Beton schmeckt. „Taste of Cement“: Filmpremiere in Berlin mit Regisseur

Evolution of Concrete, Beton der Firma Cemex in einer Ausstellung in der mexikanischen Botschaft Berlin Frühjahr 2018
Beton der Firma Cemex in der Ausstellung "Evolution of Concrete" in der Botschaft Mexikos in Berlin. Frühjahr 2018. © 2018, Foto/BU: Dirk Fithalm

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Beton schmeckt der Wirtschaft. Filmregisseur Ziad Kalthoum entwirft ein Szenario, bei dem man sich fragen muss, ob vielleicht die Chefs von multinationalen Baufirmen ab und zu in Davos und anderswo mit den Waffenproduzenten beim Plausch sitzen. Der Film „Taste of Cement“ zeigt Syrer, die im Libanon arbeiten. Bauarbeiter. In ihrer Heimat fliegen die Kugeln, hat bauen wenig Sinn. Deshalb sind die Arbeiter hier.

„Taste of Cement“ im heutigen Libanon

Der kurze Weg, ein ähnliches Klima und die gleiche Sprache zogen sie an. Dubai wäre auch in Frage gekommen, oder Katar, wo die Stadien für die Fußball-WM gebaut werden. Doch ist der Persische Golf auch nicht weit weg von Indien und Pakistan, die beide ein riesiges Arbeitskräftereservoir darstellen. Araber in Arabien zu sein, heißt nicht, bei der Arbeitsplatzvergabe automatisch an 1. Stelle zu stehen.

Die Schweiz des Nahen Ostens: der Libanon

Libanon war die Schweiz des Nahen Ostens. Stabil, reich, schön; sogar Berge gibt es: den Libanon und den Anti-Libanon. Doch dann änderte sich alles von einem Tag auf den anderen. Durch den Bürgerkrieg. Viele flohen, manche bestimmt auch nach Syrien, das 1980 kriegsmäßig nicht so viele Baustellen hatte. Der Yom-Kippur-Krieg war vorbei, die syrischen Golanhöhen blieben besetzt und der anstehende Golfkrieg tangierte Damaskus nur als Bündnispartner einer der beiden Beteiligten.

Bestimmt gingen auch libanesische Bauarbeiter nach Syrien. Israel betrachtete Syrien als Lieblingsfeind: Stabil, verlässlich, säkular und berechenbar. Wer die Golanhöhen beherrscht, sichert oder bedroht das nahe Damaskus, die Hauptstadt Syriens. Syrien war also trotz des Kriegszustands mit Israel – Ägypten hatte gerade erst in Präsident Carters Beisein mit Israel Frieden geschlossen, eine Sensation – ein Hort des Friedens, oder besser: Eine Insel des Friedens. Und des Wohlstands.

Ähnlich wie in Libyen, mit dem Syrien als VAR sogar einmal eine staatliche Gemeinschaft bildete, war das Bruttosozialprodukt hoch, auch das Pro-Kopf-Einkommen.

Libyen war das reichste Land Afrikas, bevor Muammar al-Gaddafi in Ungnade fiel und nach Krieg und Bürgerkrieg getötet wurde. Heute ist das Land, das von französischen und US-Flugzeugen angegriffen wurde, so unsicher und instabil, dass immer wieder Öl-Pipelines kaputtgehen. In Bengasi wurde vor wenigen Jahren sogar der US-Botschafter ermordet, ein ungeheuerlicher Vorgang.

Blick aufs Mittelmeer – Berlinale und „Taste of Cement“

Der Film „Taste of Cement“ ist bisher noch nicht gezeigt worden, wir konnten ihn also auch noch nicht anschauen. Wie das bei Premieren so ist. Der Text von den Organisatoren lautet wie folgt:
„In den strahlend blauen Himmel über Beirut wachsen neue Wolkenkratzer mit Traumblick auf das Mittelmeer.“

Sofort erinnert man sich an den ellenlangen Installationsfilm von Forum Expanded der Internationalen Filmfestspiele Berlin, der im Februar als erste Station in der Akademie der Künste am Hanseatenweg gezeigt wurde. Eine Schwimmerin – die libanesische Regisseurin – zieht ihre Bahn. Der Film dauerte etwa 12 Stunden, davon war die Filmemacherin ca. 9 Stunden im Wasser. Mit Pausen. Das Morgenlicht und Abendlicht, das unterschiedliche Blau des Poolwassers und Meerwassers faszinierten den geduldigen Beobachter.

Zeit wurde erlebbar durch das veränderte Licht, das auf den veränderten Sonnenstand rückschließen ließ.

Zuschauen konnte man bei der Berlinale jeden Tag und bequem im 1. Stock der Akademie in Liegesesseln platznehmen. Der Horizont war aus den Bildern der Standkamera, die nicht bewegt wurde, herausgeschnitten worden. Die Installation zeigte also den oberen und unteren Streifen des Bildes, unten einen Pool mit einer einsamen Schwimmerin, dahinter das landnahe Mittelmeer mit Booten und oben den Himmeln mit gelegentlichen Flugzeugen.

Das zyklische Zeiterleben in „Taste of Cement“ scheint aus dem Kreislauf von Neubau, Stehen des Hauses, Zerstörung des Gebäudes, Abriss der Ruine, Liegen des Schutthaufens und Beräumung zu bestehen.

Beirut heute – Frieden nährt

Beirut heute ist frei von Krieg und Bürgerkrieg. Im Libanon wohnen eine Million Syrer, Kriegflüchtlinge. Vielleicht anderthalb Millionen. Eine riesige Zahl für das kleine Land. Noch kleiner als Jordanien, wo es viele Flüchtlingslager auf der grünen Wiese gibt, die dort Wüste heißt.

Beirut ist dabei, sich zu erholen, hat Lehren aus dem Krieg gezogen. Ehen zwischen Moslems und Christen sind verboten. Verliebt sich doch mal jemand, fliegt er nach Zypern zum Heiraten.

Teile und herrsche machte aus einem fruchtbaren Land voller Möglichkeiten jahrelang eine Hölle mit vielen Toten und Zerstörung. Nach dem Ende der Kampfhandlungen: Wiederaufbau. Jetzt ist Syrien dran. Krieg und Bürgerkrieg. Nach dem Ende der Kampfhandlungen wird auch dort an den Wiederaufbau gedacht werden.

In der Bundesrepublik Deutschland führten die Umstände, die Mithilfe der Vertriebenen, die sich wieder ein schönes Leben aufbauen wollten, und eine bestimmte Politik bekannterweise zum Wirtschaftswunder. Damaskus darf zwar keinen Marshallplan erwarten. Aber viele Syrer, die auf dem Bau arbeiten, werden wohl nach dem Ende des Schießens und Bombardements zurückgehen. Sie werden dringend gebraucht.

„Taste of Cement“ in Syrien

Weiter im Text der Organisatoren:

„Tagsüber werden sie [die neuen Wolkenkratzer] von syrischen Bauarbeitern errichtet. Zu Hause in ihrer Heimat zerstört der Krieg zur gleichen Zeit ihre eigenen Häuser.“

„Auch nachts dürfen sie die Baustelle nicht verlassen, sie müssen hinunter in die Keller der Betongiganten, wo sie kochen, hoffen, schlafen.
Mit der Visualisierung von Tätigkeiten auf der Baustelle, die an expressionistische Filme erinnern, entsteht durch Bilder, Sprache und Geräusche ein essayistisches Porträt der Bauarbeiter.

Doch dann gibt es auch Bilder von Menschen, die nach dem Einsturz eines Hauses mit bloßen Händen die Verschütteten versuchen auszugraben.“

„So entsteht ein eindringliches Gleichnis von Krieg, Zerstörung und Neubeginn.“

„Der syrische Regisseur Ziad Kalthoum hat mit »Taste of Cement – Der Geschmack von Zement« ein poetisches, emotionales und bildgewaltiges Werk geschaffen, das mehr ist als ein Film – es ist eine Erfahrung.“

„Taste of Cement“: Filmografische Angaben

Originaltitel: „Taste of Cement“(wörtlich übersetzt: „Der Geschmack des Zements“, gemeint ist auch: „Der Geschmack des Betons.“ In der englischen Sprache wird für ‚Beton‘ statt ‚concrete‘ oft fälschlich das Wort ‚cement‘ verwendet.)
Land: Deutschland
Jahr: 2017
Regie: Ziad Kalthoum
Länge: 85 Minuten

Premiere von „Taste of Cement“ (OmU) in Anwesenheit des Regisseurs am Pfingstmontag, den 21. Mai 2018 um 19 Uhr im Kino Moviemento Berlin, Kottbusser Damm 22, Berlin-Kreuzberg.

Moviemento-Kino
Kottbusser Damm 22
10967 Berlin

U-Bahnhof Hermannplatz

www.moviemento.de

Weiteres zu diesjährigen Filmpremieren:

Am Ende des Krieges warf das Nahen der Front ihre Schatten voraus:

Ich möcht‘ noch ein bisschen leben. Film „Über Leben in Demmin“ von Martin Farkas (Überleben)

Eine besonders elegante Methode, immer im Frieden zu leben – die Erde verlassen wie Kazimierz Blaszczak:

Marspole. „First Pole on Mars“ von Agnieszka Elbanowska im Fsk-Kino Oranienplatz (Filmpolska)

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