Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Wer auf der Berliner Stadtbahn am Bahnhof Zoologischen Garten aussteigt oder vorbeifährt, entdeckt neben dem Wirtschaftshof des Zoos eine Fanbase von Borussia Dortmund. So scheint es. Wer aber beim Warten auf den Fernzug Zeit für eine nähere Betrachtung hat, entdeckt an den schwarzgelben Zelten eine Beschriftung, die an der Erstvermutung zweifeln lässt.
Lauter Borussia-Dortmund-Fans
Haben hier wirklich gastfreundliche Fußballfreunde für ihre Kumpel aus dem Ruhrgebiet eine Bleibe errichtet, damit diese nicht die 8 Euro für das Doppelstockbett bezahlen müssen? Immerhin, das südlich des Bahnhofs gelegene Hostel wurde samt Pressecafe und Museum unlängst abgerissen. Im eckigen, schattenwerfenden Waldorf-Astoria nebenan liegen die Kosten pro Bett wohl etwas höher.
Schwarz-gelb gestreift sind die Zelte und schwarzbraun sind auch nicht die Teller, die Servietten, die Zuckertütchen und andere Accessoires. Alles durchgestylt, sagt der Dengländer.
Doch ein Beherbungsbetrieb verbirgt sich letzlich doch unter den Zeltdächern, will man der Werbung glauben. Von gestreift bis gestraft ist es nicht weit. Es handelt sich um ein temporäres Gefängnis.
An den Sitz gefesselt
Auch wenn man nach etwa drei Stunden, die man meist an seinen Sitz gefesselt verbrachte, entlassen wird: Irgendwie möchte man wieder hierhin.
Mach bloß keinen Zirkus!
Was man auch für einen Zirkus halten könnte, ist keiner.
1. fehlen die Tiere. Tierquälerei ist out. Der Geruch von Löwen-, Tiger- und Elefantenexkrementen stammt aus dem benachbarten Garten. Nicht aus dem Tiergarten, sondern aus dem mit dem vergitterten Zaun, Löwen(-) und Elefantentor.
2. fehlt der Conferencier. Ein Zirkus, da ertönt ein Tusch, dann reiten feenartige Tänzerinnen auf glänzend geschmückten Schimmeln und im Scheinwerferlicht steht ein Herr im Anzug und Fliege, lächelt und macht Komplimente.
Im Flicflac Fehlanzeige. Keine Tiere im Tross, stattdessen werden Menschen gequält. Dazu ist ein Knast ja da. Über die Rechten wird sich lustig gemacht und die Frauen werden diffamiert. Recht realistisch für schwedische Gardinen.
Überwachungsstaat en miniature
Dazu ein Geschmack von Big brother, der an die DDR erinnert. Drei Damen waren „zu lange“ ihr Näschen pudern. Schon wird per Live-Mikro die Untat in den Saal übertragen, der Suchscheinwerfer findet die drei Damen, die zu Weibern werden und sich ganz klein machen, als hätten sie etwas verbrochen.
Zusatzdelikt: Nach dem Pudern bestellten sie noch ein Getränk. Das muss geahndet werden! Schwuppdiewupp ist das Trio an den Pranger gestellt. Wer hier ausschert, wird gebrandmarkt.
Michail Gorbatschow sagte, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Das stimmt wohl. Doch manche maßen sich an, zusätzlich zu strafen. Im Leben mit Missachtung, in der Arena mit Beachtung.
Eine Ansage
Der Moderator macht die Ansage, ist aber weder moderat noch Ansager. Nach Gefängnisdirektor sieht er auch nicht aus. Dagegen spricht die gestreifte khakifarbene Uniform. Uniform, das ja.
Und es stinkt. Das liegt aber weniger an den Dixiklos im Foyer, die eine große Überraschung verbergen. Es liegt an den fern sich ankündigenden Motorradfahrern. Kräder im Knast. Indoor. Der Ausgang, durch den gerade das Publikum, nein, die Insassen eintraten, versperrt. Plötzlich Geknatter, Gefauche, Gestank. Es fliegen einem die Zweiräder nur so um die Ohren. Ersatz für die wilden Tiere.
Doch manche Insassen benehmen sich ebenso. Mit dem Flammenwerfer sollen Menschen abgefackelt werden.
Unerhört!
Verbrecher! Einsperren müsste man die! Ins Gefängnis gehören die! Da sind wir schon? Ach so.
Humor macht bekanntlich so manches Schicksal erträglich, so auch die Gitterstäbe. Teilweise.
Patrick, der Clown, ist zwar ein Betrüger – einen feine Gesellschaft hier – doch muss man mehrfach herzlich lachen. Ein Highlight, sagte der Dengländer.
Das Sprachengewirr kommt einem spanisch vor. Deutsch, thüringisch …
Die Kolumbianer, wahrscheinlich ehemalige Drogenhändler (?), (warum wären die sonst hier eingesperrt!), haben keine Angst, vor allem keine Höhenangst oder Klaustrophobie. Besser so, wenn man nicht raus kann.
Wer zu spät kommt, …
Sie teilen sich zu elft eine Zelle. Die Zelle hat keine Zwickel, denn sie ist rund. Schlafen dürfen sie dort auch nicht, nur stehen. Oder fahren.
Der Anführer lässt einen fahren. Dann den nächsten. Einen nach dem anderen, das knappe Dutzend. Es beginnt zu stinken.
Und wie der Anführer sie fahren lässt! So beengt der faradaysche Käfig, so kunstvoll das Umeinanderherum-Gesause. Wer zu schnell fährt, bricht sich und anderen das Genick. Wer zu spät – oder zu früh!! – kommt, auch.
Nichts für schwache Nerven oder Abgas-Allergiker.
Verbrennungsmotoren gibt es genug.
Feuer frei
Die Artisten sind Feuer und Flamme für ihre Show. Und sie heizen einem gehörig ein – im wahrsten Sinne des Wortes.
Weltrekord
Soviele Menschen waren noch nie so waghalsig: Weltmeister! Am 1.12.2016.
Immerhin, wie wir im Deutschen Museum in München gelernt haben: Vor Blitzschlag sind die elf während ihrer halsbrecherischen Schau geschützt. Möglicherweise sogar vor Elektrosmog.
Dienstags nimmer
Sogar ins Gefängnis geht’s nicht immer. Einerseits nur bis Mitte Januar 2017, anderseits nie an einem Dienstag.
Anreise
Läuft man die Jebensstraße von den Photographiemuseen kommend nordwärts, kann man die Zelte an der Hertzallee nicht verfehlen.
Vom Flughafen Tegel aus lohnt die Fahrt mit dem 109er Bus, nicht bis Zoo, sondern bis zur Endstation Hertzallee, einer Art Betriebshaltestelle. Wie bei Gefängnissen üblich, liegen diese nicht am Boulevard, sondern zwischen Gewerbegebieten, Hinterhöfen und Betriebshöfen der Städtischen Verkehrsbetriebe.
In Berlin besonders: Mit dem 109er geht es über den am schönsten bestrahlten Weltstadtboulevard Kurfürstendamm direkt zum Ziel.
Ausstellungen mit Gefängnismodell
In der Nähe das ehemalige Bundesverwaltungsgericht Hardenbergstraße Ecke Jebensstraße mit seinen Ausstellungen zu Justiz und Nationalsozialismus und Frauenwiderstand. Im Gegensatz zu den Zelten ist der Eintritt in die historischen Ausstellungen frei. Allerdings herrscht Ausweispflicht; ein guter Vorgeschmack auf den abendlichen „Gefängnisaufenthalt“.
Zudem gibt es in der Ausstellung über Frauen des deutschen Widerstandes in den Vorräumen der Hauptausstellung ein Modell des Frauengefängnisses an der Charlottenburger Kantstraße.
Ein Gefängnisbau im Verborgenen, von den Bomben verschont und jetzt anderen Zwecken dienend.
Flicflac: im Zelt an der Hertzallee Höhe Jebensstraße
Historische Ausstellungen zur deutschen Geschichte: „Justiz und Nationalsozialismus“ und ‚Frauengefängnis‘ – Frauen aus dem deutschen Widerstand inhaftiert in Charlottenburg:
Hardenbergstraße (Ecke Jebensstraße am Bahnhof Zoo). Öffnungszeiten tagsüber. Amtlichen Ausweis nicht vergessen.