Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). In “Edward II.“ wird die menschliche Natur von ihrer brutalen Seite gezeigt. Man muss es mögen – oder auch nicht -, wenn in der neuzeitlichen, dritten Oper von Andrea Lorenzo Scartazzini genüsslich vulgär von „Arschficker“ und „Schwanzlutscher“ gesungen wird und Gefängniswärter in Sado-Maso-Lederoutfit ordinär daher schwadronieren, wer schlimmer sei, Juden oder Sodomisten. Goutiert wird das Ganze jedoch vom Gelächter des Publikums bei der Premiere am 19. Februar 2017 in der Deutschen Oper Berlin. Viele dieser Lacher aus einer Situationskomik heraus begleiten die Aufführung und zwar trotz der dargestellten Problematik und Brutalität.
In der Oper “Edward II.“ dreht sich alles um „Hardcore“-Stoff und um den homosexuellen König Edward II. von England, der durch sein Leiden im Leben zur Ikone der Schwulenbewegung wurde.
Edward II. (Michael Nagy, Publikumsliebling), verheiratet mit Königin Isabella (hell und kristallklar gesungen von Agneta Eichenholz) mit der er einen Sohn hat, Prinz Edward III. (sehr gut gesungen vom Jungen Mattis van Hasselt), liebt jedoch einen Mann, Piers de Gaveston (ebenfalls hervorragend gesungen von Ladislav Elgr).
Das Musiktheater in zehn Szenen (Libretto Thomas Jonigk) entfaltet sich auf einer dunklen, minimalistischen Bühne, in der ein dominierendes, riesiges Holzrondell einmal die Burg symbolisiert und durch Drehung auf der Bühne auch wahlweise anmutet wie ein Schwulentreff für Klappensex, wo sich nur gutaussehende, schlanke junge Männer treffen oder auch die Wärterräume mit Kamin im Verließ Edwards II. darstellt.
Denn sowohl Edward II. als auch sein Geliebter Gaveston wurden auf Geheiß der Königin Isabella und ihres Einflüsterers Mortimer (exzellent gesungen von Andrew Harris) aufs Grausamste ermordet und es ist auch nichts für Zartbesaitete, wenn der gedungene Mörder en detail besingt, wie er seine Opfer bestialisch unter Leiden tötet.
Eine riesige Statisterie und der Chor des Deutschen Orchesters Berlin stellen wahlweise den Pöbel dar, der Gaveston in den Albträumen Edwards II. lyncht oder auch eine Heerschar von Museumsbesucher am Schluss, denen explizit erklärt wird, wie hier im Schloss Edward II. auf bestialischste Art und Weise getötet wurde. Auch umgibt die Menge den in weiß gekleideten Bischof von Coventry (brilliant gesungen von Burkhard Ulrich), der gemäß mittelalterlicher römischer Kirche Homosexualität als satanisch brandmarkt. Er wird von Edward II und Gaveston jedoch ins Lächerliche gezogen und entlarvt.
Leider nimmt die Homophobie in den heutigen Zeiten des zunehmenden, populistischen Rechtsruck immer stärker zu – und dass, nachdem vor knapp 20 Jahren der Schwulenparagraph 175 endlich abgeschafft wurde, der Homosexualität unter Strafe stellte und vielen Schwulen unendliches Leid bescherte. Auch in der Oper wird in einer Szene noch einmal explizit hierüber gesungen. Heutzutage hat sich – unter Justizminister Heiko Maas – die Bundesregierung endlich durchgerungen, den noch überlebenden damaligen Opfer dieses menschenverachtenden Paragraphen, nun meist im Rentenalter, Entschädigungszahlungen für ihr Leid zukommen zu lassen. Auch hat der verkrustete Apparat der katholischen Kirche – selbst unter dem revolutionär anmutenden Papst Franziskus – es noch nicht geschafft, die Schatten der Vergangenheit aufzuarbeiten und sich endlich freie (körperliche) Liebe für alle auf die Fahne zu schreiben, was sicher in Jesu Sinne wäre.
So bietet diese zeitgenössische Oper Scarlattinis ein Abbild des Jetzt-Zustandes unserer Gesellschaft, die sich vom Mittelalter so weit gar nicht entfernt hat.
Das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Thomas Søndergård spielt bravourös die Musik Scartazzinis, das Öffnen und Schließen unterschiedlicher Instrumentengruppen, alterierende Harmonien mit tonaler Anmutung, komplexe Harmonik farbiger Orgel-Mixtur-Klänge, die an Olivier Messaien erinnern, „Tranzzendenz-Akkorde“ im strahlenden Glanz aller Holzbläser und Streicher – das Werk ist eine wuchtige, gewaltige Oper, die beeindruckt.
Das internationale mit Prominenz geschmückte Publikum (Finanzminister Wolfgang Schäuble wurde gesichtet) würdigte dieses mit tosendem Applaus mit unendlich vielen „Vorhängen“! Eine mutige Oper – wie ein Fanal und Mahnung an die Menschen von heute.