Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Jemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten. Wozu eigentlich? Nicht in Berlin, wo es schon genug Einzelmauern gibt und zuwenige, die mit einem Dach über dem Kopf die vier Wände bilden. Nein, im Süden der USA an der Grenze. Auf dem Territorium von Bundesstaaten, die bis zum mexikanisch-amerikanischen Krieg zu Mexiko gehörten. Erstens gibt es ja bereits eine Mauer, die in der Mitte und an ihrem Ende am Strand mehrfach filmisch abgebildet wurde. Warum also das Wahlkampfversprechen, eine Grenzbefestigung zu errichten, wo es doch bereits eine gibt.
Zweitens: Das beantwortet der Film „El Mar La Mar“. Spanisch. Auf deutsch: Das Meer. Das Meer. „Mar“ scheint das einzige spanische Wort zu sein, das mit zwei Artikeln vorkommt. Während die Verwendung des männlichen die konkrete See meint, ist der weibliche Artikel dem poetischen Sinn vorbehalten, wie im seufzenden Chanson „La Mer“. Im Französischen auch weiblich. Im Deutschen sächlich-zutreffend.
Weitere spanische Zwischenüberschriften des Forumsfilms „El Mar La Mar“ sind „Rio“ und „Costa(s)“. Der Fluss und die Küste.
Wasser ist im Film aber gar nicht zu sehen.
Rätselraten ist angesagt. Die Tonspur läuft nicht parallel. Ein schwarzer Bildschirm – oder ist es die Nacht über der Wüste? – wird ergänzt durch Berichte von Überlebenden. Flüchtlinge und illegale Migranten versuchen mit unzuverlässigen „Führern“ durch die Sonora-Wüste in den Süden der USA zu gelangen. Überlebende waren zum Beispiel 8 Tage unterwegs – mit Proviant für 3 Tage.
Einige erteilten sogar den Rat, die Lebensmittel und Getränke wegzuwerfen, um schneller vorwärts zu kommen.
Ein Mexikaner war 5 oder 6 Tage im Kreis gelaufen, was ihm dehydriert gar nicht aufgefallen war.
Landmarken sind selten in der Wüste, wenn man sie nicht kennt. Viele Migranten, die der Gewalt in Mexiko entkommen wollen – siehe „El Libertad del Diabolo“ („Die Freiheit des Teufels“), der am Samstag den ai-Preis gewann – kommen aber aus den Städten. Die größte der Welt heißt Mexiko-Stadt.
Im Mittelteil des etwa anderthalbstündigen Films werden einem unter anderen wunderbare Naturaufnahmen von Fledermäusen gezeigt, die nachts Blumen bestäuben. Tagsüber finden Mensch und Tier kaum Schatten, verstecken sich unter der Erde, in Höhlen oder an kühlen, schattigeren Plätzen.
Wer die Disziplin besitzt, den Film ganz anzuschauen und keine Brandungswellen erwartet, wird der Jury vielleicht folgen können. Ein Viertel des Publikums der spätabendlichen Sondervorstellung des Gewinnerfilms, der aus etwa 40 Forumsfilmen ausgewählt wurde, verließ vor Mitternacht den Saal. Doch das ist fast am Ende von mehr als 10 Tagen Berlinale nicht unbedingt ein Wunder.
Außerdem hatte einige den Film „El Mar, La mar“ bereits während der Berliner Filmfestspiele gesehen und wollten nur sichergehen, dass sie den Siegerfilm auch nicht verpassen. Deswegen hatten Sie sich eine Eintrittskarte für den Gewinnerfilm besorgt und schauten jetzt zum zweiten Mal denselben Film.
Fazit: Ein Film, der die Jurys und Fachleute überzeugt, das Durchschnittspublikum u.U. etwas weniger.
Am Samstag erhielt der Film einen weiteren Preis einer „kleinen“ Jury. Davon später mehr. –
Ein deutsch-sizilianisches Paar plant ein Buchprojekt, in dem es um Flüchtlinge aus Jugoslawien und Italien geht – u.a. Deserteure und Kriegsdienstverweigerer. Mehr dazu hier im Kulturexpresso. d.Red. Aha.