Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Es ist nicht die erste Einzelausstellung des jungen Künstlers, es ist seine erste Ausstellung überhaupt: „Cishuman“ von Nils Ben Brahim, keine zwanzig Jahre alt und jünger wirkend, aber enorm belesen. Das wirkt sich unter anderem darin aus, dass sich bei fast jedem seiner Bilder Bezüge finden lassen. Darunter Namen, die man bei 18-, 19Jährigen nicht erwartet: Bakunin, Basquiat, Benjamin – und immer noch sind wir beim Buchstaben „B“ wie Berlin oder B. Traven. So unterschiedliche Figuren wie Walter Benjamin und Paul Klee, Marut-Traven, Lars von Trier und Vinterberg.
Teilweise bezieht sich Ben Brahim nur auf eine Ebene. Bei dem Bild „Das Fest“ nur auf den gleichlautenden Titel des 101minütigen Spielfilmes auf dem Jahr 1998 (dänischer Originaltitel „Festen“), der von Thomas Vinterberg nach den Regeln der Gruppe Dogma 95 gedreht wurde. Nicht auf den Inhalt.
Das könnte man für oberflächlich halten, doch genau das ist es nicht.
Sowohl mit seiner Maltechnik geht er unter die Oberfläche, in der er mehrere Schichten schafft, die er wiederum stellenweise durchstößt, zerschabt, übermalt und erneut bearbeitet und damit die Reliefstruktur des Kunstwerks verstärkt, als auch inhaltlich.
Jedes seiner Werke will unter die Unterfläche gehen.
Ein Gespräch mit dem Künstler der Ausstellung „Cishuman“
„Kurz vorab: Was ist eigentlich ‚Cishuman‘?“
Nils Ben Brahim: „Diesen Ausdruck habe ich erfunden. Das Wort gibt es nicht.“ (Gab es nicht; d. Red.)
Was bedeutet es? „Es steht im Gegensatz zu ‚transhuman‘“. Neoliberalisten versuchen zwar, jenen Begriff positiv zu besetzen, doch letztlich wirkt er entmenschlichend.
Was könnte man synonym verwenden?
Nils Ben Brahim: „Es gibt kein Synonym in einem Wort“.
„… deshalb haben Sie den Begriff erfunden.“
Nils Ben Brahim: „Ja. Am ehesten kommt ihm nahe: ‚sich auf den Augenblick beziehend, auf das Jetzt‘. ‚Sich auf den Menschen beziehend‘.“
Frage an den Künstler: „Wie soll denn die Botschaft an den Besucher aussehen?“
Möge sich der Besucher mit den Bildern beschäftigen
„Das geht ja in der Postmoderne eh verloren. Dort geht es um Sensationen und Vermarktbarkeit.“
Das zentrale Wort, an dem man sich reiben und dem man widersprechen kann, sei:
„Oberflächlichkeit“.
„Ich versuche, die Oberfläche aufzubrechen.“
„Meine Bilder sind ja prinzipiell nicht immer leicht zu verstehen.“
Der Künstler verbessert sich: „Schwer.“ Das ergäbe:
‚Meine Bilder sind ja prinzipiell schwer zu verstehen.‘
Er korrigiert sich nochmals: „Gar nicht.“
„‘Gar nicht‘ klingt besser.“
Gerade deswegen – oder trotzdem – wünscht sich Nils Ben Brahim, dass sich der Besucher mit den Bildern beschäftigen möge. Um dann zum Beispiel den anarchistischen Künstler Ret Marut, Kulturminister der Münchener Räterepublik, zu entdecken, der später als Schriftsteller unter dem Pseudonym B.Traven weltberühmt wurde.
Oder Paul Klee.
Oder Walter Benjamin und seine Ideen und Ansichten.
Unter der Oberfläche schnorcheln
Nils Ben Brahim meint, dass seine Collagen unter der oder die Oberfläche des Kapitalismus gehen.
Wir fragen nach: „Wie schnorcheln?“ „Ja.“
Das stellen wir uns so vor:
Noch im Licht. In der lichtdurchfluteten Oberschicht des Wassers, dort wohin man nicht tauchen muss; aber die Oberfläche bereits durchbrechen, durchstoßen. Die Fluten der Ignoranz, verhärteter Strukturen, die, wie Bernd Senf es formuliert, sich vom Main Stream zum Main Block entwickelt haben.
Das Credo des jungen, verheißungsvollen Künstlers, von dem noch viel zu erwarten ist:
Durch Aufbrechen der Oberfläche kann man einen Neustart schaffen.
Bilder einer Ausstellung – „Cishuman“
„Serieller Abfall“
Serie mit 3 Bildern (bis dato)
(Hängungsort: 2. Stock auf dem mit Sitzbank erweiterten Treppenabsatz.)
Jedes Bild weist das gleiche Gesicht mehrfach auf. Darunter Zeitgenossen wie Mahdi, der allerdings nicht Modell stand, sondern nach einem Foto gemalt wurde oder der Übersetzer und Denker Walter Benjamin, dessen Werk „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit“ den Ausgangspunkt von Ben Brahims Überlegungen darstellt.
Brahim stellt Porträts verschiedener Qualität auf einem Gemälde nebeneinander und merkt an:
Technik könnte das nicht. Ein Kopiergerät, ein Scanner, kopiert nur tumb das immer selbe und schöpft:- nichts.
Ein Mensch dagegen macht beim Kopieren immer Fehler, wie wir an den Bibelübersetzungen und den Bibelkopisten sehen können. Handschriftliche Manuskripte langer heiliger Schriften sind nicht zu 100 Prozent identisch. Über Jahrtausende können erhebliche Abweichungen entstehen. Unverständnis. Ganz falsche Wege in der Exegese.
Maltechnisch bezieht sich Ben Brahim unter anderem auf Basquiat und Paul Klee. Basquiat malte u.a. auch in Schichten und schrieb oder zeichnete Wörter auf die Leinwand. Auch Fotos werden auf dem Malgrund befestigt und anschließend in die Gesamtkomposition einbezogen.
Er verwendet gern Acrylfarben und Mischtechnik
Bei Klee, den er mit seiner Beachtung lobt, nimmt er zum Beispiel das Verhältnis von Bildmitte zum Bildrand auf und, wie es scheint, auch den Bildtitel.
Ist heute wirklich alles vermarktbar?
Bild „Unvermarktbare Subkulturen“
(Hängungsort: Zwischen 1. und 2. Stock kurz über dem halben Treppenabsatz)
„Es gibt noch Unvermarktbares.“
Das ist eine zentrale Aussage und Erkenntnis des Künstlers, der eigentlich ständig durch seine Werke Kapitalismuskritik übt.
Das Bild „Unvermarktbare Subkulturen“ diene als Beweis dafür, dass der Markt noch nicht alles aufnehmen kann-. Es gibt noch Unvermarktbares. Man kann Sch…e im Internet bestellen und sie essen, es gibt für fast alles einen Markt“, hält der junge Wilde richtig fest.
Billiger als Basquiat
Die Preisspanne (Price range) der Bilder bewegt sich zwischen Euro 200 und 800. Der Künstler stellt fest, dass tatsächlich jeweils nur ein Bild diese Eckdaten aufweist und sich alle anderen Bilder preislich dazwischen befinden; die größeren zum Beispiel bei EUR 600.
Am Dienstag waren 34 Schilder, kleine, weiße Schildchen mit der Bildbenennung, hergestellt worden. Am Mittwoch waren es schon 52.
Die offizielle Version, wieviele Bilder es seien, lautet – auch vonseiten des Künstlers – „etwa 40“.
Die meisten hängen im Treppenhaus des alten, aus Ziegelsteinen gemauerten Gewerbebaues, das 3 Etagen erschließt, bevor es vor dem frisch renovierten Dach haltmacht, das wegen unsinniger Auflagen nicht mit Solarzellen ausgestattet werden durfte.
Einige werden auf Staffeleien präsentiert werden.
Wie anstrengend es ist, aufzubauen, zudem bei der am Dienstag vorherrschenden Hitze und der Schwüle am Mittwoch, den 30. Mai, erfuhr der junge Mann am eigenen Leib.
Trotzdem lehnte er Hilfe bei der Hängung ab und beschäftigte sich tagelang damit. Immerhin hat er rechtzeitig begonnen und eine Woche Zeit mitgebracht. Dienstag nachmittag war die vorige Ausstellung komplett abgehängt, 24 Stunden später hätte man, in Unkenntnis über die Anzahl der Exponate, denken können, die Ausstellung hinge; wären da nicht die Bilderstapel in der Ecke vor der Kreativetage im zweiten Stock.
KE – Künstleretage, Kreativetage oder Kulturexpresso?
Die interne Abkürzung für die Künstleretage „Kreativetage“ in Kreuzberg ist übrigens KE. Ganz genauso wie bei Kulturexpresso.
Produktiv ist er, Nils Ben Brahim. In kurzer Zeit hat er bereits ein Oeuvre von bemerkenswertem Umfang geschaffen.
www.nilsbenbrahim.com
Es gibt auch ein Bild mit dem Titel „Cishuman“. Es ähnelt jenem, das man auf dem Handzettel und Ausstellungsplakat finden kann.
Doch bei genauer Lektüre des Flyers liest man auf der Ab-Bild-ung oben die Worte: „Flugtaxis – das schaffen wir!“ Dementsprechend ist das Bild, das als Motiv auf dem Handzettel und Plakat reproduziert wurde, „Flugtaxis“ betitelt.
Gitschiner 15/ Zentrum für Gesundheit und Kultur, gegen Ausgrenzung und Armut. (Gitschiner15)
Treppenhausgalerie
Gitschiner Straße 15
Berlin-Kreuzberg (61)
10969 Berlin
Tel. 69536614
www.gitschiner15.de
(Zentrum: ab 11 Uhr), Ausstellungseröffnung am Freitag, den 1. Juni 2018 um 18 Uhr. (Bis 1.9.18)
Viele Gruppenausstellungen sind in der Gitschiner 15 bereits gezeigt worden, doch nur wenige Einzelausstellungen:
Neben der Kunst ist die Musik ein wichtiger Bestandteil der Kultur, die in Kreuzberg gepflegt wird:
Etwas mehr über Jean-Michel Basquiat findet man hier:
Jean-Michel Basquiat – der James Baldwin der Kunst? Basquiat-Film zur Basquiat-Ausstellung