Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). In den Letzen Jahren kamen in kleineren Nischenverlagen einige gute Bücher zur Fußballkultur im Allgemeinen und zum Ultra im Besonderen heraus. Dazu gehört unter anderem der Verlag Burkhardt & Partner aus dem verschlafenen Freital. Weil sich aber Dresden mit der allmächtigen SGD gleich um die Ecke befindet, ist man selbst im halbfinsteren Südsachsen fußballerisch ausgeschlafen. In früheren Jahren boten die B&P-Bücher und Fanzines zur Ultrakultur gern mal recht eindimensionale Nabelshows der Ultraklientel, so brachte man die Sauf- und Rauferinnerungen eines Dresdner Capos (=Vorsänger der Ultras) heraus.
Inzwischen ist der Blick etwas kritischer geworden, wenigstens bestätigen das die beiden jüngst erschienenen Bücher (jeweils Übersetzungen), die sich mit der Ultrakultur in Frankreich und Italien beschäftigen.
Tobias Jones taucht in seinem Buch: Ultra- Jenseits des italienischen Fußballs tief in die Geschichte der italienischen Ultrabewegung. Jones ist ein Mensch, dem es die großen Choreos, feurigen Gesänge und martialischen Auftritte der Fans mehr angetan haben als der Fußball selbst.
Er mag das berauschende Drumherum, die wilde Kraft der Curva, wenn sie explodiert und ihre Funken über Ränge und Spielfeld wirft.
Ein Ultra ist ein Lokalpatriot, dem sein Viertel, sein Dorf, seine Stadt, dessen Fußballclub, über allem steht. Dafür gerät er in Ektase, dem Verein opfert sein letztes Hemd, spart seine Cents und schenkt ihm seine Liebe. Ein Ultra folgt dem bösen Schiedsrichter wenn’s sein muss bis nach Hause, Ultras kennt keine Gnade, wenn es um die eigenen Farben geht, doch die Ultras sind in ihrer Reinform eine Solidargemeinschaft mit Ehrenkodex und einem Verständnis fürs miteinander, das ihresgleichen sucht. Im Zentrum von Jones Buch stehen die Ultras aus Cosenza (aktuell in der 2. Liga Italiens unterwegs), die er in einer spannenden Langzeitbeobachtung betrachtet. Ausführlich behandelt er ebenfalls die rechtsextreme Ausrichtung vieler Kurven, den Drogenhandel in den Kurven und das italienische Gewaltproblem mit seinen vielen Toten.
In Ultra – Französische Lebensart, einem in Frankreich 2018 erschienenem Buch von Insidern der Ultraszene, werden uns alle großen und kleinen Gruppen Frankreichs vorgestellt. Die drei Autoren haben sich auf eine Reise ins Herz der Ultras begeben, n Protagonisten getroffen und aus diesen Gesprächen ihre Texte verfasst.
Die Sprache ist manchmal etwas holprig, die Ereignisse werden selten auserzählt, ein kritischer Blick auf die Szenen fehlt – hier bietet Jones eindeutig mehr. Nichtsdestotrotz ist es die erste umfassende Behandlung der französischen Ultrabewegung und insofern lesenswert. Natürlich neigen Ultras zu Übertreibungen. Aber dazu neigen ihre natürlichen Feinde, Polizisten und Journalisten, in ihren Verlautbarungen ebenfalls.
Leider sind beide Bücher ordentliche Bleiwüsten ohne Fotos und einen originellen grafischen Ansatz, das gibt einen Punktabzug. Ob sich kritische Bücher in eine Szene (die sich gern selbst abfeiert) verkaufen, wird man sehen.
Der Wille aller Autoren, die Ultras aus der Schmuddelecke des Fußballs zu holen, wo sie für viele Menschen neben Rockern, Clankriminellen und gefährlichen Dackelzüchtern ein Außenseiterdasein führen, ist unbedingt lobenswert. Weil er der Leserin den Blick öffnet für die hoffnungslose Romantik dieser jungen Leute (leider zumeist männlichen Geschlechts), die in ihrem Leben oft nichts anderes haben als ihre Gruppe, mit der sie jeden Tag den Fußball und ihren Verein feiern, als gäbe es nichts Besseres auf der Welt.
Bibliographische Angaben
Adrien Verrecchia, Bastien Poupat, Benoit Taix, Ultra – Französische Lebensart, 352 Seiten, Verlag: Burkhardt & Partner, Freital-Pesterwitz, 2021, 352 Seiten, ISBN: 978-3-940159-28-1, Preis: 19,90 EUR (Deutschland)
Tobias Jones, Ultra – Jenseits des italienischen Fußballs, 380 Seiten, Verlag:, Burkhardt & Partner, Freital-Pesterwitz, 2021, 380 Seiten, ISBN: 3940159271, Preis: 19,90 EUR (Deutschland)