehren einen Verzweiflungstanz, während die ganze Gruppe wie hypnotisiert entsetzt zuschaut. Sie rennt verzweifelt von einem zum anderen, bäumt sich auf – der Spannungsbogen nimmt unermüdlich zu, immer wilder und ekstatischer wird die Musik, immer dramatischer, Pauken, Trompeten, Ekstase, dann wieder totaler abrupter Stillstand.

Das „Frühlingsopfer“ fällt tot zu Boden!

Das Publikum ist begeistert, minutenlanger Applaus, Begeisterungsrufe und stehende Ovationen folgen für das gesamte Ensemble, das Staatsballett Berlin, die Staatskapelle Berlin und alle, die diese legendäre Choreografie der verstorbenen Pina Bausch 2023 in Szene setzten!

Dieser Ballett-Abend – ein Hochgenuß – nicht nur für alle Ballett und Strawinsky-Liebhaber!

105 Minuten inkl. 1 Pause

Weitere Termine:

  • Mittwoch, 14.6.2023
  • Freitag, 16.6.2023
  • Mittwoch, 21.6.2023
  • Samstag, 24.6.2023

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