Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Zwei Filmfeste an einem Tag, in der deutschen Hauptstadt nichts besonderes. Doch an diesem Mittwochabend wurde die Gleichzeitigkeit des Geschehens mehrfach thematisiert, filmisch belegt und auf den Punkt gebracht. Der Punkt, an dem sich alles versammelt – die Gegenwart. Jetzt. Das „e“ in jetzt ist ein kurzes, da auf dieses gleich noch eins folgt, und noch eins. Das Volk der Maya, das im Martin-Gropius-Bau in einer der wichtigsten Ausstellungen des Jahres im Fokus steht, sieht die Vergangenheit vor uns und die Zukunft hinter uns.
Warum? Aus einem einleuchtenden Grund: Wir kennen die Vergangenheit, können sie uns ansehen; als stünde oder läge sie vor uns, quasi zu Füßen. Sie ist bekannt. Die Zukunft ist noch verborgen und schleicht sich an, wir können sie nicht sehen, wie alles, was hinter unserem Rücken passiert.
Das Filmplakat der am 20. April mit einer geschlossenen Veranstaltung beginnenden filmPOLSKA-Festspiele zeigt zwischen vielen Linien, die auch die Zeit symbolisieren können, ein mittelgroßes „P“ wie Punkt (oder den ersten Buchstaben von PL). Der Pfahl des P ist in den Boden gerammt, von dem Risse in viele Richtungen gehen – beziehungsweise wächst aus einem Punkt, an dem dreizehn Linien sich versammeln, ein Stamm heraus, an dem eine Seifenblase hängt. Wenn sie zerplatzt, bleibt wieder nur ein Punkt. Punkt.
13 Kinos zeigen polnische Filme bei dieser 11. fP.-Ausgabe, 11 in Berlin, und je eins in Potsdam-Babelsberg und Frankfurt/Oder. An 13 Orten werden Licht und Schatten eines Ortes im nahen Osten gezeigt.
Blase und Punkt sind auch Bilder in Skolimowskis Filmsprache. Jerzy Skolimowski, der zu Beginn seiner internationalen Karriere mit „Der Start“ auf der Berlinale den Goldenen Bären gewann, sagte vor geladenen Gästen und vollem Haus: „Ich habe den Bären nicht bekommen“. Als beklagte er sich darüber, dass er den Bären nicht erhielt. Moderator Knut Elstermann beschwichtigte ihn und meinte, es könne ja nicht so schwer sein nochmal einen nachzugießen und ihn dem Regisseur zukommen zu lassen, schließlich habe sich die Statue seit über sechs Jahrzehnten nicht verändert.
1967, als die Internationalen Filmfestspiele Berlin ihre höchsten Ehren an „Le départ“ vergaben, gab es keine Reisefreiheit und Freizügigkeit für unsere Nachbarn, denn sie wohnten in der Volksrepublik Polen. Die Deutsche wussten, was mangelnde Freiheit, Freizügigkeit und Reise- und Niederlassungsfreiheit im besondernen bedeutet. Am 17. Juni 1953 wurde ein Aufstand in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone brutal niedergeschlagen, in dem es zunächst nur um höhere Löhne ging. Die 50er waren von Flucht und Umzügen gezeichnet, die letzten Kriegsgefangenen kehrten aus der Sowjetunion zurück und die DDR-Bürger, damals noch in Anführungsstrichen, stimmten mit den Füßen ab, da die Volkskammer immer zu 99,x% gewählt wurde. Sie fuhren mit der Berliner S-Bahn nach West-Berlin oder weiter westlich in den Westen. Bis zum Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961. Skolimowskis Film erhielt 1967 die höchste Auszeichnung, aber der Regisseur konnte sie nicht entgegennehmen. Da Schauspieler, Kameraleute und andere Filmemacher nur Silberne Bären gewinnen können, ist der Goldene für den besten Film doppelt besonders.
Das war der Start im Ausland, dann ging es weiter mit vielen Filmen, in denen er auch Figuren mimte. Die Retrospektive seiner Werke bildet einen wichtigen Teil von Filmpolska und läuft im Zeughauskino Unter den Linden. Am 21.4. führte der Schauspieler und Filmemacher, Autor und Maler dort das Publikum in die Reihe ein.
Sein jüngstes Werk „11 Minuten“ wurde am 20. im Babylon gezeigt, wo Skolimowski auf der Bühne stand. 88 Minuten dauert es, 11 Minuten so zu entwirren bzw. zusamenzuführen, dass der Zuschauer es versteht. Die 8 steht liegend für die Unendlichkeit, wofür stehen zwei Achten?
Knut Elstermann fragten den Anwesenden Mann mit Hund (Skolimowski), ob das, was im Film passiert, Zufall oder Schicksal sein solle. Der Meister antwortete mit zwei Zahlen: „Fifty-fifty“. Verraten wird hier nichts, die Deutschlandpremiere des Films „11 minut“ wird auf dem Filmfest München in einem Vierteljahr stattfinden. Der Hund ist auch im Film und die Dolmetscherin war mit Knut Elstermann in einem Jahrgang. Gleichzeitig.
In Saal 1 des Babylons fanden das Gespräch mit Film und eine Preisverleihung statt. In Saal 2 lief „Achtung Berlin“ – gleichzeitig und nach „11 minut“.
Achtung Preisverleihung
Am selben Abend wurden im Filmtheater am Friedrichshain (FaF., siehe Bild) Preise vergeben im Rahmen dieses anderen Festivals, das dieses Jahr eine gute Mischung zeigte.
„Treppe aufwärts“ von Mia Maariel Meyer mit Hanno Koffler beschreibt drei Generationen von Männern in einem Haus und wie in einer Familienaufstellung ihre Spielsucht und Loyalität. Kommen Frauen ins Spiel, wird es besser. Der Film feierte seine Weltpremiere bei den Internationalen Hofer Filmtagen 2015 und kommt für alle, die ihn in Berlin verpasst haben, am 23. Juni bundesweit ins Kino. Wie der positive Titel schon sagt, geht es um Aufbau und Streben nach Glück.
Desire-Previews und Desire hat Premiere
„Desire will set you free“ – Das Verlangen wird dich befreien – ist ein bisschen im LGBT-Bereich angesiedelt und hatte deswegen am 17. eine Preview in Kiel auf dem Transgender-Filmfest. Diese und die folgenden Previews in Anwesenheit des Regisseurs und Hauptdarstellers Yoni Leyser: am 19.4. in Berlin bei ACHTUNG, am 22.4. in Leipzig im Gegenkino – mit Peaches!, am 23. wieder in Berlin // about blank und am 24. April im Babylonkino – in Fürth!
Schillernde Bilder aus einem hedonistischen Berlin floaten dahin – die Schlüsselszene vielleicht der gemächliche, aber nie stoppende Gang durch einen Paradiesgarten in dem sich die Menschen mit Verlangen, aber sanft und anscheinend respektvoll begegnen, als ergäben sie ein großes Ganzes, dessen Teile sich noch kennenlernen wollen.
In Kürze – am 2. Mai um 22 Uhr im Berliner International – dann die Premiere in Anwesenheit von Yony Leyser, Tim Fabian Hoffmann, Peaches, Rummelsnuff und Rosa von Praunheim; anschließend Premierenparty im „Monster Ronson“.
Berlin hat ein International und Parchim auch. „Parchim International“ ist ein Flughafen und ein Dokumentarfilm von Manuel Fenn und Stefan Eberlein. Im FaF wurde „P.I.“ mit dem New berlin film award in der Kategorie „Bester Dokumentarfilm“ ausgezeichnet. Begründung der Achtung-Berlin-Doku-Jury: „Man merkt diesem Film einfach an, dass die Macher aus dem Vollen schöpfen konnten, Entwicklungen sichtbar werden und somit auch den Mut beweisen können, Bilder erzählen zu lassen, wo uns häufig etwas erklärt werden soll. Wir sehen in diesem Film exemplarisch die pure Lust, etwas entstehen zu lassen, aber auch den absurden und tragischen Wahnsinn von Kapitalismus. Wir spüren jedoch vor allem die Liebe zum Filmemachen selbst – für uns das überzeugendste Gesamtwerk.“ Der Film startet am 19. Mai 2016 im Verleih von Neue Visionen bundesweit im Kino.
Jonathan Pang ist ein Airport-Investor und hat das Richtige getan. 490.000 Soldaten und ihre Familien sowie anders Personal umfasste die ZGW, die Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte. In Polen standen dagegen nur eine Handvoll Rotarmisten während des Kalten Kriegs. Zum Vergleich: die Bundeswehr hatte seit Ende der 50er 495.000 Mann und die NVA, Waffenbruder der ZGW, 170.000. Diese brauchten schon im Frieden beziehungsweise im Dauer-Waffenstillstand ohne Friedensvertrag seit 1945 Nachschub auch durch die Luft. Im Kriegs- oder Spannungsfall, in dem die Spannung nicht abgefallen wäre, wären weitere Uniformierte, Waffen und Gerät eingeflogen worden, um Ausgefallenes zu ersetzen usw. Ein Flughafen hätte dazu nicht gereicht, war doch die Rote Armee auf viele Standorte verteilt: Wünsdorf mit dem atombombensicheren Hauptquartier, Orte westlich von Berlin, an denen heute die Wölfe heulen – siehe „Grenzbock“, den Dokumentarfilm von Hendrik Löbbert, der seit dem 4. Februar in den Kinos ist – und eben den Militärflughafen in Parchim, dem heutigen neuen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern.
Der Traum vom Luftkreuz Nordwest und einem quirligen Ort der Globalisierung, den die PR-Leute als wahnwitzig bezeichnen, hatte durchaus Hand und Fuß und war eine Idee, die der Realität näher war als manche Finanzaktion. Mit dieser Vision sollte etwas Reales geschaffen werden, ein Frachtumschlagplatz, der den weltweiten Güterströmen durchaus entspricht. Eine Business-Vision, die Einkommen verspricht und reale Arbeitsplätze schon in der Planungs- und Bauphase. Konversion obendrein. Recycling von nichtnaturierten Brachflächen, die verkehrsgünstig an der Autobahn A24 Berlin-Hamburg liegen.
Viel besser als die faulen Kredite und die unverantwortliche Hypothekenblase („The Big Short“), die die „Finanzkrise“ und „Bankenrettung“ und Wirtschaftskrise auslösten, die jetzt mit der Euroflutung bis hin zum Hubschraubergeld „bekämpft“ wird und werden soll.
Für die Beste Regie erhielt Jonas Rothlaender den new berlin film award für „Fado“. Dieser Film kommt in der zweiten Jahreshälfte ins Kino.
Preise bei Filmpolska
Die Handvoll Preise, die bei Filmpolska gleich zu Anfang vergeben wurden, werden durch ein recht großen, kugeligen Glasgegenstand symbolisiert. Moderator Knut Elstermann verwies die Preisträger mehrfach darauf, dass die Skulpturen wie ein „rohes Ei“ zu behandeln seien. Im Anschluss an das Gruppenphoto mussten die Preisträger bei ihrem Abgang auch die Glaskugeln wieder abgeben, die dann, in Kartons verpackt, den Geehrten zugestellt werden sollten.
Eines der „Rohen Eier“ ging an die Menschen, die sich im „Klub der polnischen Versager“ engagieren, einem der Vorführorte von Filmpolska im ehemaligen Ostberlin. Weitere „Rohe Eier“ gingen an das Wiesbadener Filmfest „Go East“, deren Vertreterin nicht gleichzeitig bei der Eröffnung in Wiesbaden sein konnte und hätte können, aber die Begegnung mit Jerzy Sk., die Möglichkeit, ihn persönlich dorthin einzuladen und die Entgegennahme des Preises der Anwesenheit in Hessen vorzog.
Jan Schulz-Ojala vom Tagesspiegel, vom Radio- und Fernsehkollegen Knut Elstermann als „einer der besten Filmkritiker unserer Zeit“ bezeichnet, erhielt ein rohes Ei und hielt eine vorbereitete Dankesrede. Um die Hände freizuhaben für die Mikrophonverstellung und das Redemanuskript musste er seinen zerbrechliche Preis gleich wieder aus der Hand geben.
Schulz-Ojala erzählte von seiner vorigen Stelle, seiner Einstellung als Filmredakteur bei der Berliner Tageszeitung, seiner Liebe zu Polen, die sich in einem Polnischkurs und unzähligen Besuchen äußert.
Alles gleichzeitig
Knut Elstermann verriet uns, dass Schulz-Ojala wie Pal Dardai eine Karte für das am Mittwochabend, 20.4. im Olympiastadion steigende Pokalhalbfinale im Männerfussball habe. Dass nicht nur die Berliner Mauer Familien zerreißen kann, sondern auch die Gleichzeitigkeit von Veranstaltungen: Frau und Kinder schauten in Charlottenburg Hertha BSC gegen Borussia Dortmund (0:3), während Schulz-Ojala sich in Mitte bedankte. Schulz-Ojala machte mit seinen Kindern schon viele Radtouren nach Polen, bevor er beruflich nach Stettin und Posen, nach Breslau, Gdingen und Warschau musste; er nannte an diesem Abend auch alle polnischen Städtenamen.