Stromer auf den Spuren von Heinrich Straumer. Architektur erlaufen und erfahren in Berlin

Drei Häuser des Architekten Heinrich Straumer in Berlin-Frohnau.
Drei Straumer-Häuser in Frohnau: An der Buche. Bildmitte: Die Buche. © 2018, BU/ Foto: Andreas Hagemoser

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Heinrich Straumer (Initialen HS) ist ein deutscher Architekt. Wer schreibt, der bleibt. Wer baut, auch; bis seine Häuser zerstört sind. Davon sind wir noch ein gutes Stück weg und Straumer ist guter Grund zum Stromer zu werden. Seit der Tag-und-Nacht-Gleiche im März, dem Frühlingsanfang, braucht man wieder Ideen, wohin.

Auch im April liegt der See mal starr und still; denn der Monat macht, was er will. Das bisschen Schnee im März ist also kein Scherz. Nee, es ist normal. Doch die Tage werden länger und dann beginnt die Suche nach Zielen. Ausflugsziele zu suchen, wenn die Sonne schon scheint, führt manchmal zu Zeitverlust und Frust. Ist man endlich unterwegs, geht die Sonne doch schon unter. So oft geschehen in Berlin, wo jeder Weg eine halbe oder Dreiviertelstunde dauert. Zum Stadtrand noch länger.

Rundreise zu drei Bauten von Heinrich Straumer

Mein Vorschlag: Drei Bauten Heinrich Straumers chronologisch zu folgen: von Frohnau nach Dahlem und zuletzt nach Charlottenburg zum Messegelände am ICC.

Das kann einen halben Tag, einen Tag (oder, wenn man es intensiv macht, auch zwei Tage) dauern.

Wem das aus Zeitgründen nicht passt, kann von Dahlem mit der U-Bahn zum Heidelberger Platz fahren, dort umsteigen in die Ringbahn S41 Richtung Westkreuz/ Westend/ Jungfernheide und bis Messe Nord/ ICC fahren; in Fahrtrichtung hinten aussteigen und oben von den Ostpreußenbrücke am ICC den Funkturm bewundern. An der Kreuzung ist der Eingang zum Funkturminnenhof.

Heinrich Straumer – Chemnitz und Berlin

Geboren wurde Heinrich Straumer am 7. Dezember 1876 in Chemnitz; gestorben ist er am 22. November 1937 in Berlin.

Seine Geburtsstadt Chemnitz wurde nach seinem Tode, dem Zweiten Weltkrieg, der bedingungslosen Kapitulation und dem Untergang des Deutschen Reiches am 10. Mai 1953 umbenannt. Die Gemeinde hieß bis zur Wiedervereinigung 1990 Karl-Marx-Stadt.

Der U-Bahnhof Thielplatz, den er erbaute, wurde auch umbenannt. Damit muss man leben.
Die kreisfreie Stadt im Südwesten Sachsens war ein gutes Sprungbrett. 1883, nachdem Deutschland einen aus preußischer Sicht wichtigen Krieg gewonnen hatte und als Zweites Reich wieder gegründet worden war, wurde Chemnitz Großstadt. Grund war die immer weiter geführte Industrialisierung. Ein paar Jahre vor Straumers Tod erreichte die Einwohnerzahl ihre Spitze. Das Allzeithoch Anfang der 30er Jahre wird irgendwo über 360.000 Chemnitzer beziffert. Heute sind es eine knappe Viertelmillion Menschen. Zum Rückgang beigetragen haben die 80%ige Zerstörung der Chemnitzer Innenstadt bei Bombenangriffen im Februar und März 1945 und die Flucht vieler aus der DDR in den Westen vor dem Mauerbau im August 1961.

Die Umgewöhnung von einer Großstadt in die Millionenstadt Berlin und deutsche Reichshauptstadt dürfte Straumer nicht schwergefallen sein.

Ausgangspunkt der Erkundungsreise auf den Spuren von Heinrich Straumer: Frohnau

Start ist am S-Bahnhof Frohnau (für Autofahrer der Ludolfingerplatz).

Denn hier in Frohnau, seit 1920 Berlin-Frohnau als Teil des Bezirks Reinickendorf von Groß-Berlin, fing alles an. Der nördlichste Zipfel Groß-Berlins, das ist im wesentlichen das „Berlin“ von heute, war um die Jahrhundertwende so gut wie nicht bebaut. Straumer war 1896 20 Jahre alt, 1900 24. Das Projekt der Erschließung und Bebauung Frohnaus stand an. Der Begriff Gartenstadt kursierte, wurde verstanden und hatte seine Anziehungskraft. Das Bürgertum in der Hauptstadt des florierenden Deutschen Reiches und seiner Umgebung suchte ein gutes Leben in guten Häusern mit Garten.

Bevor eine Siedlung entsteht, braucht man erstmal eine Infrastruktur. Frei nach dem Motto „Aller Anfang ist schwer, sagte der Dieb und stahl einen Amboss“ musste erst einmal die Versorgung für die frisch erfundene Elektrizität her.

Zuerst der Strom: Straumers Umspannwerk, heutzutage mit spannender Musik

Heinrich Straumer baute 1907 das Frohnauer Umspannwerk. Mit Strom und Verstromung hat das Haus heute nur noch sehr wenig zu tun. Es ist ein Café. Wer es sehen möchte, kann sich vom Bahnhof Richtung Osten wenden und vom Zeltinger Platz den Fürstendamm entlanglaufen. Das letzte Haus auf der linken Seite ist die Nummer 40.

Kein Zufall, dass das Umspannwerk so weit hinten steht. Bürgerliches Wohnen dient der Entspannung, um für die Arbeit Kraft zu sammeln. Den Elektrosmog und das Brummen eines Trafos (Transformators) braucht niemand in seiner Nähe. Hier endete Frohnau, dann Berlin, dann auch West-Berlin. Nur wenige Meter weiter östlich bauten DDR-Maurer 1961 die „Berliner Mauer“.

Zur Orientierung: Etwas nördlich des Umspannwerks am Fürstendamm steht das Buddhistische Haus, das der eine oder andere vielleicht einmal besucht hat. Es liegt am Edelhofdamm ebenfalls zwischen S-Bahnstrecke und B96.

Gleich zu Beginn einkehren hat wenig Sinn. Das Musikcafé „Transformator“ im Umspannwerk ist mittwochs bis samstags ab 18 Uhr geöffnet. Am 23. März gab es hier ein Jazzkonzert mit Michael Gechter und HD. Lorenz, bei dem Sabina Saracevic sang.
Am Donnerstag, den 29. März spielt Ro Gebhardt Gitarre.

Straumer schlägt zu: Buche

Doch unsere Architekturwanderung beginnt eigentlich bei den drei Häusern, die auf dem Titelbild zu sehen sind. Baujahr 1910/1911. Man erreicht sie vom S-Bahnhof Frohnau aus über den Ludolfingerplatz und den Sigismundkorso.

Warum sind die drei Landhäuser „An der Buche“ so wichtig? Es waren mehr oder weniger die ersten Häuser in Frohnau und die Musterhäuser der neuen Siedlung. Sie wurden inmitten der zukünftigen Stadt oder des Stadtteils errichtet, um sichtbar zu sein. Noch sichtbarer, weithin gut zu sehen, wurden sie durch ihre Lage auf einem kleinen Berg. Einer Anhöhe.

Der Straßenname folgt dem beherrschenden Baum, einer Buche. Sie symbolisiert Kraft und Beständigkeit. Sie ist ein deutscher Baum und nicht wie die Kiefer oder Kastanie eingeführt worden. Vor dem Ersten Weltkrieg, der zunächst jahrzehntelang nur Weltkrieg genannt wurde, hatte Deutschland ein großes Selbstbewusstsein. Seit einigen Jahren war man mit Kiautschou und den Karolinen, Deutsch-Ostafrika und -Südwest sogar Kolonialmacht.

Die Lage der drei Häuser am Berg und später eines vierten (roten) auf der anderen Straßenseite strahlt zusammen mit der großen, alten Buche bis heute etwas Faszinierendes aus.

Es handelt sich übrigens nicht um die Originalbuche. Jene Buche wurde bei Berlins Blockade Brennholz.

Das rechte der drei Straumer-Landhäuser ist das erste Frohnauer Haus, das unter Denkmalschutz gestellt wurde.

Der Garten gleich mit, damit niemand auf die Idee käme (was bereits geschehen war), das Grundstück zu teilen und auf dem Hammer Mehrfamilienhäuser zu errichten.

Den ganz eigenen Charakter des Ensembles perfekt machen die teils bedingte Zugänglichkeit über weit von Straße und Bürgersteig entfernte Wege und ein alter Brunnen.

Zweiter Punkt der Erkundungsreise: U-Bahnhof Freie Universität (Thielplatz)

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c1/U-Bahnhof_Thielplatz_20130704_4.jpg
Oft habe ich vor dem U-Bahnhof Thielplatz gestanden, bin um ihn herumgelaufen, besonders den nördlichen Ausgang, der von Straumer gestaltet wurde. Das erste Mal bewusst benutzt habe ich den Bahnhof 1983. Damals gab es den südlichen Ausgang schon mit zwei Treppen nach links und rechts, um auf Straßenniveau zu gelangen. Ich wollte zur Freien Universität und fuhr anschließend mit dem Bus bis „Im Dol“, um zu Fuß zur Podbielskiallee zu gelangen.

Zwei Einbahnstraßen flankieren den U-Bahnhof Thielplatz am Thielpark, der als Teil eines längeren Grünstreifens sich quer zur Bahnstrecke Richtung Krumme Lanke durch Dahlem zieht. Vielleicht sollte man sagen, eine Reihe von Parks, denn südöstlich der Thielallee schließt sich der Triestpark an. Wie auch immer man das nennen will, man kann mit und ohne Hund sehr gut vom U-Bahnhof aus einen längeren Spaziergang machen, vorbei an kleinen Seen beziehungsweise Teichen.

Etwa bis 1945 wurde der Thielpark als Thielplatz bezeichnet.

Wegen der Freien Universität Berlin und ihres Wachstums auf teilweise über 60.000 Studenten wurde der zweite U-Bahn-Ausgang gebaut. Das Auditorium maximum (Audimax) der FUB im Henry-Ford-Bau an der Garystraße ist vom südlichen Ausgang besser zu erreichen.

Umbenennen – ein Berliner Sport

Wohl auch wegen der vielen „dummen Fragen“ benannte die BVG den U-Bahnhof „Thielplatz“ am 11. Dezember 2016 „Freie Universität (Thielplatz)“ um. Die alten Namen werden zum Verständnis und zur Orientierung der Alteingessenen gern dem neuen beigefügt.

So heißt der S-Bahnhof auf der Ringbahn zwischen BMW-Zentrale und ICC statt „Witzleben“, wie das ganze Viertel, heute „Messe Nord/ ICC“ und kleiner: „Witzleben“. Der Bahnhof „Eichkamp“ hieß fast simultan „Messe Süd/ Eichkamp“. Der neue Hauptbahnhof, das ist der am Humboldthafen zwischen Europaplatz und Washingtonplatz, heißt statt „Lehrter Stadtbahnhof“ „Hauptbahnhof -Lehrter Stadtbahnhof“. Der Tunnel-S-Bahnhof „Unter den Linden“ heißt jetzt „Brandenburger Tor“, Unterschrift: „Unter den Linden“. Usw. usf.

Am 12. Oktober ging‘s los

Eröffnet wurde der U-Bahnhof Thielplatz am 12. Oktober 1913. Gleichzeitig mit acht anderen Bahnhöfen. Von der Hochbahngesellschaft. Das macht vielleicht auch etwas verständlicher, warum die U-Bahn nicht unterirdisch fährt. In der Tat ist „Thielplatz“ ein Einschnittbahnhof mit Mittelbahnsteig, das heißt man kann vom Bahnsteig aus die frische Luft genießen und das Tageslicht sehen. Außen halten die Züge Richtung Krumme Lanke oder Wittenbergplatz und weiter. Die Linie hieß bereits U2, U1 und U3. Linienbezeichnungen und -führungen sind kurzlebig. Anfänglich benutzte man Buchstaben.

Bis 1929 war „Thielplatz“ auch der Endbahnhof, der Endpunkt der Strecke und insofern doppelt prominent, da in Berlin der Endbahnhof die Richtungsbezeichnung angibt. Dadurch kennt jeder die Osloer Straße oder das Rathaus Steglitz.

Zusammenfassung: Reise zur Gegenwart von Heinrich Straumer

Die Ausflugsziele nach Entstehungszeitraum geordnet:

1907: Berlin-Frohnau, Umspannwerk Fürstendamm 40

1910–1911: Berlin-Frohnau, Landhausgruppe am Berg,
Anschrift/Adresse: An der Buche 17/21 (mit Hans Hermann und Ludwig Lesser) (siehe Photo)

1912–1913: Berlin-Dahlem, U-Bahnhof Thielplatz mit nördlichem Stationsgebäude, Vorplatz und Brücke

1924–1926: Berlin-Charlottenburg, Berliner Funkturm auf dem Messegelände

Transformation: Konzert in Straumers Umspannwerk. Saarländer Ro Gebhardt mit Gitarre in Berlin-Frohnau

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