Das deformierte Leben – „Bolla“, der dritte Roman des Pajtim Statovci

Bolla von Pajtim Statovci © Luchterhand Lite

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). „Nie habe ich mich so gut und geborgen gefühlt wie bei ihm. Ich habe noch keine Tür so aufgeregt geöffnet wie seine, noch auf niemanden so sehr gewartet, schon eine kurze Trennung kommt mir quälend und beängstigend vor…“

Das vorliegende Buch „Bolla“ des finnisch-kosovarischen Autors Pajtim Statovci ist der dritte Roman des 1990 geborenen Autors und bereits 2019 auf Finnisch erschienen. Das einleitende Zitat stammt von Seite 62 des knapp 300-seitigen Schmerzgeheuls eines Scheiternden. Die schönsten Szenen sind die der jungen Liebe zwischen dem albanischen Kosovaren Arsim und dem serbischen Medizinstudenten Miloš, die sich Mitte der 1990er Jahre in Priština kennen lernen. Das kann nicht gut ausgehen.

Tagebuchartige Notizen, die wahrscheinlich später von Miloš verfasst wurden, ein Märchen, in dem Gott mit seiner Tochter ein deformiertes Kind zeugt und eine chronologische Nacherzählung des weiteren Lebenslaufes Arsims in einem unbestimmten europäischen Land wechseln sich ab. Das furchtbare Verhalten Arsims, der weder Frau noch Kinder zu lieben oder stützen vermag und sich kaum je im Griff hat, stößt ab bis zum Ekel, während Milos’ Situation an sich unverständlich bleibt.

Statovci verwebt die (schnell gescheiterte) Liebesgeschichte mit der Legende vom albanischen Drachen Bolla, der eigentlich schläft, nur am Georgstag erwacht und den Menschen verschlingt, den er zuerst erblickt. Statovci wurde für „Bolla“ mit dem Finlandia-Literaturpreis in der Kategorie Romanliteratur ausgezeichnet.

Leser der bereits auf Deutsch vorliegenden früheren Romane des Autors werden Figuren und ihre Entwicklungen in Teilen wieder erkennen, vieles ähnelt dem Lebenslauf des Autors selbst, der zwei Jahre alt war, als seine Familie aus dem Kosovo nach Finnland auswanderte. Statovci studierte Komparatistik an der Universität Helsinki, wo er derzeit lehrt. Als Student veröffentlichte er 2014 sein Romandebüt »Kissani Jugoslavia« (dt: „Meine Katze Jugoslawien“ 2024) und 2016 seinen zweiten Roman »Tiranan sydän« (dt: »Grenzgänge« 2020). Die drei Romane erzählen alle vor dem Hintergrund albanischer Mythen und Legenden von jungen Männern, die ihre Heimat verlassen und versuchen, in einem fremden Land und befremdet von der eigenen Sexualität ein zu Hause zu finden. Der jugoslawische Bürgerkrieg und männliche Gewalt sind das Hintergrundrauschen des Schreibens von Pajtim Statovci.

Durch ihre tiefe Traurigkeit ist die Welt der Entwurzelten schwer zu ertragen, ihre Traumata sind die aller Kriegs-Geschädigten, seit je her und in alle Ewigkeit.

Fazit: kunstvolle Sprache, harte Kost, enthält sexuelle und häusliche Gewalt, kein Happy End!

Bibliographische Angaben:

Pajtim Statovci, Bolla, Roman, 284 Seiten, Übersetzer aus dem Finnischen: Stefan Moster, Bindung: fester Einband mit Schutzumschlag, Format: 13,5×21,5cm, Verlag: Luchterhand Literaturverlag im Konzern Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München, 1. Auflage 26.3. 2025, Preise: 22 EUR (Deutschland), 22,70 EUR (Österreich), 30,50 SFr

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