Das Postamt in Saigon aus dem 19. Jahrhundert: Es war ein Architekt daran beteiligt, den Sie alle kennen. – ‚Reihe Postämter der Welt‘, Nr.2

Vietnamesinnen einer Tanzgruppe mit roten Hosen, leichten, weißen Übergewändern und schwarzen Schuhen tanzen auf einem glatten Weg aus verschiedenfarbigen, quadratischen, marmorierten Natursteinfliesen in der gepflegten Grünfläche oder einem kleinen Park mit rundgeschnittenen, dunkelgrünen Bäumchen, z.T. in großen, auf dem kreisrunden Weg stehenden Tonschalen in Richtung eines Zebrastreifens, der über eine Straße, auf der Busse fahren, zum Postamt Saigons führt, einem gelben, zweistöckigen, repräsentativen, französischen Altbau mit einem dreietagigen Mittelbau. - Symbolisch: Müssen wir jetzt nach Saigon zur Post, weil die deutschen Postämter geschlossen werden? Wie weit?
Tanzgruppe vor dem Postamt in Saigon. In Deutschland 140 Postämter weniger als vorgeschrieben. Müssen wir jetzt nach Saigon, wenn wir einen Brief aufgeben wollen? © 2016, Foto/BU: Dr. Bernd Kregel

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Das Postamt in Saigon, das Sie im Beitragsbild sehen können, stammt noch aus dem 19. Jahrhundert und steht bis heute, trotz Feuergefahr, Stürmen und jahrzehntelangem Krieg. Wie lange noch? Das Hauptpostamt in Manila ist vor kurzem zum zweiten Mal zerstört worden (am 22. Mai 2023), Saigon steht noch. Auf ins zurzeit sozialistische Vietnam? Wenn Sie mal in Hongkong sind oder nach einem Besuch der Republik China auf Taiwan, oder Formosa, wie die Insel auch heißt, böte sich ein Zwischenhalt oder Zwischenstopp oder Stop-over vielleicht an. Und, keine Sorge, bevor die über-pc-mäßigen Schlaumeier und Gesinnungs-Sittenwächter wieder ihren erhobenen Zeigefinger auspacken: Saigon heißt immer noch auch so.

Das Postamt in Saigon, einer Stadt, die ähnlich bekannt ist wie der Architekt der Stahlkonstruktion

Saigon darf genauso genannt werden. Es heißt aber auch Ho-Chi-Minh-Stadt. Ho Chi Minh, Führer des kommunistischen (sozialistischen) Nordvietnams, starb 1969. Onkel Ho kennen viele Alt-68er auch noch von den Demos und aus den Sprechchören zu Zeiten des Prager Frühlings. Auch wenn der Beginn eher an das kulturimperialistisch aus den USA hereinschwappende Weihnachtsmannsgeschwafel erinnert, als wenn jemand, der in Sekunden die ganze Welt mit Geschenken versorgen kann, nur zu einer Silbe in der Lage wäre und selber immer nur rot-weiße Kleidung trüge (so arm kann er ja nicht sein, oder? Wenn er die ganze Welt beschenkt jedes Jahr) …

Wo ist eigentlich Saigon und wo ist „Südvietnam“ oder überhaupt Viet-nam? Das war nicht immer so wie heute

Saigon war Hauptstadt Südvietnams, eines „westlichen“ Staats, der seit 1975 verschwunden ist, als Nordvietnam den Bürgerkrieg (sagt man so?) gewann und das Land wiedervereinte. Vor dem Zweiten Weltkrieg war das Land an der Küste zwischen China und Kambodscha französische Kolonie. Dann wurde es von Truppen des japanischen Kaiserreichs erobert. Das Inselreich in Ostasien träumte von eine großasiatischen Wohlstandssphäre. Die französische Republik konnte aus eigener Kraft den schmalen Landstreifen nicht zurückerobern, nur als das Vereinte Königreich (GB), dass auf den britischen Inseln residierte, aber mit 50 Kolonien das größte Weltreich der Geschichte beherrschte, und die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) die japanischen Schiffe mit Schweröl und Männern auf den Grund der Ozeane schickten und die Sowjetunion die deutschen Panzer aus der Ukraine und Weißrussland vertrieb, mussten die japanischen Besatzer abziehen. Allerdings konnten die französischen Besatzer bzw. richtiger „Kolonialherren“ ihren Platz nicht gleich wieder einnehmen. Zunächst einmal wurde Vietnam/ Annam unabhängig.

Das heutige Vietnam war damals dreigeteilt. Der äußerste Norden hieß Tonkin, der äußerste Süden Cochinchina, die große Mitte Annam. „An“ heißt auf chinesisch „Frieden“, ’nan‘ oder südchinesisch oder vietnamesisch ’nam‘ einfach „Süden“ (unten auf der Karte). So ergibt sich die Bedeutung „befriedeter Süden“ (friedlicher Süden). Annam war chinesisch und die Franzosen wollten es haben. Es war das Jahrhundert der „Kanonenbootdiplomatie“, mit der England China erpresste und erst Hongkong, dann Kowloon und schließlich die New Territories herausschlug sowie Teile Teile Schanghais und privilegierte Handelsmöglichkeiten.

Annam gehörte zu China

Viele Groß- und Weltmächte kamen mit Schiffen übers Meer und schnitten sich Teile aus dem Kuchen „chinesisches Kaiserreich“ heraus. Die Zentralmacht in Peking war zu schwach, sich ausreichend zu wehren, obwohl 1000 Jahre früher das Reich der Mitte zuerst das Schwarzpulver und die Raketen erfunden hatte. Die 5 Weltmächte waren allesamt europäisch und so gab es an der Küste kleine Gebiete, die von China abgezwackt wurden. Der Einfluss reichte aber über die großen Flüsse weit ins Land hinein. Die Kanonenboote konnten Tausende Kilometer flußaufwärts manövrieren.

Die Russen waren mit Port Arthur ganz im Norden, die Deutschen etwas weiter südlich in der Stadt Tsingtau (Qingdao) im deutschen Pachtgebiet Kiautschou (Jiaozhou), Engländer und Franzosen waren eher im Süden.

– „Das Postamt in Saigon …“ ist der 2. Artikel in einer losen Reihe über Postämter der Welt. Die Reihe begann mit: „https://kulturexpresso.de/das-postamt-in-manila-ist-ausgebrannt-philatelistische-bibliothek-und-wertvollste-briefmarkensammlung-der-philippinen-unwiderbringlich-verloren-reihe-postaemter-der-welt-nr-1/„.

Weltbekannter deutschstämmiger Ingenieur baute am Postamt in Saigon mit

Alexandre Gustave Bonickhausen genannt Eiffel ist berühmt für den Eiffelturm, der mit 312 Metern Höhe 1887-89 gebaut wurde. 1885 kam Annam als „Protektorat“ an Frankreich. Zwischen 1886 und 1891 baute der Ingenieur das Postamt in Saigon an der Straße Dong Khoi, die vermutlich auch noch einen französischen Namen trug.

Zur Bauzeit: 1. waren die Bauarbeiten am Eiffelturm schneller beendet als die an der Saigoner Hauptpost, obwohl sie in Indochina ja früher begannen. Das liegt an dem Grund für den Turmbau, der Pariser Weltausstellung. Sie fand in einem festgelegten Jahr statt, weshalb der Pariser Eiffelturm pünktlich fertig zu sein hatte. Es lag natürlich auch daran, dass das meiste Baumaterial per Schiff um die halbe Welt geschafft werden musste.

Immerhin gab es seit 1869 schon den von Franzosen mit den Osmanen gebauten Sueskanal, den sogar eine französische Gesellschaft verwaltet. Dieser berühmte Kanal nützte besonders den Mittelmeeranrainern, so auch dem österreichischen LLOYD. Die Zeitersparnis durch den Kanalbau hätte den Postamtsbau beschleunigen können. 31 Tage, also einen ganzen Monat, betrug sie im 19. Jahrhundert für eine angenommene Dampferfahrt von Marseille nach Bombay.

Doch Projekte in der Hauptstadt behandelt man gewöhnlich vorrangig. Zudem Paris innerhalb Frankreichs eine noch wichtigere Rolle einnimmt als Berlin in Deutschland. (Zum Hauptstadtflughafen geben wir hier keinen Kommentar ab.)

Baujahr des Hertha-BSC-Schiffs ist Baubeginn für das Postamt in Saigon

Zum anderen lässt sich ein Schiff in einem Industrieland anscheinend schneller herstellen als ein Gebäude in einer Kolonie.

Gleichzeitig mit dem Postamt in Saigon begann der Bau des Dampfers „Hertha“. Im gleichen Jahr wurde er in einer Stettiner Werft fertig. Er ist keine 23 Meter lang (wie man sieht – das Postamt ist länger). Und nur 4,80 breit (… und breiter). Auch der Tiefgang von höchstens 1,20 beeindruckt nicht. Jedenfalls nicht im Vergleich mit einem (wahrscheinlichen) Keller unter dem Hauptpostamt, der auch bei einer durchschnittlich geringeren Körpergröße im ausgehenden 19. Jahrhundert eine höhere Decke als 1 Meter 20 gehabt haben dürfte. Einen Keller brauchte man bestimmt, für einen Tresor für Briefmarken, Dokumente und Geld.

Die „Hertha“ verkehrte lange auf der Kyritzer Seenkette. Fritz Lindner, der dabei war, mit vier anderen in der Hauptstadt des Deutschen Reiches einen Fußballverein zu gründen, hatte die Idee, diesen nach dem Ausflugsdampfer zu benennen, weil Lindner kurze Zeit zuvor mit seinem Vater auf der „Hertha“ auf der Havel gefahren war. Deshalb der Name „Berliner Fußball-Club Hertha 1892“. Kaum war das Postamt in Saigon fertig, wurde die ‚alte Dame‘ Hertha BSC gegründet.

Und warum hieß der Dampfer so? Weil die Tochter des Reeders auf diesen Namen hörte; und es üblich war, ein Schiff nach der Tochter zu nennen.

Nicht zu verwechseln übrigens mit der preußischen Korvette „Hertha“, die, nur vier Jahre alt, an den Sueskanaleröffnungsfeierlichkeiten teilnahm. Sie war auch eines der ersten Schiffe, die den Suezkanal durchfuhren. Übrigens von Nord nach Süd.

2023 100. Todestag

Herr Bonickhausen trägt einen Genanntnamen wie sie in Westfalen und „Niedersachsen“ üblich waren. ‚Bonickhausen‘ war aber für die Franzosen zu schwer auszusprechen, also nannte man ihn „Eiffel“, weil er aus der Eifel kam, aber man sprach es nicht „Ei-Fell“ aus, sondern „Ä-Fell!“ (hinten betont). Bonickhausen alias Gustaf oder Gustave Eiffel starb erst am 27.12.1923. 2023 ist also sein 100. Todestag.

Eiffel erbaute Estland einen eigenen, echten estnischen Eiffelturm

Eiffel baute auch einen Leuchtturm in Estland (der nicht als Eiffelturm bekannt wurde, obwohl es auch einer ist), eine Kirche in Mexiko, Kathedralen und ein Eisenhaus in Peru … Sogar ein SHERRY-Lagerhaus in Spanien! Er baute Bahnhöfe: den Westbahnhof in Budapest, das Bahnhofsdach in Santiago de Chile und ein Viadukte und vieles mehr. Er baute erbauliche Paläste Der Ingenieur war also international und auf vielen Kontinenten tätig. Außer der Antarktis ist mir nur aus Australien keines seiner Bauwerke bekannt. Nord- und Südamerika, Afrika, Asien und Europa wurden mit Metall versorgt. Eiffel war viel unterwegs, obwohl es noch gar keine Flugzeuge gab, erst zu seinem Lebensabend und ja noch lange nicht die ganze Welt mit Langstrecken für Passagiere erschließend.

Die Post war also viel wichtiger als heute, wo es E-Mails gibt. Postämter ebenfalls, und so auch das Postamt in Saigon, als Annam zu Frankreich gehörte und Hanoi noch zu Tonkin*. Die Kolonialherren entschieden gleich nach der Übernahme des Landes, das Hauptpostamt errichten zu lassen. Die Bauarbeiten begannen ein Jahr später – schnell für die Entfernung und Erreichbarkeit nur per Schiff. „Kritische Infrastruktur“. Die sollte halten, besonders in den regenreichen Tropen, wo Holz schneller verfault(e). Hart wie Kruppstahl ist die Konstruktion und hält noch heute.

Eiffelbrücke auf Réunion, ehemals Île Bourbon oder Île Bonaparte

Eiffel erhielt europäische Aufträge. Frankreichs Kolonien waren freilich favorisiert. Unter den vielen Brücken, die er baute – eine wurde vielen zum Verhängnis – ist die Hängebrücke bei Sainte-Anne, Réunion. Die Insel gehört geographisch zu Afrika. Réunion bedeutet unter anderem Wiedervereinigung oder Treffen und französisch ist bis heute die Lingua Franca auf der ‚Insel der Zusammenkunft‘. Es ist eine französische Region und gehört heute zur Europäischen Union. Sie können ja auf ihren Euroscheinen mal nachsehen.

Das Postamt in Saigon war unter französischem Einfluss; Eiffel baute aber auch außerhalb dieses – auf 5 Kontinenten

Das französische Kolonialreich war groß. Aber Eiffel war international aktiv. Trotzdem war es natürlich ein bisschen einfacher im französischen oder frankophonen Raum tätig zu sein. Die größten Höhen erreichte er mit dem Eiffelturm eben dort. Die größten Tiefen versenkten ihn in 30 Schleusen des Panamakanals und im Panamaskandal sowie im schweizerischen Münchenstein, wo seine Brücke zusammenbrach. Das größte Eisenbahnunglück der Schweiz. (Der Ort liegt im Kanton Basel-Landschaft.) Doch das ist eine andere Geschichte.

Brückenbau in Sankt Petersburg

1892 gab es in der Hauptstadt des russischen Reichs einen Wettbewerb zum Bau der Dreifaltigkeitsbrücke. Diese wurde dann auch in Sankt Petersburg gebaut, aber von einer anderen französischen Firma. Allerdings bildete Eiffels Projekt die Basis.

Die Sache mit Tonkin

*Tonkin ist ein Wort, das offiziell in Vietnam nie in Gebrauch war. Hanoi heißt im 15. Jahrhundert 東京, das bedeutet chinesisch wie vietnamesisch östliche Hauptstadt. Vietnamesisch spricht man es Đông Kinh aus, chinesisch Dongjing (sprich: Dung-dsing).

Die Schreibweise ist gleich, da zum Schreiben Zeichen verwendet wurden und werden – und kein Alphabet.

Tongking oder Tonkin als nördliche Landesgegend wird vietnamesisch Bac KY genannt; von chinesisch: Nordgrenze. Weil es aus vietnamesischer Sicht die Grenze zu China im Norden Vietnams ist, was Vietnamesen betonen wollen. Denn Annam gehörte ja schließlich zu China und war noch weiter südlich von der „Grenze“ entfernt, die immer anders gezogen wurde. Viele Vietnamesen waren Vasallen. Wollten aber unabhängig sein. Vietnam war wie Korea China tributpflichtig gewesen.

Die Bucht vor Nordvietnam trägt diesen Namen. Der sogenannte Tonkin-Zwischenfall, eine Fälschung, wie die USA danach zugeben mussten, war der Anlass, mit dem die Vereinigten Staaten in den Vietnamkrieg eintraten.

Đông Kinh hieß halt die heute Hanoi genannte Hauptstadt.

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