Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Die Leser Arno Schmidts bewegten sich schon immer im Promillebereich. Zu schwer verständlich, unnahbar, zu wenig Kritik an den politischen Verhältnissen, zu weltabgewandt, unverständliche Sprache, Frauenfeind, sind nur einige der Bemerkungen, mit denen man sich als Arno Schmidt Fan herumschlagen muss. Ohne nun eines dieser Vorurteile zu beackern, möchte ich mich hiermit in aller Öffentlichkeit als verblendeter Arnofan outen.
Der herzensgute Suhrkampverlag wirft in schöner Regelmäßigkeit späte Perlen aus dem Hause Schmidt auf den kümmerlichen Markt der Schmidtfanatiker. Ein paar verpeilte Professoren, denen die Haare aus der Nase und den Ohren als Scheitel dienen, vielleicht noch 4-9 Nonnen, Dietmar Dath und ein paar Verwirrte, die es gern schön vertrackt haben, freuen sich dann über die neusten Elaborate.
Aktuell bekommen wir es mit den Tagebüchern von Schmidts Braut Alice zu tun. Als brave Schmidtergebene kümmerte sie sich Zeit ihres Lebens um Arno und dessen Werk. Insofern wundert es nicht, wenn auch in ihren Tagebüchern ihre schaffende Sorge nur um den teuren Gatten Arno kreist. Arno hat keinen Schnaps mehr, Arno wird vom bitterbösen Rowohltverlag geärgert, Arno hat keinen Bock jeden Tag selbstgesuchte Pilze zu vertilgen, ja, es ist kein Geld in der Kasse. Die füllt sich nur dann auf, wenn Alice mit den feinen Paketen aus den USA (von Arnos Schwester) auf den Schwarzmarkt geht. Ohne diese Geschäfte wären die Schmidts wahrscheinlich in den Jahren 1948/49 verhungert. Es blieben nur trocken Brot und Kohlsuppe satt. Die Kohlsuppe natürlich ohne Fett. Vielleicht ein Schlückchen Cointreau. Oder zwei.
1948 betrugen die literarischen Gesamteinnahmen Arnos gerade einmal 538 Mark, inklusive einer Fahrgeldrückerstattung von Rowohlt über 17,50 Mark. Bücher konnte man damit nicht kaufen, geschweige denn die lieben Kollegen zu treffen, um mit ihnen über den Zustand der deutschen Literatur zu beraten.
Diese schrecklichen Wahrheiten und noch viel mehr schildert Alice in ihren Tagebüchern. Wir dürfen noch viel erwarten, die Sammlung der Stiftung ist beträchtlich. Ganz besonders freue ich mich über eine kritische Ausgabe der Fernsehzeitungen der Schmidts, sie haben darin alle gesehen Sendungen markiert und mit wertvollen Randbemerkungen versehen. Ja, sie sind weitestgehend erhalten, Schmidts wussten frühzeitig, was sie der Nachwelt (Ich, ein paar verpeilte Professoren, denen die Haare aus der Nase und den Ohren als Scheitel dienen, vielleicht noch 4-9 Nonnen, Dietmar Dath und ein paar Verwirrte) schulden. Bis zur kritischen Ausgabe der kommentierten Fernsehzeitschriften ist es leider noch ein Stück. Bis dahin begnügen wir uns mit den mitteilungsdichten Tagebüchern (geschrieben mit selbst angerührter Tinte!) der Alice, die in ausreichender Zahl vorhanden sind. Natürlich sind diese (echt schmidtig!!!) mit diversen Kürzeln, Halbsätzen, unverständlichen Hieroglyphen und nur den beiden Schmidts begreiflichen Worten vollgepackt. Eine Lesewohltat! Ein paar Beispiele: A bedeutet Arno, manchmal auch Abend. Großes L bedeutet Liebe, im Sinne von: Heute gevögelt! Um euch nicht auf die Folter zu spannen: Gevögelt wurde bei den Schmidts ca. dreimal im Monat. Kleines l bedeutet lesen. Annähernd jeden Tag. Rob: robotta, familiensprachlich für Hausarbeit. Bobv: Im Nachbardorf Borg Buttermilch und Vollmilch holen. Wat: Wanderung um den Tisch, die Arno Schmidt bei Aufregung antrat.
Kauft euch dieses Kleinod der Schmidtforschung und genießt die willkommene Unterbrechung eures langweiligen Alltags!
Bibliographische Angaben
Alice Schmidt, Tagebücher der Jahre 1948/49, Eine Edition der Arno Schmidt Stiftung im Suhrkamp Verlag, 210 Seiten, Halbleinen, Suhrkamp Verlag, 1. Auflage, Berlin, März 2018, ISBN: 3-518-80420-9, Preise: 32 EUR (D), 32,90 EUR (A), 42,90 sFr