Wie wenn etwas Großes aus der Tiefe heraufzieht – Ein atemberaubend düster-schöner Island-Roman von Jón Kalman Stefánsson

Jón Kalman Stefánsson: Etwas von der Größe des Universums. © Piper

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). In diesem Roman müssen viele Menschen sterben, die meisten viel zu jung. Manche siechen langsam dahin, andere sterben plötzlich und schnell. Ganz wenige kommen davon, werden von anderen gewärmt und geborgen.

Auf höchst poetische Weise stellt der isländische Autor Jón Kalman Stefánsson das Leben in Frage. Und beantwortet es immer wieder gleich, die Liebe wird alles klären und mildern, das raue Land und die unwirtliche Natur, die mürrischen Menschen und ihre Einsamkeit. Diese Liebe steckt in jedem seiner langen Schachtelsätze, im isländischen Sonnenuntergang wie im Wintersturm, im Schweigen wie im Singen der Menschen. Während einige Protagonisten sterben müssen, dürfen andere ausgelassenen Sex vor der Frühschicht haben. Kinder dürfen sich stundenlang hinter Gardinen verstecken und werden nicht gefunden. Ein alter Mann darf den ganzen Tag Schallplatten hören, saufen und rauchen. Das ist wunderschön. Doch gleich wird das nächste Tief heraufziehen.

Über mehrere Generationen erzählt Stefánsson von einer Familie, vom Fischen, Schreiben und Hoffen. Da sind die vielen Kinder, der älteste Sohn, der mit aufs Meer hinausfährt, obwohl der Lehrer ihn für einen begabten Dichter hält. Die Mutter, die sich ihrer abgearbeiteten Hände wegen vor dem Lehrer schämt und so gerne wüsste, was dieser nachts mit dem Fernglas auf den Wiesen treibt… Viele Jahre später ist der jüngste Sohn selbst Vater und kann nicht verwinden, dass seine wilde Frau heimlich Geschichten schreibt, über wilde Frauen in langen dunklen Nächten. All das verknüpft sich in und um Keflavík, einem „seltsamen Ort abseits der Straße mit ein paar Tausend Einwohnern, einem leeren Hafen, Arbeitslosigkeit, Autohändlern, mobilen Hamburgerbuden und einem so flachen Umland, dass es aus der Luft aussieht wie gestocktes Meer.“

Der 1963 geborenen Autor Jón Kalman Stefánsson lebte wie sein Ich-Erzähler einige Jahre in Dänemark, nachdem er unter anderem in der Fischindustrie von Keflavík gearbeitet hatte. „Etwas von der Größe des Universums“ ist die neunte Veröffentlichung des Autors in deutscher Sprache. Alle Übertragungen stammen aus der Feder Karl-Ludwig Wetzigs, der selbst 1999 eine erlesene Island-Anthologie und 2011 einen Roman über den isländischen Helden Snorri Sturluson vorlegte. Eine glückliche Verbindung, die sich in der durchgehend hochwertigen Sprache zeigt, im sehr gelungenen Einverständnis zwischen Schöpfung und Übertragung. Auf knapp 400 Seiten breiten Autor und Übersetzer das Universum der Reykjanes-Halbinsel und ihrer Bewohner in einem einzigartigen Leuchten aus.

„Wir sehen, wie hinter weit entfernten Bergen das Feuer entsteht, wie wenn etwas Großes aus der Tiefe heraufzieht, eine Kraft, die den Himmel anheben und alles verändern kann, wir sehen, wie die dunkle Tinktur der Nacht vor dieser Kraft zurückweicht. Und dann geht die Sonne auf.“

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Jón Kalman Stefánsson, Etwas von der Größe des Universums, Aus dem Isländischen von Karl-Ludwig Wetzig, Roman, 399 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, Piper Verlag, München 2017, ISBN: 978-3-492-05795-0, Preise: 24,00 EUR (D), 24,70 EUR (A)

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