Sils im Engadin verabschiedet sich vom internationalen Kulturfestival „Resonanzen“

Resonanzen in der Halle des Hotels Waldhaus in Sils im Engadin. © Foto: Dr. Charles E. Ritterband, Ort und Datum der Aufnahme: Sils im Engadin, 17.9.2023

Sils-Maria, Schweizerische Eidgenossenschaft (Kulturexpresso). Es waren unbestreitbar zwei glanzvolle Jahrzehnte: Das internationale Kulturfestival „Resonanzen“ in der stimmungsvollen Engadiner Ortschaft Sils-Maria spielte sich nicht nur auf nahezu schwindelerregenden 1800 Metern Höhe über Meer ab, es hat vor allem im Laufe dieser Jahre ein anspruchsvolles Publikum mit einer Vielzahl von kulturellen Höhepunkten verwöhnt. Seit einigen Jahren bildet das historische Grand-Hotel „Waldhaus“, das auf einem Felsen hoch über dieser einzigartigen Landschaft thront und sich – eine sorgsam gehütete Rarität heutzutage – seit seiner Eröffnung vor 115 Jahren in Familienbesitz befindet, das Zentrum dieses hochkarätigen Festivals, das heuer zum letzten Mal abgehalten wurde: Über eine mögliche Nachfolge hüllt man sich hier in geheimnisvolles (vielsagendes?) Schweigen. Es ist denn auch der Hotelier Felix Dietrich, der mit Charme und profunder Ortskenntnis als Spiritus Rector dieses einwöchigen Festivals gewirkt – und wie immer, als einer der Höhepunkte, einen historisch-kulturwissenschaftlichen, eintägigen Ausflug in die Region organisiert und geleitet hat: Wie meist ins Bergell, dieses wunderbare Tal abseits der Touristenströme, das vom Oberengadin via den kurvenreichen Maloja-Pass hinunter bis in die italienische Stadt Chiavenna führt und unterwegs an Palazzi, dramatischen Geschichten, romantischen Dörfern und Künstler-Biografien (von Giacometti über Segantini bis Varlin) viel zu bieten hat. In der Hotelhalle des „Waldhaus“ fand denn auch das traditionelle Eröffnungskonzert statt, diesmal mit dem hervorragenden Bläserquintett „Swiss5“, begleitet am Flügel von Silke Avenhaus. Unter den hier präsentierten Werken von Ligeti, Mozart – der mit seinem Quintett Es-Dur KV452 durch die Instrumentierung mit Horn, Klarinette, Fagott, Oboe und Flöte mit Klavierbegleitung eine Innovation lanciert hatte – und Poulenc hat für mich dessen Sextuor* die Palme verdient…

„Resonanzen“, wie bisher von der initiativreichen Violinistin Kamilla Schatz als Intendantin geleitet, hat nun als Schlussakkord gewissermaßen einige musikalische Glanzstücke von Weltformat geboten: Den grandiosen 17jährigen Schweizer Violinisten Raphael Nussbaumer, der als „klassisches“ Wunderkind erstmals mit vier Jahren eine Geige in die Hand genommen hatte und der an diesem Festival, begleitet von der ukrainischen Pianistin Katerina Tereshchenko mit schier atemberaubender Virtuosität, Musikalität und Präzision Sonaten von Schubert bis Poulenc intonierte. Sein Vortrag gipfelte in der „Faust Fantasie“ von Henryk Wieniawski – ein Leckerbissen für jeden Liebhaber von Gounods „Faust“ und von Nussbaumer vorbehaltlos hingebungsvoll dargeboten. Der zweite solistische Höhepunkt war der auch vom Programm her exquisite Liederabend mit der Luzerner Sopranistin Regula Mühlemann, begleitet von der Pianistin Tatiana Korsunskaya. Mühlemann ist längst nicht mehr ein Geheimtipp – mit Engagements in den Weltstädten London, Paris, Wien und New York gehört sie zur Elite der Schweizer Opernsängerinnen und Lieder-Interpretinnen. Sie klassifiziert sich als „lyrischer Koloratursopran“, ihre Stimme zeichnet sich durch ein bestechendes Timbre und eine geradezu betörende Patina aus. Ihr Auftritt mit scheinbarer Leichtigkeit und jugendlichem Charme kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass hinter ihrer sängerischen Perfektion viel Arbeit und, eben auch kompromissloser Perfektionismus steht.

In einem faszinierenden Vortrag berichtete das mit dieser Region hervorragend vertraute sizilianisch-deutsche Forscherpaar Mirella Carbone und Joachim Jung über ihr (im kommenden Jahr als Buch erscheinendes) Forschungsprojekt über Schmuggler und Flüchtlinge, die im Zweiten Weltkrieg gleichermaßen den gefahrvollen, sie bis zur Erschöpfung beanspruchenden Weg aus Italien über Gletscher und mehr als 3000 Meter hohe Passübergänge in die Schweiz gefunden hatten – viele der so geflohenen italienischen Deserteure und vom Vernichtungstod bedrohten jüdischen Flüchtlinge aus Italien und Jugoslawien wurden von den Grenzwächtern, der unbarmherzigen Politik der damaligen Schweizer Regierung folgend, zurück über die Berge und in den meist sicheren Tod getrieben.

Ein besonders origineller Vortrag der Schweizer Politischen Philosophin Katja Gentinetta unter dem Titel „Kalliope“, musikalisch nicht weniger eigenwillig aber wunderschön begleitet vom „Ensemble Klangcombi“, stand unter dem Titel „Ein philiosophisches Konzert“. Den Abschluss dieses gelungenen Kulturfestivals bildete das „Ensemble Kandinsky“ mit Werken von Ravel, Mozart und von Dohnányi. Bleibt die Hoffnung, dass es im September nächsten Jahres zu einer nicht minder glanzvollen Fortsetzung kommen wird…

Anmerkungen:

Lesen Sie auch den Beitrag

im KULTUREXPRESSO.

*Sextuor ist französisch oder hochsprachlich für Sextett, Septuor für Septett. d. Red./ Aha.

Zum Thema Flüchtlinge – hier: in Nordamerika – lesen Sie ggf. auch den Beitrag „El Mar La Mar“ im KULTUREXPRESSO.

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