Was mit Afrika in der Völklinger Hütte – Zur Ausstellung „The true size of Africa“

THE TRUE SIZE OF AFRICA, Ausstellungsansicht Roméo Mivekannin, The Souls of Black Folk, 2020 © Hans-Georg Merkel / Weltkulturerbe Völklinger Hütte

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Die Völklinger Hütte, seit 30 Jahren UNESCO-Weltkulturerbe, feiert weiterhin große Erfolge mit seinem kulturellen und Ausstellungsprogramm und ist ein wahrer Publikumsmagnet. Auch die aktuelle Ausstellung zum Thema Afrika sollten Touristen unbedingt mit auf ihre To-Do-Liste setzen. Eine absolut gelungene, vollumfängliche, sehr kreative Darstellung zwischen Maschinen und Schwungrädern der Industriemoderne mit Videos, Portraits, Schautafeln, Kulturgeschichte und Gegenwartskunst, Klanginstallationen und vielem anderem mehr möchte sein.

Wie wäre es also mit der „The true size of Africa“ genannten Ausstellung, die am 9.11.2024 begann und noch bis 17.8.2025 gezeigt werden soll. In dieser Ausstellung über Afrika – durch die Hölle von Kolonialismus und Sklavenhandel gegangen, deren Folgen sich bis heute zeigen – wird auch das Potential der Gegenwart und Zukunft des Kontinents gezeigt.

Die imposante Hütte reckt ihre riesigen rostigen Rohre, Schornsteine, Gebäude und Türme in die Luft, die einst nicht atembar war vor lauter abgesondertem Ruß und Staub. Sie ist an sich schon ein sehr interessanter, beeindruckender Ort – ein Zeugnis der Industriekultur. Wo ehemals Stahlarbeiter unter Lebensgefahr an Hochöfen arbeiteten, wird in dem riesigen Gelände nun ein Kulturevent nach dem anderen präsentiert – ein Höhepunkt jagt den anderen!

Der Publikumseingang ist neu im imponierenden Wasserhochbehälter und führt über den riesigen Parkplatz in die eindrucksvolle Gebläsehalle.

Der Ausstellungsparcours reicht diesmal erstmals, der Größe des Themas angemessen, vom Pumpenhaus über die Gebläsehalle, Verdichterhalle und Sinteranlage bis hin zur Erzhalle. Seine Themen: „Jenseits der Mercator-Karte / Afrika, Wiege der Menschheit / Altes Ägypten: Religion und Kultur / Mittelalterliche Königreiche in Afrika / Schwarz im 18. Jahrhundert / Früher Kolonialismus: Mission und Militär / Kongokonferenz in Berlin, 1884/85 / Erste Panafrikanische Konferenz in London, 1900 / Kolonialmacht Deutschland / Koloniales Saarland / Erinnerungspolitik und Denkmalsstürze: Daressalam, Hamburg, Kapstadt, Bristol / Kolonialhelden, Kolonialverbrecher / Nach dem Ersten Weltkrieg: „Die schwarze Schmach“ / Vor dem Zweiten Weltkrieg: Das Wiedererwachen des Kolonialismus in Deutschland / Wege des Panafrikanismus: Marcus Garvey, Haile Selassie, Bob Marley / 1960: Das Jahr der Unabhängigkeit / Struktureller Rassismus: James Baldwin, Angela Davis / Migrant im Feuer: Samuel Yeboah / Grüße aus Afrika / Queere Kultur / Musik und Tanz: afroglobal.“

Mercator-Projektion

The true size of Africa – dieser Titel wird den Besuchern schon gleich beim Eintritt in die riesige Gebläsehalle an Videoschautafeln erläutert: der Kontinent Afrika wird zu klein dargestellt.

Ursächlich ist die sogenannte Mercator-Projektion, die Oberfläche der Erdkugel verzerrt darstellt. Die Größenverhältnisse am Äquator sind korrekt wieder gegeben werden, jedoch entsteht eine Verzerrung je näher sich den Polen genähert wird.

Die Afrikaner beklagen, dass Afrika auf den Karten zu klein dargestellt wird – ein kränkendes Sinnbild für die nicht ausreichende Wertschätzung des Kontinents seit Anbeginn der Invasion der Europäer! In den Kontinent Afrika lassen sich andere Kontinente hinein projizieren bei korrekter Darstellung – sehr beeindruckend!

Der verbrecherische Kolonialismus

Der weitere Parcours durch die Ausstellung, begleitet von Audioguides, die bei den einzelnen Exponaten aktiviert werden, führt durch das dunkle Kapitel des Kolonialismus, den die Afrikaner uns bis heute zu recht verübelnd nachtragen!

Es ist empörend, zu sehen, mit welcher unglaublich dreisten Anmaßung sich die europäischen Diebe und Mörder-Staaten mit verbrecherischen Massenmorden den Kontinent zwecks Ausbeutung der Rohstoffe zueigen machten!

Vor genau 140 Jahren, im November 1884, wurde in Berlin die Kongo-Konferenz eröffnet, die Afrika ohne jegliche afrikanische Beteiligung unter den Kolonialmächten aufteilte und von da an ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem anderen begann bis hin zu Völkermorden!

All das wird mit Zeitzeugnissen anschaulich nahegebracht, Bilder, Skulpturen und auch das gestürzte Denkmal eines Verbrecher-Kolonialistenführers.

Es ist so schmerzhaft und tut in der Seele weh, in dieser Eindringlichkeit diese Bösartigkeit von europäischen „Herrenmenschen“ vor Augen zu geführt zu bekommen. Es ist einfach unfassbar!

Verbrechen Sklavenhandel

Das ebenfalls unfassbare Thema Sklavenhandel wird mit Fotos aus der Zeit dokumentiert, die in antiken Schreibtischen und Vitrinen von den BesucherInnen auch in die Hand genommen werden können. Es werden „Bedienstete“ gezeigt in ihrer demütigenden Berufskleidung – ein tiefer Einblick in das, was aus den versklavten, in die USA und anderswo deportierten AfrikanerInnen wurde. Es nimmt einen sehr mit!

Schwarze Gegenwartskunst

Dieses Kapitel läßt vorsichtig aufatmen – obwohl auch hier in beeindruckend schönen, ästhetischen Fotos, Plakaten und Skulpturen immer das Thema Unterdrückung und Ausbeutung besteht.

Schwarze Bewegungen in Politik und Kultur

In Schaukästen werden Video-Interviews von politischen AktivistInnen wie Angela Davis und anderen gezeigt. Auch dieses Kapitel der Diskriminierung und Unterdrückung der Nachfahren der deportierten AfrikanerInnen ist sehr bewegend und wird durch die gezeigten Interviews zum Leben erweckt. Was für eine Schande, was Schwarze weltweit, nicht nur in Afrika und USA an Gewalt, Mord und Totschlag erleben mußten und müssen. Man möchte nur noch schreien vor Empörung, wenn man hört, was Angela Davis berichtet, von dem, was ihr und ihrer Familie und FreundInnen angetan wurde.

Black Music

Auch schwarze Musik kommt in der Ausstellung nicht zu kurz und alles wird gegeben: traditionelle afrikanische Musik und von Josephine Baker zu Marvin Gaye bis in die Gegenwart – da hüpft das Herz höher und läßt die Schauder, die einem beim Anblick der ganzen Verbrechen über den Rücken laufen, in den Hintergrund treten: Jazz lives!

Alles in allem ist die Ausstellung äußerst gelungen, wenn auch erschütternd – sie zeigt lückenlose Aufklärung über diese grausame Historie bis in die Gegenwart.

Den BesucherInnen sei im Anschluss auch noch das im Restaurant im Wasserhochbehälter (Eingang) empfohlen zur Stärkung – nicht nur, falls noch ein weiterer Rundgang durch das enorm weitläufige Hüttengelände mit eingeplant ist in die Kulturplanung – wirklich sehenswert!

Anmerkung:

Siehe die Beiträge

im KULTUREXPRESSO.

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