Bonn, Deutschland (Kulturexpresso). Wer ist Evita? Mit dieser Frage präsentiert sich das Erfolgsmusical von Andrew Lloyd Webber in der Oper Bonn. Die heimische deutschsprachige Inszenierung von Gil Mehmert folgt dabei der Originalproduktion von Harold Prince, indem sie den in der Hauptperson Evita Peron (Bettina Mönch) angelegten Facettenreichtum bis hin zur Widersprüchlichkeit überzeugend heraus arbeitet.
Grande Dame und Mutter
Ist sie die Grande Dame, als die sie sich in gekonntem Auftritt mit treffsicherem Instinkt präsentiert? In einer Symphonie aus persönlichem Aussehen und öffentlichem Auftreten? Dabei stets elegant gekleidet bis hin zur zauberhaften weißen Robe (Kostüm: Adelheid Pohlmann), in der ihr auch die Herzen des Publikums umgehend zufliegen.
Oder ist sie eher die fürsorgliche Mutter des argentinischen Volkes, die mit ihren Schwüren, Beteuerungen und Versprechen auf der Klaviatur der öffentlichen Gefühle unglaublich manipulativ zu spielen vermag? Der es bei ihrem Einsatz sogar gelingt, mit Hilfe ihres Mannes Juan Peron (Mark Weigel) dem in die Krise geratenen Staat zu neuer Stabilität zu verhelfen. Und die darüber hinaus mit großer Geste eine Stiftung für sozial Schwache ins Leben ruft, die als Dankesbekundung nichts weiter tun sollen, als sie inständig zu lieben.
Karrieresprung
Damit diese Art der Selbstdarstellung nicht alle anderen Sichtweisen überlagert, haben Text (Tim Rice) und Inszenierung die klar konturierte Person des Che (David Jakobs) als Widerpart an Evitas Seite gestellt. Mit seiner sozialistischen Sichtweise nach dem Muster Che Guevaras lenkt er die Blicke hinter die faschistischen Kulissen der argentinischen Gesellschaft und lässt Evitas auf effektvolle Selbstdarstellung angelegte Schau zuweilen auf empfindliche Weise platzen.
War sie, so legt sich die Vermutung nahe, nicht im Grunde ihres Herzens die egoistische Aufsteigerin aus der argentinischen Provinz, die in der Metropole Buenos Aires als „Pretty Woman“ zum Karrieresprung ansetzte? Und die sich dann kühl kalkulierend dem viel versprechenden Offizier Juan Peron in die Arme warf? Unglaublich realistisch bringt es die Szene auf den Punkt, in der Evita dessen Geliebte (Eva Löser) auf unwirsche Weise aus dem vorgewärmten Bett hinaus wirft.
Zusammemprall der Antagonisten
Oder überwiegt in der Kritik eher die Skrupellosigkeit im sozialen Bereich? Indem sie die für ihre Stiftung rigoros eingetriebenen Spendengelder teilweise zweckentfremdet, indem sie sie für den eigenen Bedarf nutzt oder auf Schweizer Bankkonten deponiert. Unglaublich realistisch auch hierbei die Szene, in der sie die Damen der argentinischen Oberschicht in aller Deutlichkeit mit ihrer Forderung brüskiert, ihre Wertgegenstände in die Stiftung einzubringen.
Einer der Höhepunkte der Inszenierung wird erreicht, als die beiden Antagonisten aufeinander prallen und sich ungeschminkt mit ihrer jeweiligen Wahrheit konfrontieren. Zur Sprache kommt dabei natürlich auch „das Böse“, das die Welt regiert. Wer bisher in „Evita“ eine argentinische Love Story vermutete, wird hier auf dramatische Weise eines Besseren belehrt.
Heilige und Vamp
Wie wenig moralisch es in dieser Welt zugeht, zeigt sich auch in dem spannenden Machtpoker der Offiziere. Sie veranstalten ihren Aufstieg nach ganz oben als eine zunächst belustigende „Reise nach Jerusalem“, wobei sie sich gegenseitig die Sitzgelegenheiten wegziehen. Ein Spiel, bei dem Peron schließlich übrig bleibt, weil er sich mit einem rabiaten Trick seines letzten Mitbewerbers entledigt , sich damit aber als Schuft entlarvt.
Evita hingegen endet in der Wahrnehmung der Inszenierung halb als Heilige und halb als verführerischer Vamp. Und nie besteht der geringste Zweifel daran, dass Evita-Darstellerin Bettina Mönch nicht ihrer Rolle in grandioser Perfektion gerecht würde. So erweist sich „Evita“ im ausverkauften Haus als ein Riesenerfolg. Daran haben auch der Chor sowie der Kinder- und Jugendchor des Theater Bonn, die auf der Bühne platzierten Instrumentalisten unter der Leitung von Jürgen Grimm sowie das Tango-Tanzensemble ihren erheblichen Anteil.
Zahlreiche weitere Aufführungen bis Ende März 2017