William Forsythe im Staatsballett Berlin mit „Approximate Sonata 2016“, „One Flat Thing, reproduced“ und „Blake Works I“

"William Forsythe", Deutsche Oper Berlin, SBB, Approximate Sonata. © Foto: Yan Revazov

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Die Deutsche Oper Berlin lud am Freitag, den 16.2.2024, zur Ballettpremiere „William Forsythe“ ein. William Forsythe? Richtig, der Mann ist eine Legende, eine Choreographenlegende, die weltweit als einer der kreativsten und innovativsten Erneuerer der Ballett-Tradition berühmt ist.

Revolution, Wahnsinn in Tüten und Romantik pur – so lässt sich kurz die Sensation skizzieren, die das internationale Publikum in einem fast ausverkauften Haus zu frenetischem Beifall, Jubelrufen und Standing Ovations veranlasste. Mit stehenden Ovationen wurde die dreiteilige Ballettpremiere der weltweit renommierten New Yorker Choreographenlegende William Forsythe gedacht, der auch als Revolutionär des Bühnentanz-Theaters gilt.

Drei Stücke (inklusive Pause) ziehen die Zuschauer magisch in ihren Bann.

William Forsythe: Aproximate Sonata 2016, One flat thing, reproduced und Blake Works I.

Aproximate Sonata 2016

Ein Stück im Stil des Minimalismus: schwarze Bühne und Wände, die TänzerInnen lediglich in schwarze Kostüme gekleidet, die Tänzerinnen in schwarze Bodys, die zulassen, die gestählten Muskeln der Arme und Beine während des Tanzes zu bewundern. Minimalismus, der die volle Konzentration auf das brillante tänzerische Können des Corps de Ballett der Berliner Staatsoper erlaubt, um zu goutieren.

Das Stück selbst besteht aus einer Abfolge von Pas de deux, die den TänzerInnen innerhalb der Choreographie doch eine gewisse Entscheidungsfreiheit geben – ein Geben und Nehmen der Tänzer.

Die Musik von Thom Willems, mit dem William Forsythe seit Anbeginn zusammenarbeitet, sei eine „völlig neue akustische Welt für mich“, wie er im Interview mit dem Intendanten Christian Spuck bekennt. „Er schrieb während der Aufführungen die Musik oft um, ein unglaublicher Improvisator“. Damit habe er ihn auch schon einmal zum Weinen gebracht, als er im Flugzeug eine CD mit seiner Musik hörte und „es so schwierig war und am nächsten Tag hatte ich eine Probe“ mit dem New York City Ballet.

Die Musik zu Aproximate Sonata 2016 beginnt mit einem wummernden Basston, der sich monoton wiederholt, minutenlang tanzt hierzu ein Pas de Deux.

JA steht groß auf einem Schild. Ein zweites Pas de Deux kommt hinzu, elektronische Töne erklingen, während hohes tänzerisches Können gezeigt wird. Die TänzerInnen haben hochgesteckte Frisuren, während aller drei Stücke!

Beinhebungen, die ganzen Körper in Bewegung wie beim Ausdruckstanz – viele ruhige Episoden sind integriert.

Die Musik explodiert: Knalleffekte wie Silvester-Feuerwerk, gefolgt von einer ruhigeren Passage. Eine Tänzerin mit grüner Seidenhose erscheint.

Zum Abschluss ein witziger Pas de Deux: die beiden unterhalten sich und scheinen einander zu fragen, welche Tanzpositionen sie ausprobieren sollen, die sie dann präsentieren. Schmunzeln im Publikum!

Vorhang – es folgt frenetischer Applaus!

One Flat Thing, reproduced

Kontrapunktische Ballettstruktur, vernetzte Maschinerie – so die Ballett-Fachsprache, die dieses Stück kennzeichnet.

Die TänzerInnen schieben zu Anfang eine Vielzahl von Metalltischen auf die Bühne und lassen sie im Abstand voneinander dort stehen, genügend Abstand, dass nun ein Vulkan ausbrechen kann, ein Vulkan vom über, neben und unter den Tischen akrobatisch tanzenden, sich verrenkenden Corps de Ballett, alle in legero gekleidet, sprich: Bunte T-shirts und Tanzleggings.

In einem atemberaubenden Furioso, das einem den Mund offenstehen läßt und das Herz schneller schlagen, jagt und tobt die „Meute“ in gut durchchoreografiertem, scheinbarem Chaos wie eine Tsunami-Welle zu oszillierend scheppernder Musik in wildem, halsbrecherischem Tanz, Verrenkungen aller Art zeigend.

Es wirkt wie Ringelpiez mit Anfassen oder wie „wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse über die Tische“. Als ob die Westside-Gang entfesselt wäre – in unglaublichem Tempo – immer wilder explodiert der Tanz nonstop, untermalt von der Computer-Musik Thom Willems‘.

In einer folgenden, ruhigen Szene sieht man die klitschnaß geschwitzten, nach Luft ringenden TänzerInnen mit langsameren Bewegungen – Musik wie Störgeräusche mit Pfeifen.

Was für eine Leistung! Wahnsinnen in Tüten, das totale Chaos, kann man dazu nur sagen. Und immer wieder dieses: „und ab geht die Post!“

Nach diesem aufbäumenden Meer von TänzerInnen des Staatsballett Berlin, bleibt frau/man als ZuschauerIn mit offendem Mund staunend zurück, berauscht von dieser tosenden Dynamik.

Abschließend schieben die TänzerInnen die Tische zurück in den Fond.

Der Applaus, Begeisterungsrufe und standing ovations wollen kein Ende nehmen!

Blake Works I

Absolut anders ist als die beiden ersten Stücke ist dieses Werk, welches Forsythe nach 17 Jahren Pause kreierte! Hier greift er einige ikonische Fragmente großer Ballettmeister wieder auf, die Einfluß auf ihn hatten.

Die romantische Musik von James Blake, Liebeslieder-Balladen, lädt zum Träumen ein.

Das Werk wurde 2016 vom Pariser Opernballett im Palais Garnier Paris uraufgeführt.

„Ich habe mich den Erwartungen entzogen, indem ich einen ziemlich strengen Neoklassizismus mit populärer Musik kombiniert habe… In Blake Works I habe ich versucht zu verstehen, was damals an der Pariser Oper vor sich ging, und ich wollte die Interessen der TänzerInnen unterstützen.“ So Forsythe im Interview mit Intendant Christian Spuck.

Heraus kam ein Werk, bei dem in den ZuschauerInnen auch das Gefühl erweckt wird, gerne mitzutanzen.

Zu den melodiösen Liebesliedern tanzen die TänzerInnen in lindgrünen Kostümen (Tütü-ähnlich) mit fließenden Bewegungen, fast so wie im freien Disco-Tanz gemischt mit klassischem Ballett, Spitzentanz wechselt sich ab mit Ausdruckstanz in einzelnen Stücken, wo es immer wieder Zwischenapplaus gibt!

Zu einem munterfröhlichen Lied wird fröhlich-behend und beschwingt getanzt mit einem Lächeln im Gesicht, welches ansteckend wirkt. Teilweise scheinen die TänzerInnen über die Bühne zu fliegen. Viel Zwischenapplaus.

Zu einem melancholischen Liebeskummerlied tanzt das Corps de ballet mit anmutigen, hingebungsvollen Bewegungen, Ausdrucks- und Spitzentanz – als ob Gazellen sich bewegen. 4 Pas de deux vor dem Zwischenapplaus.

Dann ein Cut: Ausschließlich Tänzer in ihren lindgrünen enganliegenden Tanzkostümen springen in weiten Sprüngen über die Bühne und hüpfen elegant zu ekstatischer Musik. Ein wunderbares Solo folgt mit anschließend mehreren Tänzern, die eine schöne, lebensbejahende Stimmung und Leichtigkeit erzeugen mit Lust, als ZuschauerIn mitzutanzen. Ein Pas de Deux schließt das Stück ab, in dem sie tanzen wie ein Liebespaar mit Hebungen und Ausdrucktanz – einfach herrlich anzuschauen!

Schlussapplaus folgt mit stehenden Ovationen und Begeisterungsrufen mit mehreren Vorhängen. William Forsythe, Thom Willems und die gesamte Crew zeigen sich auf der Bühne – die Begeisterung wollte kein Ende nehmen.

Forsythe unterbricht die Begeisterungswelle kurz, indem er Thom Willems noch einmal extra vorstellt – er habe mit ihm seit über 40 Jahren schon gearbeitet, sagt Forsythe in gutem Deutsch. Und weiter geht der Begeisterungssturm!

Die nächsten Termine: (19.2.), 23.2., 4.3.,10.3.,13.3.,14.3., 1.4., 6.4., 9.4.2024

Eine Einführung wird jeweils 45 Minuten vor der Veranstaltung angeboten.

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