Eine eigene Welt. Heile Welt, Science Fiction? Rocky Horror Show ist vor allem Kult! Premiere mit Sky DuMont

Premiere der Rocky Horror Show im Admiralspalast Berlin Friedrichstraße Janaur 2018
ROCKY-Picture-Show-Premiere im Berliner Admiralspalast: Noch ist die Welt in Ordnung. Brad (Felix Mosse, 2.v.li.) und Janet (Sophie Isaacs, Mitte rechts) vor der Autopanne. © 2018, Foto/BU: Andreas Hagemoser

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Der Berliner Admiralspalast ist seit langem nicht mehr so erbebt. Lange waren die Schlangen am Einlass nicht so lang und die Saalreinigung hat meist auch weniger zu tun. Das Publikum ist vor Überraschungen nicht sicher. Dabei ist die Geschichte der Late Night Double Feature Picture Show bekannt. Sowas von bekannt, dass die meisten mitsingen können. Unzählige Ohrwürmer sind aus dem Musical hervorgegangen. Das alles und noch viel mehr ist Richard O‘Briens Rocky Horror Show. Eben noch in Oberhausen, seit dem 24. Januar in Berlin an der Friedrichstraße.

Vor allem Kult: Musical zum Mitmachen

Wir fragten die bekannte Kunst- und Filmkritikerin Lisa Streitfeld aus New York, wie und warum es wohl zu diesem Kultstatus gekommen sei. „Letztlich bleiben dabei Rätsel offen. Obwohl ich aus New York bin und die entsprechende Szene hauptsächlich an der Westküste residierte – in L.A. unter anderem – wird es wohl so gewesen sein, dass einige Dinge zusammenkamen. Es war die richtige Zeit und bekannte Namen aus der LGBT-Szene waren im Dunstkreis der Show dabei. Es war auch die Zeit des David Bowie.“
Bowie lebte unter anderem Ende der 70er Jahre in Berlin-Schöneberg.

Fest steht, dass dieses Musical wie kaum ein anderes Kult ist. Es sind auch regelrechte Rituale entstanden, die bis heute weiterleben. Teilweise werden sie dem unkundigen Publikum aber auch gern weitergereicht, um die Tradition aufrechtzuerhalten. Denn einen guten Teil der Attraktion der Rocky Horror Show machen der Kultstatus und die Mitmachrituale aus, die miteinanderzusammenhängen und sich Synergien liefern.

Die Rocky Horror Picture Show ist aus vielen, meist US-amerikanischen Spielfilmen bekannt. Während im Hintergrund Bilder an die Wand projiziert werden, spielen die Darsteller ihre Rollen, singen und warten fast darauf, dass an bestimmten Stellen bestimmte Einwürfe bzw. Aktionen erfolgen und die gute Laune und Begeisterung ausbricht.

Wenn zwischendurch der Vorhang fällt

Während der Vorhang unten ist, führt ein Erzähler durch die Geschichte. Auch dabei reagiert das Publikum.
An manchen Stellen wird hineingerufen „Boring“. Für diejenigen, die die Rocky Horror Show nicht kennen, unverständlich bis dreist. Selbst die der englischen Sprache kundigen Zuschauer schauen fasziniert zu. Hat man doch so etwas noch nie erlebt. Oder nicht auf diese Art. Mit der Freiheit, derartige Einwürfe zu machen, rechnet man vielleicht bei einer politischen Studentenveranstaltung an der Freien Universität Berlin. Wer könnte sich im Renaissance-Theater, in der Schaubühne oder Deutschen Oper so einen lauten, sogar wiederholten Einruf vorstellen?
Aber es ist – ähnlich wie beim Wrestling vielleicht – Teil des Spiels. Ohne die verbalen Angriffe auf den Erzähler würde dem Ganzen wohl etwas fehlen, würde es einfach zu glatt laufen.

Der Fanshop der Rocky Horror Show

Der Souvenirladen von Richard O‘Brien‘s Rocky Horror Show ist im Foyer aufgebaut. Gleich links, wenn man hereinkommt. Man erwartet Tassen, Aufkleber und allerlei bedruckten Firlefanz. (Mousepads sind irgendwie out, oder?!) Wir fragen an der Kasse, was denn am beliebtesten sei? „Die Mitmachtasche.“ Für zurzeit 10 Euro kann sie erworben werden und enthält alles, was das Fanherz begehrt, unter anderem Spielkarten und Reis. Vermutlich für die noch Unwissenden auch eine Anleitung, wie wann mit den Gegenständen zu verfahren ist.

Sky Du Mont

Cayetano Neven du Mont, besser bekannt als Sky du Mont, mimt dabei an den ersten Tagen den Erzähler. Er ist ein Spross der Verlegerfamilie DuMont.

Die Einwürfe aus dem Publikum – werfen ist für diesen Abend ein charakteristisches Wort – sieht Du Mont gelassen. Ruhig wie ein Berg sieht er von der Bühne auf das Publikum herab, ohne herablassend zu wirken. Er ist souverän, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Mit seinen 70 Jahren, die man ihm nicht ansieht, schmettert er die Angriffe locker zurück. Fast prallen sie an ihm ab wie an dem Schutzschild des Raumschiffs „Enterprise“.

Ruft jemand „boring!“, reagiert er manchmal gar nicht. Dann wieder sagt er: „Könnt ihr kein deutsch? Sagt es doch einmal auf deutsch!“ Viele Rufer sind irritiert, trauen sich nicht. Vielleicht sind sie auch nur Nachplapperer, die tatsächlich die deutsche Bedeutung des Wortes nicht kennen. Dann erklingt ein zaghaftes „langweilig“. DuMont kontert: „Sonst fällt euch nichts ein?“

Nicht verhindern kann er, dass er manchmal in seinem Redefluss gebremst wird. Dann spielt er seine Trümpfe aus: „Ich bleibe hier solange stehen, bis ich fertig bin. Ohne mich geht der rote Lappen nicht hoch!“
Gemeint: der repräsentative, Respekt verbreitende und altehrwürdige Vorhang des Admiralspalastes.

Ein anderes Mal sagt er: „Ich werde wenigstens bezahlt!“

Gegen Ende spaziert er auch als Teil des Geschehens beziehungsweise unbeteiligter Beobachter über die Bühne.

Seit 2011 übernimmt DuMont, dessen Stimme auch in Kinotrailern zu hören ist, immer wieder mal die Sprecherrolle in diesem Musical.

Die Band

ist eine Rockband voller Begeisterung. Ganz zum Schluss sieht man, dass sie nicht im Orchestergraben sitzt – schließlich sind wir nicht in der Deutschen Oper an der Bismarckstraße – sondern über dem Geschehen steht und sitzt. Das halbe Dutzend Musiker ist auch präsentabel angezogen, obwohl sie die meiste Zeit unsichtbar bleiben, dafür umso hörbarer. Für zartbesaitete Gemüter gilt: Ohrstöpsel für die lauten Stellen mitbringen.
Für alle anderen gilt: Vorher nach Reisresten, einer angefangenen Rolle Toilettenpapier oder unvollständigen Spielkartensets Ausschau halten – zumindest diese gibt es häufig. Einzelne Spielkarten kann man auch sonst nirgends benutzen.

Besser als Hertha BSC – Entschuldigung, Fans der alten Dame!

Bei jedem großen Fußballspiel gibt es Rituale. Gesänge, Schals, La Ola – Die Welle. Genauso zusammenschweißend erscheinen die Rituale, die sich im Laufe der Zeit um die Rocky Horror Show gebildet haben.
Hier wäre ein interessantes Studienfeld für Soziologen und Psychologen zu beackern. Auch die Gruppentheorie und Le Bons „Psychologie der Massen“ könnten angewendet werden. Gustave Le Bon schrieb sein Werk „Psychologie des foules“ bereits 1895. Wörtlich auch: ‚Psychologie der Menschenmengen‘. Englischer Buchtitel: „The Crowd: A Study of the Popular Mind“.-

Anschrift: Admiralspalast, Friedrichstraße 101, 10117 Berlin
Eingang ebenerdig im Hof

Besetzung der Rocky Horror Show in Berlin

Die Besetzungsliste vom 24. Januar (Premierentag) im Admiralspalast:

Die Band auf der Galerie

Musical Director & Keyboards: Jeff Frohner,
Keyboards/ Keyboard: Martin Morgenstern
Drums/ Schlagzeug: Hardy Fischötter
Bass: Robert Lindemann
Guitar/ Gitarre: Michel Santunione,
Sax (ophon): Matthias Jahner

Auf der Bühne („Cast“)

Frank‘n‘furter: Gary Tushaw,
Janet: Sophie Isaacs,
Brad: Felix Mosse,
Riff Raff: Stuart Matthew Price,
Magerita: Jenny Perry,
Columbia: Holly Atterton,
Rocky: Ryan Goscinski,
Eddie/ Dr. Scott: Daniel Fletcher.

Erzähler: Sky Du Mont*

Phantoms: Sarah Wilkie, Aaron Kavanagh, Paul Knights, Christopher Parkinson

Gastspiel in Berlin bis 10. Februar 2018 mit wechselnden Erzählern:

* bis Montag, den 28.1.: Sky Du Mont

30.1. bis 4.2.(Di.-So.): Dominic Boeer

6.2. bis 10.2. (Di.-So.): Martin Semmelrogge

Die Erstaufführung fand am 16. Juni 1973 am „The Royal Court Theatre Upstairs“ in der englischen Hauptstadt statt.

Anzeige

Vorheriger ArtikelDunkel war’s! – Don Giovanni an der wiedereröffneten Staatsoper Berlin Unter den Linden – Dramma giocoso in zwei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart
Nächster ArtikelHildegunst von Mythenmetz versus Bücherjäger – Annotation zu „Die Stadt der Träumenden Bücher, Band 2: Die Katakomben“ von Walter Moers