Die Ein-Mann-Armee für ein besseres Amerika – Kritik zum Dokumentarfilm „Where to invade next“

© Dog Eat Dog Films

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Der Filmemacher Michael Moore hat die Eigenschaft mit seinen Dokumentarfilmen zu polarisieren. Wir könnten ihm auch Populismus vorwerfen. Einige mögen seine Filme gut oder schlecht finden, da sie Probleme nicht ausführlich bzw. nur oberflächlich behandeln. Eines haben Moore-Movies aber alle gemeinsam: Es sind Filme, die sich kritisch mit den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) und der US-amerikanischen Lebensweise auseinandersetzen. Das war schon bei seinem ersten Dokumentarfilm „Roger & Me“ der Fall, der sich mit der Arbeitslosigkeit seiner Heimatstadt Flint, Michigan, beschäftigt, als auch bei seinen späteren bekannteren Filme wie „Bowing for Columbine“, „Fahrenheit 9/11“ oder „Capitalisim: A love Story“. Ob Waffenwahn der US-Amerikaner, die Folgen des 11. September oder der Finanzkrise, immer waren die Filme von Moore eine Anklage an die bestehenden Verhältnisse der real existierenden USA.

Bei Michael Moore können wir zumindest sicher sein, dass die Anklage auf sehr unterhaltsame Weise erhoben wird. Das passiert teilweise mit – auch für ihn – unabsehbaren Folgen, was den Verlauf seiner Filme anbelangt. Etwa, wenn er es schafft in „Bowling for Columbine“ die Supermarktkette Walmart dazu zu bringen, Munition für Schusswaffen aus ihrem Sortiment zu nehmen oder in „Sicko“ die gesundheitlich angeschlagenen 9/11-Veteranen auf Kuba zu landen, um dort den kostenlosen Vorzug des Gesundheitssystems in Anspruch zu nehmen. Was bei diesen für Erstaunen und Fassungslosigkeit sorgt, da diese Form der Gesundheitsversorgung ihnen komplett unbekannt ist.

Michael Moores neuer Dokumentarfilm „Where to invade next“ (was man auf Deutsch mit „Wo als nächstes einmarschieren“ übersetzen kann) kann mit diesen unerwarteten Momenten nicht aufwarten. Dennoch hat er die Besonderheit ein Dokumentarfilm über die USA zu sein, obwohl nicht eine einzige Einstellung auf US-amerikanischem Boden gedreht wurde. Der Film wurde vorwiegend in Europa gedreht, wo uns aber mehr über die USA verraten wird.

Zur Premiere seines neusten Films konnte Michael Moore nicht persönlich nach Berlin kommen. Er lag mit einer Lungenentzündung im Bett und die Ärzte verboten ihm, an die Spree zu reisen. Daher war dem Film, der auf der 66. Berlinale präsentiert wurde, zu Beginn eine Videobotschaft von Michael Moore vorangestellt in der er sein Publikum grüßte, sich bedankte und bemerkte, dass er der erste Filmemacher sei, der seinen Film im Bademantel präsentiere.

Moore beginnt seine neueste filmische Auseinandersetzung mit den USA im Pentagon. In dem er in einer fiktiven Sequenz den dortigen Generälen anbietet, als Ein-Mann-Armee in fernen Ländern friedlich einzumarschieren, um die besten kulturellen Errungenschaften dieser Länder in die USA zu exportieren. Seit dem Zweiten Weltkrieg waren die USA – wie man meinen könnte – nicht mehr siegreich, im Grunde genommen weder in Korea, Vietnam, Afghanistan oder im Irak. So startet Moore seinen Eroberungsfeldzug stets mit US-amerikanischer Flagge in der Hand, die er im jeweiligen „eroberten“ Land symbolisch aufstellt.

Er fliegt nach Italien, wo er die die Arbeits- und Urlaubsbedingungen annektiert, um gleich darauf in Frankreich, wie sollte es anders sein, die Essenskultur einzusammeln. Beim Sammeln folgen das Bildungssystem in Finnland, die kostenlose Universiätsausbildung in Slowenien, die Vergangenheitsbewältigung in Deutschland, der Volksaufstand in Tunesien, das Inhaftierungs- und Rehabilitierungssystem in Norwegen und zu guter Letzt die Gleichstellung der Frau in Island.

Moore stellt diese Errungenschaften anschließend immer den US-amerikanischen Verhältnissen gegenüber. Auch wenn sein Blick auf die schönen Verhältnisse in Europa manchmal ein bisschen zu sehr durch die rosarote Brille und übertrieben scheint, er bleibt wie in seinen vorangegangenen Filmen seinem Stil treu: Es gibt keine Überraschungen.

Der Protagonist ist – wie sollte es anders sein – Michael Moore selbst. Das kennen wir aus seinen vorherigen Filmen. Und er nähert sich seinem politischen Anliegen auf die jeweilige ernsthafte wie ironische Weise. So beispielsweise in Slowenien, dass nur 25 Buchstaben im Alphabet hat, statt wie bei uns üblich 26. Das „W“ existiert dort nicht, was Moore zu der Bemerkung verleitet, ob das „W“ nach der Präsidentschaft von George W. Bush eliminiert wurde.

Dennoch ist diese Odyssee durch die europäischen kulturellen Eigenarten und Errungenschaften ein im besten Sinne unterhaltsames, politisches und witziges Stück Kino, dass uns und auch Michael Moore wieder erstaunen lässt und bewusst macht, was wir alles in sozialen und kulturellen Bereichen sowie im gesamten gesellschaftlichen Überbau erreicht haben und was uns eigentlich als normal erscheint. In den USA aber ist das alles andere als selbstverständlich.

Es ist die kritische Auseinandersetzung mit dem American Way of Life, der nach Sichtung dieses Filmes, so meint man, eher in Europa als in den USA vorzufinden ist. Das dürfte für viele Kinogänger beachtlich sein. Was bemerkenswert ist, dass wir hier einen Blick auf die US-amerikanische Kultur durch die Augen Europas werfen. Am Ende wird das besonders deutlich, wenn eine isländische Firmenchefin klar kundtut, dass sie niemals in den USA würde leben wollen, auch wenn man sie dafür bezahlen würde, da sie die menschlichen Lebensbedingungen in den USA als nicht annehmbar betracht.

Michael Moores Filme bewegen, amüsieren und spalten, gerade weil sie nicht politisch korrekt sind. Nicht anders ist es mit „Where to invade next“. Auch dieser Film ist keine perfekt recherchierte Dokumentation, die mit seriös-ernstem Unterton vermittelt. Bei Moore schwingt immer seine Persönlichkeit und vibrieren immer seine Eigenschaften mit und somit Wut auf und Kritik an den Zuständen in dem Land, in dem er lebt. Vielleicht ist genau das der Grund, weshalb Moores Filme uns immer wieder ansprechen, erstaunen, bestürzen und amüsieren lassen. Das sind möglicherweise auch die Gründe, weswegen Moores Filme bei uns auf absolute Ablehnung stoßen. So oder so: Ein Publikumsfilm ist „Where to invade next“ allemal.

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Originaltitel: Where to invade next
Land, Jahr: USA 2015
Dokumentarfilm
Regie: Michael Moore
Dauer: 119 Minuten

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