Fahren Sie Bahn solange es noch geht. Signale auf Streik

© Photo/ BU Andreas Hagemoser 2022 leerer Bahnsteig, aber die Züge fuhren am Samstag ab etwa 15:30 wieder. Die S-Bahn wird betrieben durch die S-Bahn Berlin GmbH und die gehört zur Bahn
Gleis 4 am Bahnhof Grunewald: die S-Bahn-Züge der Linie nach Ahrensfelde über Westkreuz/ Charlottenburg werden wieder angezeigt und fahren im Zehnminutentakt. Aufnahmezeit: 21:22 Uhr am 6.8.22. © Photo/BU Andreas Hagemoser, Aufnahme: Berlin, 6.8.2022

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Signale auf Streik! Fahren Sie Bahn, solange es noch geht! Das könnte das Motto für die Fahrgäste sein. Die GDL*-Urabstimmung in der zweiten Tageshälfte des 19. Dezembers 2023, eines Dienstags, ergab 97% für einen dauerhaften Streik. Ein seltenes und selten hohes Ergebnis der *Gewerkschaft der Lokführer(GDL**). (Genauer: Die Verkündung des Ergebnisses geschah in der 2. Tageshälfte.) 2015 wurden 6 Tage gestreikt. 2021 5 Tage. 2023 blieb es bei jeweils 1 Tag. Mit einem Tag wird es nächstes Mal nicht getan sein. Die Verhandlungsfronten zwischen Arbeitgeber und Lokführergewerkschaft sind verhärtet, Verhandlungen finden nicht mehr statt.

Der Gewerkschaftsführer der Lokführer – der Lokführergewerkschaftsführer, kürzer wird’s leider nicht – hat zwar eine Weihnachtsruhe verkündet. Nicht Weihnachtstruhe (und wenn, nur mit einem Geschenk darin: Streikandrohung, Drohung, den Schienenverkehr zum Jahresanfang ganz zum Erliegen zu bringen), W.-Ruhe. Also: Gestreikt werden wird erst nach Weihnachten. Da Russen und Bulgaren, Griechen und Serben und viele Ukrainer und Weißrussen am 7. Januar 2024 Weihnachten feiern werden, also ab 8. Januar 2024.

Aber halt, das ist auch verkürzt geschrieben und daher teilweise unrichtig.

Streik der Lokführer unsicher, aber wahrscheinlich; deshalb: Fahren Sie Bahn, solange es noch geht

Ob gestreikt werden wird, im Januar 2024, steht noch nicht 100prozentig fest. Auch nicht 97prozentig. Das entscheidet der Chef bzw. das höchste Gremium; das Votum der Gewerkschaftsmitglieder haben sie ja jetzt in der Tasche. Und zwar nicht für einen Warnstreik, sondern für einen richtigen. Einen dauerhaften.

Ein ICE 4 in einer Winterlandschaft im Bundesland Bayern. © Deutsche Bahn AG, Foto: Uwe Miethe, BU: Stefan Pribnow

Streikaufschub und Weihnachten – Fahren Sie Bahn, solange es noch geht

Richtig ist, dass wegen Weihnachten „Weihnachtsruhe“ herrscht. Diese Vokabel hat der DGL-Boss benutzt. Unklar ist, ob er wegen der zahlreichen Russen und Ukrainer in Deutschland, die am 7. Januar Weihnachten feiern werden, Rücksicht genommen hat. Oder ob er wegen der Schulferien und des „Dreikönigstages“ diesen Zeitpunkt wählte. Vielleicht nimmt er ja auch Rücksicht auf die FDP-Mitglieder, die zum Dreikönigstreffen wollen.

Wann ist eigentlich Weihnachten?

Was oben im 2. Absatz steht, ist im Detail dann doch anders. Orthodoxe Christen feiern die beweglichen Feste nach Cäsars Kalender. (Da tanzen nur die Finnen aus der Reihe.) Ein Teil der Kirchen hat für die festliegenden Feste wie Weihnachten und Taufe Christi einen Kalender eingeführt, der bis 2800 dem westlichen, gregorianischen entspricht.

Aber eben nur ein Teil. Natürlich gibt es ein paar Griechen, Rumänen und Mazedonier, die am 7. Januar Weihnachten feiern. In Griechenland feiert man jedoch am 25. Dezember „unseres“ Kalenders Weihnachten. In Russland, der Ukraine und Serbien zum Beispiel feiert man am 25. Dezember des alten Kalenders. Das ist der 7. Januar „unseres“, in Deutschland, Österreich und der Schweiz meistgebräuchlichen Kalenders.

Das mit dem Kalender hat auch nicht allen orthodoxen Christen gepasst, so dass es ein weiteres Schisma – eine Trennung und Aufteilung – gab. Seit dem 20. Jahrhundert gibt es die Altkalendarier.

Geburt im September oder Oktober

Doch es wird nicht einfacher: Neuere Forschungen haben bestätigt, dass der Geburtstag Jesu Christi, der ja mit dem Weihnachtsfest eigentlich begangen werden soll, im September oder Oktober lag (etwa zum Laubhüttenfest). Dafür spricht auch, dass der Kaiser eine Volkszählung nicht im Winter angeordnet hätte, schon wegen der Unwegsamkeit und möglichen Krankheitsfälle nicht. Dafür spricht weiterhin, dass nach der Ernte im September Geld zum Reisen vorhanden war und viele Juden dies auch taten, da man einmal im Jahr nach Jerusalem musste, um wieder eine gute Ernte erhoffen zu können.

Dabei auf dem Weg im Heimatort vorbeizuschauen (aus Volkszählungsgründen), war durchaus möglich und teilweise bei manchen auch sonst sowieso üblich. Und der Engel verkündete den auf dem Feld lagernden Hirten die Geburt Jesu. Im November werden aber in Palästina und Israel die Schafe schon in die Ställe gebracht, wo sie den Winter über bleiben. Der Stern von Bethlehem ging also im September oder Oktober auf. Maria und Josef fanden ja Herberge in einem Stall. Es passt sonst vorn und hinten nichts zusammen, auch wenn wir uns an Glühweintrinken bei „Weihnachtsbeleuchtung“ gewöhnt haben.

Naja, macht nichts. Man kann Geburtstage ja nachfeiern.

Und für die, die sowieso nicht wissen, dass sie an Weihnachten einen Geburtstag feiern, ist es auch egal.

Gestreikt wird am evangelischen und orthodoxen W.-Fest jedenfalls nicht. So kann der irrtümliche Jahrestag fast unbehindert begangen werden.

In der Lokführergewerkschaft sind nicht nur Lokführer

Wen’s interessiert: Die 1867 gegründete **GDL nimmt nicht nur Lokomotivführer auf, sondern seit 2002 das gesamte Fahrpersonal, zum Beispiel Schaffner, Speisewagenköche und -kellner. Seit 2020 ist die selbsterlegte Beschränkung auf das Zugpersonal auch aufgehoben worden, so dass jetzt sogar das gesamte Eisenbahnpersonal Mitglied werden kann. Streckenläufer, Stellwerker, Fahrkartenverkäufer, alle. Wohin sowas führen kann, liest man bei Ayn Rand: „Atlas shrugged“ (in deutscher Übersetzung z.B. „Atlas wirft die Welt ab“ oder „Der Streik“). „Fahren Sie Bahn, solange es noch geht“ erhält da noch eine ganz andere Bedeutung.

Alternativen für Deutschland

Auto – (dann und wann ist endlich Winter?)

Dagegen sprechen das Winterwetter und die schlechtere Sicht in der dunklen Jahreszeit. Am 1.12. begann der meteorologische Winter, am 22.12.2023 ist der echte Winteranfang. Also das Datum mit dem kürzesten Tag und der längsten Nacht der Nordhalbkugel. Ganz genau: um 4:27 Uhr am Freitag, den 22. Dezember 2023. Ein schwarzer Freitag sozusagen. Obwohl die privilegierten Börsenheinis in London schon am selben Tag nur noch verkürzt handeln und nicht viel Gutes tun, aber auch nicht so viel Schaden anrichten können.

Im Januar ’24 gilt die erhöhte CO2-Abgabe und das Tanken wird dann noch teurer.

Im Nahverkehr zeigt die Erfahrung des jüngsten GDL-Streiks in Deutschland auch: Fährt die Bahn nicht, fahren mehr Busse und alle, die es können, weichen gleichzeitig aufs Automobil aus. Straßen zu, Stauungen, Freizeitverlust, Verspätungen.

In Berlin kommt erschwerend hinzu, dass die S-Bahn von der der Bahn unterstellten S-Bahn-GmbH gemanagt wird. Die BVG wird bei einem Lokomotivführerstreik also nicht nur mehr U-Bahnen, sondern auch mehr Busse einsetzen. Wo es in Berlin noch Straßen gibt, auf der Autos fahren dürfen, die weder baustellenbelastet sind noch gesperrt, nicht durch Fahrrad- und Busspuren schon im Alltag hoffnungslos zugestaut, wird also der Verkehr durch große Staus zusammenbrechen. Mehr Abgase, weniger volkswirtschaftliche Leistung. Wer das nicht glaubt: Im November 23 konnte man es – in der Hauptstadt! – erleben.

Flugzeug – Fahren Sie Bahn, solange es noch geht

Viele Strecken taugen nicht für den Flieger. Und andere Strecken werden nicht mehr bedient, die bis vor kurzem noch regelmäßig abgedeckt wurden. Aus wirtschaftlichen oder vorgeschobenen ökologischen Gründen. Interflug gibt es auch nicht mehr und im Gegensatz zur Bahn helfen hier die Tschechen, Holländer und Österreicher nicht aus, die bei der Bahn die De-Facto-Abschaffung des Schlafwagens quasi „umgangen“ sind. Im tschechischen Speisewagen schmeckt es sowieso am besten.

Wer das nötige Kleingeld hat, Ausweispapiere und sämtliche Flüssigkeiten in Gefäße kleiner 100 Milliliter abgefüllt, könnte fliegen, aber in der Regel nur einen Teil der Strecke. Nachteil im Januar: nicht nur die „CO2-Abgabe“ wird erhöht, nein auch die Ticketabgabe. Eine von einigen geplante Kerosinsteuer wird es nicht geben, da die Lufthansa einseitig belastet werden würde. Dafür wird es eine (erhöhte) Ticketabgabe geben.

Auf den Hund gekommen

Beim Reiseziel Berlin kann man noch den Sonderabsatz im Kapitel ‚Auto‘ lesen. Nach Berlin fliegen kann man eh nicht mehr, nur noch nach Brandenburg. Trost bieten da nur noch die Therapiehunde, die jetzt ehrenamtlich auf dem inzwischen fertig gewordenen BER als Streicheltier bereitstehen, mit dem Schwanz wedeln und einen vielleicht mit echten Hundeaugen anschauen.

Sie kommen Stunden zu spät zur Arbeit? Ausgleich: einmal noch auf dem Flughafen einen Hund streicheln. Da ist der Stress doch gleich weg, oder?

Vulkanausbruch: Umweltschutz für die Katz

Vom schlechten Umweltgewissen, dass man nicht zu haben braucht, sprechen wir in der Notsituation ‚Zugführerstreik‘ gar nicht erst. Am Abend des 18. Dezembers ’23 brach in Südwest-Island ein über drei Kilometer langer Spalt in der Erde auf, aus dem Magma bis zu 100 Meter in die Luft geschleudert und zu Lava wurde und dann zu Stein. Der Schnee auf Island konnte das nicht stoppen. Selbst wenn es im Juli und August 2023 im Krysuvik-Vulkansystem keinen wochenlangen Ausbruch gegeben hätte und Island das einzige Vulkanausbruchsland 2023 geblieben wäre: Soviel Kohlenstoffdioxid können wir im Leben nicht „einsparen“. Fahren Sie Bahn, solange es noch geht…

Ach ja, und jeder Streiktag kostet die Gesellschaft 100 Millionen Euro. Denn die Wirtschaft ist betroffen. Es werden nicht nur die Personenzüge nicht fahren, sondern auch die Güterzüge.

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