Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Der aktueller Spielfilm „The Fabelmans“ von Steven Spielberg ist einer seiner persönlichsten und ungewöhnlichsten Kinofilme und zugleich ein typischer Spielberg-Film.
Alle Filme von Steven Spielberg haben mehr oder weniger etwas Persönliches, doch sein persönlichster Film „The Fabelmans“ wurde jetzt auf der Berlinale gezeigt. Er soll bereits Anfang März 2023 in den Kinos der Bundesrepublik Deutschland gezeigt werden. Dieser Spielberg-Beitrag wurde so weit getrieben, dass es schon in Richtung Selbstentblößung geht, denn die Fabelmans sind eigentlich ein Synonym für die Spielbergs. Die Hauptfigur Sammy Fabelman ist niemand anderes als Steven Spielberg selbst.
Spielbergs autobiographischer Film ist eine Coming-of-Age-Geschichte, ein Familienportrait im Allgemeinen und eine Geschichte über einen Jugendlichen, der seine ersten Schritte als Filmemacher unternimmt und den Film als sein Medium begreift um sich auszudrücken, im Besonderen. Die Erzählung erstreckt sich über zehn Jahre, von Anfang der 1950er Jahre, als Sammy sechs Jahre alt ist, bis in die Mitte der 1960er Jahre, als Sammy mit 18 seine erste prägende Begegnung im Filmbereich hat. Nach dem ersten Kinobesuch, Sammy ist von einem Zugunglück im Film „Die größte Schau der Welt“ äußerst angetan, wünscht er sich eine Spielzeugeisenbahn zum Chanukkafest. Da beim Nachstellen des Zugunglücks die Bahn Schaden nimmt, schlägt seine Mutter Mitzi (Michelle Williams) vor, das Unglück auf Film aufzunehmen. Das wird der erste Film, weitere Filme von Sammy werden folgen.
Sammy dreht mit seinen Pfadfinderfreunden einen Western sowie einen Kriegsfilm über den 2. Weltkrieg. Zwei weitere Filme über ein Familienpicknick und den High-School-Strandausflug werden produziert. Gerade diese beiden Filme werden nicht ohne Folgen für den Filmemacher bleiben.
„The Fabelmans“ startet als „Die Fabelmans“ am 9.März 2023 bundesweit in den Kinos
Zugleich ist die jüdische Familie Fabelmann Gegenstand der Geschichte. Vater Burt Fabelman (Paul Dano) ist Computeringenieur und hat den technisch-pragmatischen Part in der Familie inne. Mutter Mitzi ist das glatte Gegenteil. Sie ist Konzertpianistin und die Künstlerin in der Familie. Reggie (Julia Butters), Sammys jüngere Schwester*, Natalie (Keeley Karsten) und schließlich der langjährige Freund Bennie (Seth Rogen), auch Onkel Bennie genannt, der ein Freund, Arbeitskollege und Wegbegleiter seines Vaters ist, sind auch noch da. Zu guter letzt muß noch Onkel Boris (Judd Hirsch), der Sammy seine erste wichtige Lektion in Sachen Kunst und Familie erteilt, genannt werden. Er bestärkt Sammy, seinen Weg als Filmemacher und Künstler zu gehen unter anderem mit den Worten „We‘re junkies. Art is our Drug.“ Allerdings warnt er auch und zwar vor den damit verbundenen Konflikten mit der Familie. „Family, art. It will tear you“, sagt Boris. Boris ist Boris und Burt ist Burt und weil letzterer gute Jobangebote erhält, muss die ganze Familie mehrmals umziehen, beispielsweise nach Arizona, aber letztendlich nach Kalifornien. In diesem Sonnenscheinstaat erlebt Sammy an der High School erstmalig antisemitische Anfeindungen, aber auch Zuneigungen, also die erste Liebe und letztendlich die Scheidung seiner Eltern. Hinzu kommt eine Begegnung mit einer legendären Filmikone.
‚“The Fabelmans“ ist, wie eingangs erwähnt, ein Konglomerat aus Familienfilm, Coming-of-Age-Geschichte und Filmemacher-Film, deren zentrale alles umspannende Figur Sammy ist. Spielberg und sein Drehbuch-Coautor Tony Kushner schaffen es gekonnt, diese abwechselnden Ereignisse von Sammy und seiner Familie über diese zehn Jahre umfassende Geschichte zu erzählen. Der Fokus liegt natürlich auf Sammy und den damit verbundenen einprägenden wie enttäuschenden Momenten, die er mit seinen Eltern und anderen Familienmitgliedern, beim Filmemachen sowie an der High School erlebt.
Hervorragend besetzt und erinnerungswürdig
Der Film wurde hervorragend besetzt. So gut wie alle Figuren hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Michelle Williams und Paul Dano, die Sammy Eltern verkörpern, bestechen zu Beginn. Sie verkörpern keine aufregenden Figuren. Doch es ist ihre einfühlende und empathische Art und Weise, welche die Seele dieses Films bilden und ihn funktionieren lassen. Auch wenn sie nur Kurzauftritte haben, bleiben insbesondere die Darstellungen von Judd Hirsch als Sammys Onkel Boris und die von Regisseur David Lynch als Regielegende John Ford – das ist wahrlich ein echter Besetzungscoup – eindringlich in Erinnerung. Beide sind auf ihre Weise verschrobene Figuren, die in ihren Szenen jedoch Schlüsselmomente des Films begründen. Allen voran ist Gabriel LaBelle ist zu nennen, der Sammy Fabelmann darstellt. Er meistert seine Rolle äußerst souverän und überzeugend. Manchmal erinnere ich mich in seinen Szenen an Dustin Hoffman in „Die Reifeprüfung“.
Auch sonst schafft es Spielberg in seinem zweieinhalb Stunden langem Film, keine Langeweile aufkommen zu lassen. Der Streifen strotzt nur so von erinnerungswürdigen Szenen, beispielsweise wenn Sammy in Kalifornien einen intimen Moment mit seiner ersten Freundin hat, er als Jude, sie als Christin. Sehenswert sind auch die Szenen mit einem Jesus-Junkie und die großartige Schlußszene, in der Sammy in John Fords Büro steht. „The Fabelmans“ ist ein typischer Spielbergfilm, technisch perfekt, unterhaltend wie berührend. Selbstverständlich ist „The Fabelmans“ bestes Hollywoodkino. Wenn man etwas kritisieren kann, dann, daß Spielberg sein Ich etwas idealisiert und romantisiert darstellt. Nun, der ganze Beitrag ist mehr oder weniger nostalgisch angelegt. Mich erinnert er daher an Quentin Tarantinos „Once upon a time in Hollywood“. Keine Frage, daß beide Filme grundverschieden sind, doch in ihrer romantisierten Darstellung einer vergangenen Epoche Amerikas beziehungsweise Hollywoods haben sie doch Gemeinsamkeiten**. Bei Tarantino ist es das Hollywood von 1969, bei Spielberg sind es die 1950er und 1960er Jahre.
Viel Spielberg in den Spielbergfilmen
Zudem ist mir nach dem Sehen von „The Fabelmans“ noch einmal eindringlich klargeworden, wieviel von Spielberg selbst in seinen anderen Filmen steckt; Scheidung und Verlust der Eltern, besonders auffallend in „E.T. – Der Außerirdische“ sowie in „Catch me if you can“, die jüdische Herkunft in „Schindlers Liste“ und „München“ sowie das eigene Ich, besonders auffallend in „Der weiße Hai“, in Richard Dreyfuss‘ Darstellung des Ozeanographen Matt Hooper. Zu nennen ist ebenso die Figur des großen coolen Helden, sprich: Indiana Jones. Inspiration dafür ist Sammys Schulkamerad Logan Hall, der Sammy antisemitisch beleidigt, den Sammy aber in seinem Schulausflugsfilm als Helden filmt. Matt stellt Sammy danach zur Rede und beklagt sich, dass dieser ihn besser habe aussehen lassen als er es in Wirklichkeit ist, ein Held eben. Gerade diese Szene zwischen Sammy und Matt zeigt im Grunde viel über Spielberg. denn hier wird deutlich, dass der Film sein Mittel ist, sich auszudrucken, sein Sprachrohr in die Welt.
Matt ist es, der Sammy vorwirft, dass das Leben kein Film ist. Matt, der sich emotional gehen lassen hat, ringt Sammy das Versprechen ab, mit niemandem darüber zu reden, worauf Sammy ihm das Versprechen abringt, darüber einen Film zu drehen. Er hat’s mit „The Fabelmans“ getan. Dass sich Spielberg derart offenbart, dabei auch idealisiert, ist für Filmemacher ungewöhnlich. Dass auch Filmemacher ihre eigene Biographie „schreiben“, das allerdings nicht. Im Spielberg-Œuvre nimmt „The Fabelmans“ schon jetzt einen festen Platz ein.
Filmographische Angaben
- Originaltitel: The Fabelmans
- Staat: USA
- Jahr: 2023
- Regie: Steven Spielberg
- Buch: Steven Spielberg, Tony Kushner
- Kamera: Januz Kaminski
- Montage: Michael Kahn, Sarah Broshar
- Musik: John Williams
- Szenenbild: Rick Carter, Karen O‘Hara
- Darsteller: Gabriel LaBelle (Sammy Fabelman), Michelle Williams (Mitzi Fabelman), Paul Dano (Burt Fabelman), Seth Rogen (Bennie Loewy), Judd Hirsch (Onkel Boris), Sam Rechner (Logan Hall), Oakes Fegley (Chad Thomas), David Lynch (John Ford), Julia Butters (Reggie Fabelman), Keeley Karsten (Natalie Fabelman), Robin Bartlett (Tina Schildkraut), Chloe East (Monica Sherwood).
- Produzenten: Steven Spielberg, Kristie Macosko Krieger, Tony Kushner
- Spieldauer: 151 Minuten
[ * „Reggie“, gespielt von Julia Butters (* 2009), entspricht also Anne Spielberg, der 1949 geborenen Drehbuchautorin und Produzentin.
** Die Darstellerin der jüngeren Schwester, J. Butters, stand mit 5 schon vor der Kamera und spielte übrigens 2019 auch in „Once Upon a Time in Hollywood“ mit (in der Rolle der „Trudi Fraser“). Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden oben erwähnten Filme ist die Überlänge: „Es war einmal in Hollywood“ bringt es auf 163 Minuten oder 2 3/4 Stunden. d.Red. ]