Freud, „Sigmund Freud“ oder „Freud über Freud“ – eine Filmbiografie von David Teboul

Plakat zum Film "Sigmund Freud – Freud über Freud" von David Teboul. © WILDart Film, BU: Stefan Pribnow

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). „Ich bin am 6. Mai 1865 zu Freiberg in Mähren geboren“, beginnt der Film mit dem Titel „Sigmund Freud“. „Zwischen zwei und zweieinhalb Jahren erwachte meine Libido gegen Matrem und zwar aus Anlaß einer Reise mit ihr von Leipzig nach Wien, auf welcher wir übernachteten und Gelegenheit gewesen sein muß…“, erzählt der Ich-Erzähler.

Dann erklärt ein Sprecher, daß Freud’s Vater in eines der ärmsten Viertel Wiens gezogen sei und zwar in die Leopoldstadt, in der sich schon andere Juden aus Böhmen und Mähren, Ungarn und Galizien niedergelassen hätten. Freud’s Wißbegierde in „Jugendjahren“ habe sich „auf menschliche Verhältnis als auf natürliche Objekte“ bezogen. Daß Freud der „mündlichen Weisheit des Judentums“ gegenüber „empfänglich“ gewesen sei, das wird erzählt und auch, daß ihm die Geschichte von Moses in Ägypten gefallen habe und auch die Geschichte der Patriachen, mit mit allerlei Frauen, Mägden und Geliebten Nachkommen zeugten. Daß er seine junge Mutter Amalie vergötterte und er der Ansicht gewesen sei, daß „Söhne, die die Lieblinge ihrer Mütter waren“, würden „als Erwachsene ein unerschütterliches Selbstbewußtsein besitzen“, heißt es.

Von der Bibel als ein wesentliches Buch von Freud wird gesprochen, wobei er ab dem siebten Lebensjahr in der von Ludwig Philippson, der wie Freud en Deutscher war, beruflich zudem ein Schriftsteller und Rabbiner, „geblättert“ habe und wohl auch gelesen. Sie ist sowohl in Deutsch als auch Hebräisch geschrieben und stelle „eine Verbindung“ zwischen der Orthodoxie und Reformbewegung dar, welche Juden die Assimilation nahelege. Bilder, genauer: Radierungen, sind in der Philippson-Bibel als Familien-Tora enthalten.

Im Film ist von Hannibal-Phantasien ist die Rede, die Freud in jungen Jahren gehabt haben solle. Dann beginnt die Zeit, in der sich Freud in Wien im Herbst 1886 als Arzt niederließ und „heiratete ein Mädchen“, das „in Hamburg vier Jahre“ darauf gewartet habe. Freud wird als „treuer Sigmund“ präsentiert.

Nun wird die Begegnung Freuds mit dem Hohepriester der Hysterie nacherzählt. Hypnose könne diese Form des „Frauenleidens“, der „Neurose des weiblichen Zeugungsapparats“, der „Krankheit der Empfindung“ helfen. Doch der habe sich diesen Schauen des Nervenarztes Jean-Martin Charcot in der Hôpital de la Salpêtrière genannten Nervenklinik, die zugleich ein Armenhaus und Gefängnis war und als „Weibliche Hölle“ oder „Zweite Bastille“ bezeichnet wurde, abgewandt und den Patienten den Rücken zugekehrt. Immerhin betrachtete Charcot die Hysterie als eine psychische Krankheit und schlitzte den Frauen nicht den Unterleib auf. Später verschwand die Hysterie aus allen Lehrbüchern wie Charcots Lieblingsvorführfall Augustine aus der Salpêtrière von Paris.

1878 geht es in Wien weiter mit den Geburten der Kindern von Herrn und Frau Freud, darunter auch Anna Freud. Kommt war sie auf der Welt, wurde das erste Buch ihres Vaters, damals mit Josef Breuer, veröffentlicht unter dem Titel „Studien zur Hysterie“. Über „Redekuren“ als „Talking Cure“ und Heilung als „Schornsteinfegen“ ist die Rede. „Wenn eine Erinnerung nicht hochkommen kann, müssen die Patientinnen und der Arzt deren Auftauchen mit aller Kraft betreiben“, heißt es.

Anna und Sigmund Freud 1929. © Freud-Museum London

Wilhelm Fließ und Sigmund Freud veranstalteten Kongresse, bei denen sie die einzigen Zuhörer und Redner waren. Wunderbar, aber deren Duett als „Zwillinge“ ist nichts gegen das, was ich alleine mit meinen Pseudonymen treibe! Weiter treibt David Teboul als Regisseur, der mit François Prodromidès das Buch zum Film „Sigmund Freud“ schrieb, den Film zur „Traumdeutung“. In dem 1900 veröffentlichten Werk habe sich Freud zum „Erzähler seines eigenen Traumlebens“ gemachte. Doch das Jahrhundertbuch, in dem er sich entblättert, zeige Freud sowohl als Erzähler als auch als Analytiker. Oh, König Ödipus, ach, „freie“ Assoziation!

Erst Fließ als Freund, dann als Feind, das Gleiche mit Carl Gustav Jung, und dann noch die Mittwochsgesellschaft, aus der die Wiener Psychoanalytische Gesellschaft wird.

Dann muß der Nachwuchs an die Front. Dafür kommen ab 1914 Kriegsneurosen und Kriegspsychosen hinzu. Freud wird mit den Worten „Die Humanität scheint wirklich tot zu sein“ zitiert. „Totem und Tabu“ lesen und daran denken: Wenn Du den Frieden erhalten willst, rüste dich für den Krieg. Aus Si vis pacem para bellum wird bereite Dich auf den Tod vor, um das Leben zu ertragen (Si vis vita para mortem).

Freuds Couch solle „ein Spiegelbild seiner Zeit“ gewesen sein, auf das sich die Bourgeoisie beziehungsweise das „Großbürgertum, Frauen, viele Frauen, melancholische Prinzen und unausgelastete Prinzessinnen, Familien voller schädlicher Geheimnisse“. Freuds Kundschaft sei „eine kranke Klasse“ gewesen, die „begierig darauf gewesen“sei, „zu ihrem Unbewußten vorzudringen“.

Freud führt seine Kartographie des Psychischen fort und präsentiert das Es, Ich und Über-Ich.

Auch die zionistischen Bestrebungen sind Thema sowie Freuds Grußworte zur Eröffnung der hebräischen Universität in Jerusalem. Freud wird Ehrenmitglied der Kadima, einer zionistischen Studentenorganisation. Daß „Palästina jemals ein jüdischer Staat werden“ könne, das glaube Freud nicht, wie er einst schrieb. „Ein jüdisches Vaterland“, wenn überhaupt, „auf einem historisch unbelasteten Boden gegründet werden“ würde ihm verständiger erscheinen, merkte er an.

Sigmund und Anna Freud 1939 in London. © Freud-Museum London

„Das Unbehagen in der Kultur“ wird noch größer. Die Kulturgesellschaft sei „beständig vom Zerfall bedroht“. Österreich Weg zum Nationalsozialismus wurde nicht aufgehalten und schient ihm, Freud, der auf einen Österreichischen Faschismus hoffte, unaufhaltsam. 1938 „floh“ Freud vor den Nazis nach London, bezahlt von Marie Bonaparte, Urgroßnichte von Napoleon Bonaparte und Prinzessin von Griechenland und Dänemark die nicht nur Freud und Familie retten wollte, „sondern auch die Psychoanalyse“. Sie gründete dank ihres Vermögens 1930 in Paris die Psychoanalytische Gesellschaft und übersetzte Freuds Werke ins Französische.

Freuds vier Schwester werden von faschistischen Deutschen in „Nazi-Vernichtungslagern“ ermordet.

Der Film endet mit dem Tod von Sigmund Freud am 23. September 1939 in London.

David Teboul ist als Regisseur und Buchautor, das Buch schrieb er mit François Prodromidès, ein Film gelungen, in dem er Freud als Person vorstellen, sein Werk jedoch nicht außer acht läßt, vor sein Verhältnis zu seiner Tochter Anna und zum Judentum behandelt, die Psychoanalyse am Rande schneidet und dennoch eine Filmbiografie präsentiert, die einer Freud‘schen Therapiestunde gleichen könnte. Ansehen und dann die eine oder andere Freud-Biographie lesen, aber auch das eine oder andere Werk. Alles andere ist Mumpitz!

Filmographische Angaben

  • Originaltitel: Sigmund Freud
  • Originalsprache: Deutsch
  • Staaten: Frankreich, Österreich
  • Jahr: 2020
  • Regie: David Teboul
  • Buch: David Teboul und François Prodromidès
  • Sprecher/innen: Birgit Minichmayr (Anna Freud), Johannes Silberschneider (Sigmund Freud), André Jung (Erzähler), Andrea Jonasson (Lou Andreas-Salomé, Catherine Deneuve (Marie Bonaparte), Sylvie Rohrer (Lucie Freud), Roland Koch (Carl Gustav Jung)
  • Kamera: Martin Roux und Richard Copans
  • Schnitt: Caroline
  • Produzenten: Richard Copans, Anne Cohen-Solal
  • Koproduzenten: Ebba Sinzinger, Vincent Lucassen
  • Länge: 97 Minuten

Anzeige

Vorheriger ArtikelGespräche über Gehirne – John-Dylan Haynes und Semir Zeki tragen im Forum der Bundeskunsthalle vor
Nächster ArtikelKönigliches Kotelett – Restaurant „Kades“ in Potsdam setzt auf regionale und saisonale Produkte