Tragödie antiken Ausmaßes – “Madama Butterfly” in der Oper Bonn

© Foto: Thilo Beu

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Bis heute ist ungeklärt, warum „Madama Butterfly“, das Paradestück in Giacomo Puccinis Opernschaffen, bei seiner Uraufführung so gnadenlos durchfiel und zunächst nichts als puren Spott erntete. War es das im Libretto von Luigi Illica und Giuseppe Giacosa nach dem Drama von David Belasco zelebrierte Zusammentreffen west-östlicher Kulturen, die hier in ungewohnter Direktheit unvermittelt aufeinander prallten? Oder doch eher die vom Stück durchbuchstabierte menschliche Niedertracht in der Dimension antiker Tragödien, die dem Premierenpublikum der Mailänder Scala im Jahre 1904 Probleme bereitete.

Emotionale Verdichtung

Bis heute entfaltet sich in dem Meisterwerk Puccinis das nur schwer zu ertragende Scheitern einer Beziehung, in die sich der US-amerikanische Marineleutnant B.F. Pinkerton (George Oniani) und die blutjunge Geisha Cio-Cio-San, genannt „Madama Butterfly“ (Yannick-Muriel Noah) hinein stürzen.
Diese zeigt sich kompromissbereit, ja selbst zur Aufgabe ihrer gesellschaftlichen und religiösen Wurzeln bereit. Er hingegen ein Spieler mit eher unehrenvollen Absichten, der nicht bereit ist, die schwer wiegenden Bedenken seines Landsmanns Konsul Sharpless (Giorgos Kanaris) zur Kenntnis zu nehmen.

Und dennoch verfügt die Beziehung des Paares über ein Gefühlspotenzial, das vor ihrer Vereinigung am Ende des ersten Aktes in dem Liebesduett „Vogliatemi bene, un bene piccolino“ aufflackert. Und das auf Augenhöhe in geradezu abgehobener Schönheit und hoher emotionaler Verdichtung den hingebungsvollen Höhepunkt ihrer Liebe markiert. Umso einschneidender der sich unmittelbar anschließende tiefe menschliche Einschnitt, den Pinkerton mit seiner dreijährigen Abwesenheit heraufbeschwört, ohne sich seiner Frau gegenüber mit dem erforderlichen und angemessenem Respekt zu erklären.

Emotionale Vielschichtigkeit

Allein das Auskosten dieser langen Wartephase („Un bel di vedremo“), in die mit schauspielerischem Talent auch der kleine Sohn einbezogen wird (Carl Koch), verdeutlicht die durch und durch gelungene Inszenierung durch Mark Daniel Hirsch. Denn ihm gelingt es, die im Werk angelegte kulturelle und emotionale Vielschichtigkeit minutiös herauszuarbeiten. Durch die sich deutlich voneinander abhebenden historisch korrekten japanischen und westlichen Kostüme (Dieter Hauber) bis hin zum Bühnenbild (Helmut Stürmer), bei dem durch einfaches Verschieben japanischer Wandeinheiten bei wechselnder Ausleuchtung (Max Karbe) neue Räumlichkeiten entstehen.

Großartig während der strapaziös sich ausdehnenden Wartezeit auch Cio-Cio-Sans Gefährtin Suzuki (Susanne Blattert). Sie hat das herabwürdigende Spiel Pinkertons längst durchschaut, ohne jedoch mit dieser schmerzvollen Wahrheit den Hoffnungspanzer zerstören zu können, in den sich die liebend Leidende von Anfang an hineingezwängt hat. Erst als Pinkerton, wenn auch reumütig, zurück kommt („Addio, fiorito asil“), um in Begleitung seiner neuen Frau Kate (Kathrin Leidig) den gemeinsamen Sohn einzufordern, geht für die Betrogene kein Weg mehr an einem ehrenhaften Selbstmord vorbei.

Musikalisches Ausloten

Einfühlsam loten das Beethoven Orchester Bonn sowie der Chor des Theater Bonn unter der musikalischen Leitung von Stephan Zilias die im Werk angelegten Stimmungen aus. In einer durchweg spannungsgeladenen und zugleich kurzweiligen Inszenierung, die bis in die Nebenrollen hinein überzeugt: Jonghoon You als schlitzohriger Heiratsvermittler Goro, Priit Vomer als rächender Onkel Bonzo, Johannes Mertes als heiratswilliger Fürst Yamadori. Dazu Daniel Pannermayr als Kaiserlicher Kommissar sowie die Familienangehörigen Ji Young Mennekes als Mutter, Ulrike Gmeiner als Tante sowie Jeannette Katzer als Base.

Damit ist der frenetische Beifall des Bonner Premierenpublikums vorprogrammiert und steht in diametralem Gegensatz zu der nur schwer nachvollziehbaren Reaktion des Mailänder Premierenpublikums vor mehr als hundert Jahren.

Weitere Aufführungen: 29. April, 8., 14., 28., 31., Mai, 1., 5., 11., 17., 26., 30. Juni 2016

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