Zum Buch „Zion Predigt“ von Saadia Isakov

Saadia Isakov: Zion Predigt. Mit Abbildungen von Felix Nussbaum. © EUVERGE

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Auf einigen seiner Jugendfotos erinnert Saadia Isakov geradezu unheimlich an am den jungen Koba (Iossif Stalin). Ich glaube nicht, dass diese Ähnlichkeit ihm je geschmeichelt hätte, den ich bin selten einem Menschen begegnet, dem jegliche Art von Gewalt so fremd gewesen wäre. Die Natur hat schlicht einen eigenartigen Sinn für Humor.

Im Laufe der Jahre freilich waren die Anzeichen einer äußeren Ähnlichkeit mit dem Räuber aus Gori nicht nur verblasst, sondern gänzlich verdampft. Auf einem der letzten Bilder von Felix Nussbaum „Selbstbildnis mit dem jüdischen Ausweis“ ähnelt Saadiа verblüffend dem Maler – und dieser Umstand kann nicht zufällig sein.

Saadiа Isakow hat ein bestaunenswertes Buch geschrieben. Man kann es ohne Eile in einer halben Stunde durchlesen, die Zeit jedoch, die darin lebt, zieht sich über Jahrtausende und mündet in törichte Unendlichkeit. Lediglich vier kleine Kapitel, doch jeder Satz darin ist aufs Äußerste geschliffen und mit einer besonderen Zahl versehen, womit er eine Ähnlichkeit zum aphoristischen Vers des Ekklesiast erhält. Oder – genauer – mit dem Buch Kohelet.

Denn es ist in der Tat eine Predigt, in der die alttestamentarische Reinheit des Genres bewahrt wird, die der ältesten Tradition innewohnt, welche einen enormen Einfluss auf die gesamte Weltkultur ausgeübt hat.

Allerdings ist Saadi Isakovs „Zion Predigt“ nicht bloß ein von wiedererkennbaren Lamentationen angefülltes literarisches Faktum. Nein, es ist, wenn man so will, ein Muster moderner philosophischer Prosa, unbelastet von der Bürde unterhaltsamen Fabulierens, erfüllt jedoch vom Sujet der persönlichen spirituellen Suche, bezogen auf das Schicksal des Volkes.

Andrej Donatowitsch Sinjawskij sagte einmal, seine Meinungsverschiedenheiten mit der Sowjetmacht wären rein stilistischer Natur. Diese Macht drohte Saadiа Isakov nicht bloß mit Heuschnupfen, an dessen Juckreiz man sich gewöhnen kann, sondern vielmehr mit einem anaphilaktischen Schock mit letalem Ausgang. Deshalb floh er bereits vor dem Putsch des Jahres 1991 aus Moskau, ahnend, dass das Ergebnis des erneuten Tauwetters die Eruption einer Jauchegrube bedeuten würde, in welche Spitzbuben ein Päckchen Hefe geworfen hätten. Lange Jahre lebte er in Deutschland – in Osnabrück und in Berlin – den Himmel preisend in der Annahme, der Schoss, aus dem es kroch, sei nicht mehr fruchtbar.

Bis er merkte, dass die Reptilien allmählich auf der Oberfläche auftauchten, während sie sich als Faschingsmasken präsentierten. Jetzt aber, da sich das Leben sichtbar in einen Dämonenfasching verwandelt, wo die sich aufgewärmt habenden Tritone das Sagen haben, ist es klar geworden, dass Brechts Warnung hinsichtlich des übelriechenden Schosses, der Golems hervorbringt, sich leider bewahrheitet. So war es und so wird es sein.

In Osnabrück hängen im Museum Gemälde von Felix Nussbaum, einem Maler, der in Auschwitz umgekommen ist. Doch vermag dieses Zeichen der Buße und Läuterung den weltweit brodelnden neuerlichen Irrsinn nicht aufzuhalten. Und deshalb ist es Zeit, aufzubrechen. Nach Hause. Die Lebensbeschreibungen biblischer Patriarchen enden mit einem bemerkenswerten Satz: „Und er starb, mit seinem Volke eins geworden“. Saadiа Isakov ist vom Patriarchenalter weit entfernt, so möge der Grundgütige seine Tage verlängern.

Aber auch er ist mit seinem Volke eins geworden.

Und dies ist das Faktum seiner Geburt.

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Saadia Isakov, Zion Predigt, 32 Seiten, Format: 14,0 x 21,0 cm, broschiert, mit Abbildungen von Felix Nussbaum, Verlag Eulenspiegel, Berlin, 12. Juli 2017, ISBN 978-3-945187-85-2, Preis: 12 EUR (D)

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