Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Heinz Emigholz liebt Häuser und zeigt sie gern anderen. Darum dreht er Filme. Eine Tetralogie, die dieses Jahr auf der Berlinale gezeigt wurde, lautet „Streetscapes“. Der dritte Teil von vieren lauet „Streetscapes – Dialogue“.
Vielleicht sollte man diesen Teil als ersten sehen, dann erschlösse sich vieles schneller. Der Film arbeitet mit drei Schauspielern, die Emigholz und seinen Interviewpartner (eigentlich seinen Therapeuten) darstellen. Damit der Film eine Struktur bekommt, wurden Wochentage (Montag, Dienstag, … in grellen, roten Versalien auf englisch) eingefügt.
Die Schauspieler gehen, stehen und sitzen in, vor und außerhalb mehrerer architektoisch bedeutsamer Häuser. Bedachtsam ist die Kamera aufgestellt, ohne das einem das gleich auffällt.
Doch da die Gesprächspartner im Film über ihn, den Film, reden, erfährt man das mit dem nachträglichen chronologischen Aufbau und mit den Gebäuden – zu welcher Strömung sie gehören, zu welchem Architekten und welchem Land (oft Uruguay, was zu einem schönen Licht führt, und in die regnerische Bundesrepublik Deutschland) – im Laufe der 132 Minuten, die schneller vergehen, als gedacht.
Wir haben es hier mit einem selbstreflexiven Film zu tun. Er ist nie langweilig; scheint nur höchstens manchmal narzißtisch, doch das ist in einem Therapiezusammenhang unvermeidlich. Emigholz hat vielleicht nur einen kleinen, aber auf jeden Fall treuen Kundenstamm. Zu Ulrike Ottinger geht auch nicht jeder, trotz Berlinale. Bei ihr sehen viele nicht ein, warum man stundenlang im Kino sitzen solle, wenn es doch auch schneller geht? Böse Zungen behaupten gar, dass sie kürzere Filme einfach nicht hinkriege. Was sind da Emigholz‘ 2 Stunden 12 Minuten „Dialog“ in Straßenlandschaften?
Treppenhäuser sind ein Steckenpferd Emigholz‘, oder besser gesagt, ein Hauptaugenmerk. Er denkt sich mehr über sie, als wir wohl je gedacht haben. Dabei benutzen wir sie täglich.
Seine bereits über zwei Dutzend Filme werden angeschaut, laufen auf dem großen A-Festival der Internationalen Filmfestspiele Berlin (Berlinale). In der Reihe Forum erlebte der neue Film Streetscapes [Dialogue] im Februar seine Weltpremiere.
Vielleicht sind sie nicht für jeden Geschmack, doch der Autor persönlich bereut nicht, dabei gewesen und geblieben zu sein ohne Pause für Popcorn oder ähnliches. Denn ein paar Rätsel entstehen doch im Film, die sich im weiteren Gang meist auflösen. So gehen 132 Minuten vorbei, die die Filmgalerie 451 mit vorstellt.
Der Streifen startet am 12. Oktober.
Die Republik östlich des Uruguay taucht selten in den Nachrichten auf und ist für Mitteleuropäer kein häufiges Reiseziel. Wenn, dann sind die Gebäude Julio Vilamajós und Eladio Diestes wohl nicht unbedingt an erster Stelle der besuchten Sehenswürdigkeiten. Zumindest nicht die Lager- und Hafengebäude oder Busbahnhöfe.
Umso mehr ist es eine Freude, sie auf diesem Wege gesehen zu haben.
Ob der intensive Dialog dabei stört? Man stelle sich vor, der Film laufe ohne Ton, von Harfenklängen unterlegt oder mit dem Charakter einer (US-)Fernsehdokumentation … Dann schon besser so.
Emigholz und Per Kirkeby be(ob)achten Architektur
Wer lieber liest und genießt, dem seien Per Kirkebys Essays empohlen.
-“Naturens Blyant“, Kopenhagen 1978
-“Bravura“, Kopenhagen 1981 (beide dänisch)
– Englische Ausgabe „Selected Essays from Bravura“, Eindhoven 1982
Eine Kostprobe aus „Bravura“ (aus dem Dänischen übersetzt von Johannes Feil Sohlman), aus dem Kapitel ‚Der Maler – Architektur‘: „Die Größe ist das Tosen der freien Strömung, die überall, in der Freiheit der Fenster, in den Kuriositäten der Giebel, zu fühlen ist. Wäre die Architektur nicht durch diese künstlerische Freiheit geformt, gäbe es keine ernsthafte Stimmung. Die Größe ist ein Nebenprodukt dieser Freiheit.“ (Bern 1984)
Die Genauigkeit der Beobachtung und der Respekt vor Künstler und Werk einen Per Kirkeby und Emigholz.
Bundesweiter Kinostart von „Streetscapes“ ist der 12.10.2017.
Streetscapes [Dialogue]
Regie: Heinz Emigholz,
Darsteller: John Erdmann, Jonathan Perel, Natja Brunkhorst
Ein fiktionalisierter Dialog zwischen einem Regisseur und seinem Therapeuten, der auf Protokollen psychoanalytischer Sitzungen Emigholz‘ basiert, gedreht in und neben Gebäuden von Julio Vilamajó (1894-1948), Eladio Dieste (1917-2000) und Arno Brandlhuber (*15. Mai 1964) in Uruguay und Deutschland.
Der Dokumentarfilm wird unter anderem in Berlin im fsk, Segitzdamm 2, 10969 Berlin-Kreuzberg laufen:
Sonntag, 15.10. 14.30 Uhr mit Filmgespräch!
Nach der Vorführung von STREETSCAPES [Dialogue] (Filmstart: 14:30) findet ein Gespräch zwischen Heinz Emigholz und dem Architekten Arno Brandlhuber statt;
Weitere Vorführungen (Screenings):
Samstag, 21.10. 2017, 15 Uhr;
Sonntag, 29.10.2017, 13.15 Uhr.
Die Serie Streetscapes
Kapitel I = 2+2=22 [THE ALPHABET)
Kapitel II = BICKELS [Socialism]
(über die Architektur des Kibbuz-Baumeisters Samuel Bickels)
Kapitel III = STREETSCAPES [Dialogue]
Kapitel IV = DIESTE [Uruguay]
(29 Bauwerke des Schalenbaumeisters Eladio Dieste und als Prolog drei von Vilamajó in Motevideo)
Gezeigt wird im fsk-Kino vom 14.-29. Oktober 2017 die ganze Serie „Streetscapes“ (insgesamt 407 Minuten). Die Filme sind eigenständig.
Sa. 14.10. 2+2 80′ 15.45
So. 15.10. Streetscape 132′ + FG 14.30
Sa. 21.10. 2 + 2 80′ 13.00
Sa. 21.10. Streetscape 132′ 15.00
So. 22.10. Dieste 95′ 13.00
So. 22.10. Bickels 92′ 15.00
Sa. 28.10. Bickels 92′ 13.30
Sa. 28.10. Dieste 95′ 15.30
So. 29.10. Streetscape 132′ 13.15
So. 29.10. 2 + 2 80′ 15.45
Die drei Architekten des 3. Films „Streetscapes [Dialogue]“
Julio Vilamajó
Werk (Auswahl):
– Palacio Santa Lucia; Casa de Felipe Yriart; Wohnhaus von Augusto Pérsico, alle Montevideo
– Denkmal für die argentinisch-uruguayische Konfraternität, Buenos Aires
– Hotel El Mirador, Colonia
– United Nations Building, New York
Eladio Dieste
Werk (Auswahl):
– „Cristo-Obrero“-Kirche in Atlántida (an der Küste Uruguays 45 km östlich der Hauptstadt, in Teil IV)
– San-Pedro-Kirche in Durazno (im Landesinnern von Uruguay, in Teil IV)
– Busbahnhof in Salto (drittgrößte Stadt Uruguays an der Grenze zu Argentinien)
– Tor der Weisheit/ ugs. „Die Möwe“, Salto, (Denkmal für Dieste, in Teil IV)
Arno Brandlhuber
Projekte (Auswahl)
– St.-Agnes-Kirche Alexandrinenstraße 118 (Werner Düttmann), 10969 Berlin-Kreuzberg
(die ehemalige katholische Kirche wird für Kunstausstellungen (König-Galerie) und Veranstaltungen genutzt)
[vom Kino fsk den Segitzdamm bis zur Gitschiner Straße und an der dortigen Hochbahn nach rechts (Westen) bis zur Alexandrinenstraße, dort wieder rechts]
– Gebäude Brunnenstraße 9, 10119 Berlin-Mitte (Nähe Rosenthaler Platz), von AB selbstgenutztes Atelier- und Galeriehaus
– Neanderthal-Museum, Neanderthal, Talstraße 300, 40822 Mettmann (zwischen Düsseldorf und Wuppertal)