Wie die Wissenschaft ein Theaterstück beeinflusst hat – „Konstellationen“ von Nick Payne als Variationen der Zukunft feierte Premiere am Renaissance Theater Berlin

Quelle: Pixabay, CC0 Public Domain

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Das Theaterstück „Konstellationen“ greift aktuellste wissenschaftliche Hypothesen auf: Verfügt der Mensch wirklich über einen freien Willen? Und: Einsteins Erben forschen weiter an Multi-Paralleluniversen, String-Theorie, schwarze Löcher, Teilchenphysik, Higgs-Teilchen, Quarks, Atomkerne, Genetik der Partnerwahl, Philosophie der Liebe… Vor Beginn des Stücks empfiehlt es sich sehr, das umfangreiche Programmheft zu studieren, in der der geneigte Zuschauer sowohl Einweisungen in die Weihen der höheren Mathematik und Quantenphysik und in die Welt der internationalen Wissenschaftsszene erhält als auch in die Problematik des aktuellen Bienensterbens eingeführt wird. Der Autor und Absolvent einer New Yorker Hochschule Nick Payne reagierte mit diesem Stück auf den Tod seines Vaters. Ich tröstete, „dass es ein anderes Universum geben könnte, in dem mein Vater noch lebte, in dem es uns beiden gut ginge und wir glücklich wären. Ich stecke leider in diesem Universum fest – ohne ihn.“

Mit dem Hintergrund erschließt sich dann auch das Stück als solches, in dem die Paralleluniversen wechselnd ein Liebespaar (Marianne – herzergreifend gespielt von Suzanne von Borsody und Roland – nicht minder bewundernswert gespielt von Guntbert Warns) sich kennenlernt und anfängt seine Liebe zu leben.

Geniale Schauspielkunst zeigt sich, da die beiden das immer selbe Geschehen immer wieder anders spielen. In einer Szene unterhalten sich Marianne und Roland in Gebärdensprache – dieses wird vom Publikum mit einem extra starken Zwischenapplaus goutiert. Das Stück springt in den einzelnen Szenen zurück und probiert alternative Entwicklungen aus. So kann es passieren, dass sich Marianne und Roland in einer Variante ihrer ersten Begegnung so unsympathisch sind, dass sie es nur zwei Minuten miteinander aushalten. Oder in einer Szene geht Marianne fremd und teilt es Roland mit – in verschiedenen Szenen, mal grausam kalt und arrogant, mal einfühlsamer. Und auch umgekehrt geht Roland fremd und in gleicher Art und Weise wird es in verschiedener Form gespielt: nett, arrogant, grausam. Genauso die mehrfachen Szenerien als Marianne von ihrem Hirntumor erzählt und dass sie ins Ausland will, um ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Diese Mikro-Einzelszenen werden immer von einem ultrakurzen Gitarrencrescendo von Het Paleis van Boem beendet auf einer minimalistischen, schwarzen Bühne, welche die Universen und Sterne glaubhaft darstellt durch Glühbirnen und changierendes Dimmen. Stühle, die immer wieder verrückt, hingeschmissen, als Drohgebärde genutzt werden, sind das einzige Dekor, die mal eine Partyszenerie, die Tanzschule oder die Wohnung von Marianne darstellen.

Der Autor bringt den Tod seines Vaters mit ins Spiel – auch Marianne beschreibt in einer Szene die „U“(Universen) – sie hat aufgrund des Hirntumors bereits Wortfindungsstörungen – und wie schön die Vorstellung sei, in einem anderen Universum gesund weiterleben zu können.

Das anderthalbstündige Stück ohne Pause ist fordernd und die Schauspieler meistern diese schwierige Sprechtheater exzellent, welches ein wenig an Beckett erinnert.

Der Intendant Horst Filohn hat mit diesem Theaterstück wieder einmal eine exzellente Wahl getroffen! Uraufgeführt 2012 in London wurde es mit dem „Evening Standard Award“ „Best Play“ ausgezeichnet. Bei der Broadway Premiere 2015 wurde es für den Drama League Award „Herausragende Produktion eines Broadway-Stücks“ nominiert. In 13 Sprachen übersetzt fand die erste deutschsprachige Aufführung 2013 in Wien statt, im Hamburger St. Pauli Theater 2014.

Das meist ältere Premierenpublikum, meist Nicht-Akademiker, applaudierten frenetisch mit mehrfachen „Vorhängen“.

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