Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Weiter geht es auf unserer Frühlingsreise durch Südbayern: Von Schwaben fahren wir ins oberbayerische Bad Tölz. Vor uns steigen die Berge an, wir blicken gen Karwendel, dort oben ist Schnee, hier unten Frühling. Hinter uns, nur eine Stunde entfernt, liegt München, vor uns die Alpen, Tirol und dahinter Italien. Neben uns rauscht die Isar, hier noch ganz ein Gebirgsfluss. Isarwinkel nennt sich die Gegend bis zur Landesgrenze im Süden.
Bad Tölz ist eine kleine, alpine, überaus lebendige Kreis- und Kurstadt, die als Moorheilbad und heilklimatischer Kurort ausgezeichnet ist: sehr charmant beidseitig des Flusses gelegen mit einer historischen, romantischen Altstadt, dem Kurviertel mit Kurhaus und Kurpark, schönen Sakralbauten, einem Kalvarienberg mit Kreuzweg – und der langen, berühmten Marktstraße, die sich mit ihren farbenfrohen Häuserfassaden bergan zieht. Die höchste Erhebung im Landkreis ist der Schafreuter im Karwendel – und der ist immerhin 2.102 Meter hoch. Wer auf die Berge will, kann hier einiges tun: Der Heimgarten ruft, der Herzogstand, Jochberg, Blomberg, Benediktenwand und Brauneck.



Aber wir sind hier diesmal wegen der Kunst und Kultur. Das Tölzer Stadtmuseum ist die erste Adresse dafür. Auf drei Etagen wird die Geschichte des Tölzer Landes präsentiert. Wir stehen vor dem prächtigen Gebäude in der Marktstraße 48, dem ehemaligen Rathaus.


Auf über 800 qm kann man hier ganz tief eintauchen in die Kulturgeschichte der Region. Elisabeth Hinterstocker, die Direktorin, zeigt uns das Haus, wo ab dem 31. Juli bis zum 28. September eine Sonderausstellung an die legendäre „Pionier“-Faltboot-Werft aus Bad Tölz erinnert, die in diesem Jahr 100 Jahre alt wird. Die Schau wird die Entwicklung der eleganten, ehemals überaus populären Faltboote erzählen: eine nostalgische Reise in eine Abenteuerwelt – die Anfang August von einem reichhaltigen Programm inklusive Vortragsreihe, „Fluss-Film-Festival“, einem Faltboot-Camp und einer Faltboot-Regatta auf der Isar begleitet wird. Anfang der 1970er-Jahre wurde die Produktion eingestellt, doch die Träume von Freiheit, sie werden jetzt wiederbelebt. Das erste August-Wochenende wird zum Treffpunkt für alle Faltboot-Nostalgiker!
Wer mehr erfahren will, der lese zu dem Thema unbedingt „Der Flussregenpfeifer“ von Tobias Friedrich. Dieses literarisches Debüt erzählt die tollkühne Reise von Oskar Speck, der im Mai 1932 in Ulm sein Faltboot zu Wasser lässt, um nach Zypern zu paddeln, wo, wie er gehört hatte, Arbeiter in einer Kupfermine gesucht werden. Nach sechs Monaten will der Einzelgänger, der zudem Nichtschwimmer ist, zurück sein, doch es kommt alles anders: Insgesamt sieben Jahre ist er unterwegs. 50.000 Kilometer wird er zurücklegen, wird in Australien als Spion verhaftet und in einem Kriegsgefangenenlager interniert. Und das alles, natürlich, in einem Bad Tölzer Faltboot von „Pionier“.
Erstaunlich ist: Diese Reise hat wirklich stattgefunden. Sie ist wahr. Sie führte über Zypern, Syrien, Iran, Indien, Thailand, Indonesien, Papua-Neuguinea bis nach Australien: eine Abenteuerreise, ein humorvoll-spannender Abenteuerroman, wie ihn Mark-Twain-Fans lieben könnten und wie es ihn heute eigentlich gar nicht mehr gibt. „Eine wahre Geschichte, wie man sie sich nie ausdenken würde“, so der Autor. Es ein Buch über die Macht der Zufälle. Über die Suche eines schweigsamen Mannes nach grenzenloser Freiheit, der es auch noch schaffte, sich den Nazis zu verweigern, die den Faltbootfahrer als „deutschen Helden“ feiern wollten. Ein solcher Held wollte er aber nicht sein.

Zurück ins Stadtmuseum: Das vor wenigen Jahren neu konzipierte und fein gestaltete Haus verfügt im Erdgeschoss über eine Galerie für zeitgenössische Kunst, wo immer wieder Ausstellungen zu sehen sind. „Land und Bewohner“ ist das Leitthema im ersten Obergeschoss mit Themen wie dem Floßhandel bis ans Schwarze Meer und der Bierbrautradition in Tölz, wo es einmal 22 Brauereien gab. Das zweite Stockwerk ist „Adel und Bürgertum“ gewidmet. Hier wird unter anderem die Geschichte der adeligen Hochwildjagd im Isarwinkel erzählt und auch das traditionsreiche Tölzer Marionettentheater sowie die städtische Musikgeschichte werden vorgestellt. Das dritte Stockwerk gibt Einblick in Themen wie Volksglaube und Traditionen wie die berühmte Tölzer Leonhardifahrt am 6. November – eine Galerie für sakrale Skulptur hat hier ihren Platz und auch die Literatur- und Architekturgeschichte wird in den Fokus genommen. Und, ja, auch König Ludwig II. begegnen wir hier wieder: Aus dem königlichen Jagdschloss in Vorderriß ganz in der Nähe, direkt an der Grenze zu Tirol, wo der König zweimal jährlich weilte, stammt seine Badewanne, die im Museum zu sehen ist.
Ein eigener Raum ist dem Münchner Architekten und Heimatpfleger Gabriel von Seidl gewidmet, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder als „Sommerfrischler“ in Bad Tölz weilte. Ihm ist die hervorragende Umgestaltung der Fassaden mit Lüftlmalerei in der Tölzer Marktstraße zu verdanken. Er war auch der Architekt des Tölzer Kurhauses, des Prinzregent Luitpold Genesungsheims und einiger Villen. Auch die Fassade des neoklassizistischen Museumsbaus wurde unter seiner Ägide saniert.
Aber es gibt noch mehr Kunst und Kultur in Bad Tölz: Der Kulturverein Lust veranstaltet im historischen Gebäude der Alten Madlschule Konzerte, Theater, Kabarett und Ausstellungen – und das schon seit über 40 Jahren. Der Kunstverein Tölzer Land ist noch älter: Seit 45 Jahren fördert er Kunst und Kultur in der Region. Vom 7. bis 13. Juli wird er das „Berg Kunst Festival“ präsentieren, ein Open-Air-Festival auf dem und am Blomberg, dem Tölzer Hausberg, wo neue Skulpturen für den dortigen Kunst-Wanderweg geschaffen werden. Zudem gibt es Lesungen und Konzerte. Am 26. Juli lädt man dann zur „Tölz Kunst 9“, einer Open-Air-Kunstausstellung an der Isarpromenade.


Kulturstadt Bad Tölz: Schon Thomas Mann liebte die Gegend. 1903 machte der spätere Literaturnobelpreisträger erstmals mit seiner Familie Urlaub hier – und ließ sich, seiner Frau und seinen Kindern alsbald ein Landhaus bauen, das er selbst „Herrensitzchen“ nannte. Die Villa in der Heißstraße 31 kann nur von außen beschaut werden, dieser Rückzugsort vom Stadtleben in München, das die Manns bis 1917 bewohnten. Der drei Kilometer lange Thomas-Mann-Weg startet an der Stadtbibliothek und spürt der engen Beziehung der Manns zu Bad Tölz nach.
Die Stadt ehrt Thomas Mann immer wieder mit Veranstaltungen – wie alle zwei Jahre mit dem „Thomas-Mann-Festival“, das verschiedene Aspekte seines Werks und die Beziehung zu Bad Tölz und der Region vorstellt. Werke wie „Der Zauberberg“, „Tod in Venedig“ oder die „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ entstanden unter anderem hier in Bad Tölz, das Mann so beschrieben hat: „Zu unserer Rechten liegt das Sommer-Städtchen, Tölz mit seinen bemalten Häusern, seinem holprigen Pflaster, seinen Biergärten und Madonnenbildern.“

Ein Tipp noch: Bitte unbedingt die kleine, 1880 eingeweihte evangelische Johanneskirche im Kurbezirk besuchen! Hier lohnt nämlich ein phänomenales Altarbild von Lovis Corinth. Die Kreuzigungsszene von 1897 verbindet den frühen Traditionalismus des Künstlers mit dem erstarkenden Expressionismus – ein enorm berührendes Werk, das 1901 als Stiftung des Münchner Fabrikanten Ernst Heckert nach Bad Tölz kam. Wir würden gerne noch bleiben, im Frühlings-Städtchen, aber weiter geht es auf unserer Reise nach Osten an den Chiemsee.
Anmerkung:
Siehe die Beiträge
- Unsere erste Station: Füssen – Serie: Eine frühlingshafte Kulturreise durch das Voralpenland (Teil 1/3) von Marc Peschke
- Unsere dritte Station: Chiemgau – Serie: Eine frühlingshafte Kulturreise durch das Voralpenland (Teil 3/3) von Marc Peschke
im KULTUREXPRESSO.
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