Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Russland kann ich in der Kürze dieser Kritik nicht erklären. Das liegt vor allem daran, dass ich es nicht verstanden habe. Couchsurfing schon. Damit ist bereits mit Wikipedia-Halbwissen leicht zu erläutern. Damit ist schlicht das Anbieten und Nachfragen von „Mitglieder einer Website“ namens Cuchsurfing gemeint, um einerseits eine möglichst „kostenlose Unterkunft“ zu ergattern, auf jeden Fall eine Billig-das-will-ick-Herberge auf Reisen zu finden, andererseits Bett und Badezimmer, mal mehr, mal weniger, zu geben, ohne Geld zu nehmen. Gut, dass es neben einem allgemeinen noch jede Menge besondere Äquivalente gibt. Kleine Gaben aus dem Herkunftsland und mitunter große Aufmerksamkeit scheinen in der Regel durchaus willkommen.
Jeder reist auf seine Weise und so sehen auch die Erfahrungen der Gäste und derer aus, die bereitwillig Gäste bei sich aufnimmt und sie – hoffentlich – zuvorkommend behandeln.
Das Ganze wird daher „Gastfreundschaftsnetzwerk“ genannt, wobei der Begriff Freundschaft gedehnt wird wie ein Kaugummi, der überwiegend aus Kunststoff besteht, weswegen manche, die vermutlich schlechte Erfahrungen beim Sofasurfen sammelten, Mitglieder dieses Netzwerk auch als hinterlistig und hundsgemein bezeichnen. Wie geschrieben: Jeder auf seine Weise. Immerhin werden Millionen von Nutzerinnen und Nutzer der Webseite, die nicht nur ihre Behausungen vorstellen, sondern sich wie selbstverständlich, mit den wohltuenden Worten „Übernachte bei Locals und lerne andere Surfer kennen“ empfangen. Mit Surfen ist nicht Wellenreiten sondern Internetsurfing gemeint, aber auch im Weltnetz türmen sich Wogen auf.
Allen Stürmen in der virtuellen und realen Welt zum Trotz reiste Stefan Orth, der früher für Spiegel-Online arbeitete und dessen flotte Feder entsprechend bekannt sein dürfte, im Spätsommer 2016 in die Russische Föderation, die offenbar unter Sofasuchern als „harter Brocken“ gilt. Der Ton sei so scharf wie nie nach der Implosion der UdSSR, meint Orth, der es an „den Extrempunkten“ touristischer Pfade interessant zu finden scheint. „Anti-Ästhetik! „Reisen als Horror-Film“ oder Thriller, warum nicht? Die Eskalation um Russland „bis zum militärischen Konflikt“, wie Orth schreibt, ja, Krieg ist damit gemeint, ist nicht zu leugnen und vor allem von der Wall Street und aus Washington wird immer wieder die nächste Stufe erklommen.
Und irgendwie habe Orth, der es gewohnt sei, gut begrüßt zu werden, genug Schönheit auf Reisen gesehen, um „bereit für das andere Extrem“ zu sein. Keine Frage: Daran kann man sich gewöhnen. Doch jetzt reicht Russland. Orth bereitet sich vor. Besuchte einen Sprachkurs und die Webseiten von „Sputnik“ und „RT“. Orth wolle Putin-Versteher werden, heißt es auf der CD „Couchsurfing in Russland“. 2014 sei er darauf gekommen, weil Angela Merkel mal meinte, „Putin lebe in seiner eigenen Welt“. Grund genug für jemanden wie Orth, diese zu bereisen.
Mit Orths Philosophie „auf Reisen ja zu sagen“ und im Zweifelsfall neugierig und offen zu sein, suchte er weniger Intellektuelle als vielmehr Stinknormale auf, beispielsweise am „Arschloch der Welt“, wie der lokale Spitzname für das Diamantenbergwerk Mir bei Mirny in Jakutien lautet, das sogar für den Reiseführer „Lonely Planet“, der besonders beliebt bei Alleinreisenden ist, „zu lonely“ sei. Orth schreibt über die Mir-Mine und die Stadt auf Stelzen – „wegen des Permafrost-Bodens“ – durchaus sarkastisch, ohne persönlich zu werden, bisweilen zynisch, aber ohne Zorn. Was fehlt? Eine gehörige Portion Ironie – vor allem in Bezug auf sich selbst. Doch das mag an Shenja Lacher liegen, die das von Orth Geschriebene für den Hörverlag gelesen hat.
Orth besuchte Moskau, das „Dorf einer Weltuntergangssekte in Sibirien“, wie der Hörverlag mitteilt, „eine Hippie-Villa auf der Krim“ und so weiter. Was schreibe ich? Hören Sie selbst!
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Stefan Orth, Couchsurfing in Russland, Wie ich fast zum Putin-Versteher wurde, gelesen von Shenja Lacher, eine MPP3-CD, Laufzeit: 7 Stunden und 33 Minuten, Der Hörverlag, München, März 2017, ISBN: 978-3-8445-2283-9, empfohlene Verkaufspreise: 16,99 EUR (D), 19,10 EUR (A) und 24,50 CHF
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