Das Wesen der Haikudichtung oder schöne Morde mit Seishi Yokomizo – Annotation zum Buch „Mord auf der Insel Gokumon“

Der Umschlag bzw. das
"Mord auf der Insel Gokumon" von Seishi Yokomizo. © Blumenbar

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Welche Freude, Blumenbar hat uns erhört und bringt einen zweiten Roman der wunderbaren Reihe um den strangen Privatermittler Kosuke Kindaichi heraus („Mord auf der Insel Gokumon“).

Auch wenn Kriminalroman auf dem Cover steht, sind es doch in erster Linie kulturhistorische Bücher im leichten Suspensegewand. Weil sie in den dreißiger und vierziger Jahren handeln, bewegen sie sich angenehm in einem fremden Zeitstrahl, belästigen uns nicht durch schnödes Zeitgeistgeschnatter und politisch korrekte Belanglosigkeiten.

Wir werden zart an unseren Patschhändchen vom Meister durch die Wirr- und Irrgärten der japanischen Insel Gokumon gelotst. Wer auf spitzfindiges, fein literarisches Geschnatter steht und nicht unbedingt jeden Baum der Logik erklettern muss, ist bei Yokomizo gut aufgehoben, der uns in angenehm altmodischer Weise und schön schrullig von bösem Gelichter, seltsamen Riten und der harten japanischen Nachkriegsgeschichte (der Autor ist, wie angenehm: Kriegsgegner) berichtet. Ein amüsantes Buch für 2 Tage mit Ventilator und viel Sake, nebst eingelegtem Rettich.

Bibliographische Angaben

Seishi Yokomizo, Mord auf der Insel Gokumon, Kriminalroman, 336 Seiten, Übersetzerin aus dem Japanischen: Ursula Gräfe, Bindung: Festeinband mit Klappen, Verlag: Blumenbar im Konzern Aufbau-Verlage GmbH & Co. KG, Berlin, 1. Auflage 15.8.2023, ISBN: 978-3-351-05119-8, Preis: 22 Euro in der Bundesrepublik Deutschland.

Ergänzungen der Redaktion zu Inhalt u.a., dem Namen der Insel und einer englischen Vorlage:

Editionsgeschichte dieses 52 Jahre nach Erscheinen in den 70ern übersetzten Buches und Grundsätzliches

Das Original erschien in Japan 1971*. Originaltitel: 獄門島. Das wird mit lateinischen Buchstaben Gokumontō umgeschrieben. Der Titel ist aber nicht Gokumontō, sondern „獄門島“. Das nur zur Klarstellung eines häufigen Irrtums. Bloß, weil man etwas weder lesen noch aussprechen kann, kann es trotzdem der Originaltitel sein. Das gilt auch für russische, griechische und chinesische Bücher. Aber natürlich nicht nur für Buchtitel, sondern auch für Namen; Ortsnamen wie Personennamen.

Eine von Louise Heal Kawai übersetzte englischsprachige Ausgabe erschien am 30.Juni ’22 unter dem Titel ‚Death on Gokumon island‘ bei Pushkin V. Frau Kawai ist nicht die einzige Übersetzerin von Yokomizo-Büchern in jenem Verlag.

Das erste auf deutsch erschienene Buch Seishi Yokomizos führt den Titel „Die rätselhaften Honjin-Morde“. Erscheinungsdatum 6.9.2022. Es ist auch ein Kriminalroman. Eine Einschätzung finden Sie im Kulturexpresso, kurz nach dem Bucherscheinen hier veröffentlicht worden; direkter Link: Fette Beute aus dem ländlichen Japan um 1930 – Kulturexpresso.de .

Beide Übersetzungen erlebte Yokomizo Seishi nicht. (So wird er in Japan genannt, in dieser Reihenfolge.) Der ‚König des Kriminalromans des Goldenen Zeitalters‘, wie er im Netz gekrönt wurde, starb 1981 79jährig. Es sollte noch 41 weitere Jahre dauern, bis die Kawai-Übersetzung herauskam und 42 bis zur deutschen Ausgabe.

Wenn ein Außerirdischer in eine deutsche Buchhandlung käme …

*Noch ein Hinweis zur „Geschwindigkeit“, mit der Bücher aus Ostasien oder Japan übersetzt werden und in Deutschland erscheinen. In diesem Fall damit sogar erstmals in Europa! Es dauerte 52 Jahre (!!!), bis dieser Roman auf deutsch herauskam. Das andere Ausland war nur unwesentlich schneller, ein paar Monate bzw. 1 Jahr. 51 Jahre oder 52, das ist kaum ein Unterschied und manches Menschenleben dauert noch nicht einmal solang. Romane aus Großbritannien und den USA werden bei uns im deutschsprachigen Raum in der Regel noch im Jahr des Erscheinens des Originals publiziert.

Das ganze lässt sich übrigens auf die Literatur der 3. Welt übertragen (obwohl man das ja nicht mehr so sagt, 3W). Genauer könnte man sagen, dass in Deutschland und Mitteleuropa im Wesentlichen nur Europäisches und Nordamerikanisches ankommt. Aus Nordamerika wenig aus Mexiko und auch nicht so viel aus Kanada. In Europa kommt das meiste von den britischen Inseln, ein bisschen aus Skandinavien, Südeuropa, Westeuropa. Das hat sich zwar in den vergangenen Jahren geändert. Aber es ist immer noch so, dass weite Teile der Welt unterrepräsentiert sind.

Wenn ein Außerirdischer in eine deutsche Buchhandlung käme, stieße er in der Regel auf ein immerhin recht großes Angebot. Und innerhalb kürzester Zeit, meist am nächsten Werktag, lassen sich etwa eine Million nicht nur deutschsprachiger Buchtitel bestellen. In der BRD kommen jedes Jahr über 100.000 Neuerscheinungen heraus; nicht umsonst findet die weltgrößte Buchmesse, die Leitmesse, in Frankfurt am Main statt. Besonders Deutschland, Russland und Tschechien sind mit dem Buch sozialisiert.

Trotzdem ist die Weltliteratur in einer deutschen oder westlichen Buchhandlung nicht angemessen repräsentiert, übrigens in keinem Buchladen auf diesen Planeten. Das liegt u.a. an fehlenden Übersetzungen aus dem Japanischen, Koreanischen und Chinesischen. In China gibt es schon seit 4000 – 5000 Jahren Literatur und Lyrik. Die wenigen Übersetzungen, die es gibt, sind teils nicht vollständig oder aus falscher Prüderie des 19. Jahrhunderts nicht korrekt.

Wo liegt die Insel Gokumon?

Die Suche nach der Insel bei einem Kartenanbieter („maps“) im Netz können Sie sich sparen! Wörtlich bedeutet der Name „Tor zur Hölle“, auf englisch ‚Hell’s Gate‘. Es soll sich um eine Insel in der (Seto-) Inlandsee handeln. Da gibt es einige, aber anscheinend heißt keine so. Es ist wie das ganze Buch – Fiktion, eben ausgedacht.

Die Inlandsee ist das riesige salzhaltige Binnenmeer Japans, das drei der vier Hauptinseln Japans verbindet, darunter die größte, Honshu, und die drittgrößte, KYUSHU. Ein Riesennaturhafen, der der Flotte natürliche Vorteile bietet. Vielleicht dachte deshalb die japanische Führung, und wegen der Riesenschlachtschiffes Musashi und einzigartiger Moral und Disziplin, das Inselreich sei unbesiegbar. Doch wie man spätestens aus dem Spielfilm „Oppenheimer“ lernen kann, gewann die USA das Wettrennen mit Deutschland um den A-Bombenbau, baute zwei verschiedene Bomben und warf sie auf Hiroshima an der Inlandsee (auf Honshu) und Nagasaki auf KYUSHU. Fakt: Japan hätte auch ohne die Bomben, die Hunderttausende verletzten und verstümmelten, kapituliert. Die Sowjetunion hatte zum Schluss, als das Deutsche Reich besiegt worden war, doch noch angegriffen.

„Gokumon“ scheint einfach die literarische Entsprechung der „Insel vor der Küste Devons“ zu sein, die aus der losen Vorlage Agatha Christies „Ten Little Niggers„, später unter dem Titel „And Then There Were None“ (deutsche Ausgabe „Zehn kleine Negerlein“) stammt. Es könnte sich bei der Insel vor der Grafschaft Devon um Lundy handeln. Doch darüber mehr in einem anderen Artikel.

die Redaktion/ Aha

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