Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Die Rahmengeschichte: Der Vater hat eine akute Entzündung, ist es die Galle oder die Bauchspeicheldrüse? Tochter Didi hetzt ins Krankenhaus und übersetzt, der Vater kann noch immer kaum Deutsch, Didi dagegen kaum mehr slowakisch. Der Vater fügt sich allem.
„Wir sind anständige, unauffällige Leute. Wir wollten keine Probleme machen und auch keine haben.“
Damals oder Heute sind die kurzen Kapitel mit einer Episode aus verschiedenen Zeiten überschrieben. In der Gegenwart erfahren wir, wie die Tochter Didi mit Ärzten telefoniert, den Vater beruhigt, hin- und her übersetzt, sich sorgt und kümmert. Darüber nachdenkt, was sie und ihren Vater auseinandergetrieben hat vor Jahren, warum sie sprachlos waren als Vater und Tochter.
In den Erinnerungsstücken Damals erzählt Didi Drobna von Zerrissenheit des Heimat-Wechsels, von der Schule in Wien und in der Slowakei, von verunsicherten Erwachsenen, von einer starken Mutter, die sich freiwillig in den Schatten des mürrischen Vaters stellt. 1988 in Bratislava geboren, lebt Didi Drobna seit 1991 in Wien, wo die Schriftstellerin in einem IT-Forschungszentrum arbeitet. In ihrem Romandebüt „Was bei uns bleibt“ (2021) spürte die Autorin der Geschichte einer Munitionsfabrik im Zweiten Weltkrieg, einem Arbeitslager und lange vergrabenen Geschichten nach. Mit „Ostblockherz“ geht Drobna der eigenen Herkunft nach, hinterfragt das Aufwachsen in zwei Kulturen und ihre Rolle als große Schwester, Dolmetscherin der Familie und Wegweiserin:
„Eine Eldest Immigrant Daughter hat zahlreiche Aufgaben, sie muss viele erste Male erleben und Pioniertätigkeiten übernehmen. Sie muss vollkommen neue Räume betreten und den Weg für die anderen ebnen, insbesondere für alle jüngeren Geschwister. Der Erfolg der Eldest Immigrant Daughter wird nicht nur an ihrem eigenen Erfolg gemessen, sondern daran, wie gut sie alle anderen zu erfolgreichen Karrieren und schließlich ins Glück führen kann.“
Das gelingt überzeugend und mitunter beklemmend, man möchte in das Buch hineinsteigen und den Vater schütteln, zur Besinnung bringen. Gib dem Kind nicht eine solch große Verantwortung! Ob und wie Didi sich von der ihr zugeschriebenen Rolle lösen kann, ist behutsam eingewebt in diesen feinen, letztlich versöhnlichen Roman einer Abrechnung, der wie nebenbei die Mentalität Osteuropas erzählt.
Dieses Buch ist ein poetisches Pamphlet gegen das Patriarchat und das stille Weitertragen von Unbewältigtem. Mutig, feministisch und weltbürgerlich!
Bibliographische Angaben:
Didi Drobna, Ostblockherz, Roman, 168 Seiten, Bindung: fester Einband mit Schutzummschlag, Verlag: Piper Verlag GmbH, München, 1. Auflage 2.5.2025, ISBN: 978-3-492-07280-9, Preise: 22 EUR (Deutschland), 22,70 EUR (Österreich)
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