Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Bücherverbrennungen fanden nicht nur im Nationalsozialismus statt, sind aber faschistoid und totalitär. Das Buch als Hort des Wissens bildet in seiner Gesamtheit der Bücher in Bibliotheken und Haushalten weltweit ein Abbild des menschenmöglichen Ozeans des Wissens. Viele Deutsche in ihrer Begrenztheit und ihrem begrenzten Wissen kennen heute nur die Bücherverbrennung am heutigen Bebelplatz vor Oper und Universität unter den Linden in Mitte, dort, wo auf dem Mittelstreifen Friedrich der Große steht, der wegen seiner Blickrichtung hin zum Brandenburger Tor über die Friedrichstraße hinweg – und, wer weiß, weiter nach Westen nicht nur in den Tiergarten und nach Charlottenburg – das abscheuliche Ereignis, das Umstehende anheizte und bis heute die Gemüter erhitzt, nicht mit ansehen musste. Was hat das mit dem Alten Fritz und der Wiedereröffnung der Büchertelefonzelle am Gleis 17 mit Prominenz am 23.2.’24 um 12 Uhr zu tun?
Die Oper wurde unlängst jahrelang aufwendig saniert, da sie aus einer Zeit stammt, die lange her ist, aus dem 18. Jahrhundert, das mit dem Barock begann und mit der unsäglich blutigen Französischen Revolution und Napoleon endete, der noch mehr Blutvergießen bewirkte und den Brand Moskaus. Napoleon ritt Anfang des 19. Jahrhunderts erst in die Stadt Charlottenburg, wo er im Schloss nächtigte, und am nächsten Tag, dem 25. Oktober, durchs Brandenburger Tor nach Osten, dann per Schiff nach Elba und St. Helena. Da Berlin besetzt war, wurde Memel die Hauptstadt Preußens, das immerhin durch den ersten Weltkrieg, den sogenannten 7jährigen Krieg, zur Großmacht aufgestiegen war. Napoleons Einzug in Berlin durchs Brandenburger Tor musste Friedrich II. nicht miterleben, da er 1786 verstarb.
Was er zu großen Teilen miterlebte, war der von ihm initiierte und nach ihm benannte Aufbau des Forums Fridericianum. Damit wird die Versammlung von wichtigen Stätten der Kultur in der Friedrichstadt und in Friedrichswerder seit 1740 bezeichnet.
Ort der Bücherverbrennung vom 10. Mai ’33 mit Kalkül gewählt
Die Friedrichstadt ist nach Friedrich I. benannt, König in Preußen (1657 in Königsberg i.Pr., 25. Februar 1713 in Berlin), Friedrichswerder ist älter und ist nach Kurfürst Friedrich Wilhelm benannt (+1688). Die Friedrichstadt liegt westlich der Vorstadt Friedrichswerder.
Das Forum Fridericianum ist ein Platz, der sich von der Schloßbrücke westlich bis zum Reiterstandbild Friedrichs des Großen erstreckt. Dessen Mitte bildet der Opernplatz.
Als am 10. Mai 1933 die Bücher auf dem Opernplatz brannten, geschah das nicht spontan. Der Ort wurde mit bedacht gewählt (heute Bebelplatz). Aus historischen Gründen (siehe oben) und aus praktischen Gründen. Viele der Bücher – Bücher sind schwer, viele Bücher sind schwerer – waren in der Nähe. Der Opernplatz wird westlich flankiert von einem Unigebäude, der ehemals königlichen Bibliothek. Auf der anderen Seite der Straße Unter den Linden liegt die Anfang des 19. Jahrhunderts gegründete Humboldt-Universität. Westlich angrenzend steht die damals einzige Groß-Berliner Staatsbibliothek.
Organisiert vom National-Sozialistischen Deutschen Studentenbund, fand die Aktion in 19 Städten des Deutschen Reiches gleichzeitig statt. Die Verbrennung in der Reichshauptstadt war also nicht die einzige. Mehr noch, die Bücherverbrennungen fanden im Deutschen Reich von März bis Oktober statt. Das Ermächtigungsgesetz im März, noch vom funktionierenden Rumpf-Reichstag beschlossen worden, war das entscheidende Machtinstrument. Es wurden Bücher jüdischer, aber auch oppositioneller, unliebsamer und pazifistischer, also friedensliebender Verfasser verbrannt.
Mit der „Aktion wider den undeutschen Geist“ begann die systematische Verfolgung dieser Schriftsteller. Die Bücherverbrennung war nur der medial gepushte Höhepunkt dieser widerlichen „Aktion“.
Bücher sind heilig. Papier ist geduldig, aber die Meinung bildet sich im Kopf des Lesers. Heute wie damals, jederzeit, muss den Zensurversuchen im eigenen Kopf und von außen widerstanden werden, um die Freiheit zu bewahren.
Es ist auch im Verfassungsauftrag. Denn: Eine Zensur findet nicht statt.
Prominenz bei der Wiedereröffnung der Büchertelefonzelle am Gleis 17
Wer kommt zur Wiedereröffnung der Büchertelefonzelle am Gleis 17? Jeder kann kommen, denn es ist „Open Air“, also eine Freiluftveranstaltung und eine Freilichtveranstaltung – man beachte bei letzten Wort nun das ich in der Mitte. Die Zelle ist, wenn sie nicht ausnahmsweise, wie nach dem barbarischen Brandanschlag auf die Büchertelefonzelle, wegen Reparatur und Wiederaufbau vorübergehend geschlossen ist, rund ums Jahr geöffnet. In ekelhaftem, weil verdrängendem und damit sprachvernichtendem Neusprech: „24/ 7“. Glauben Sie nicht, dass das auf deutsch ausgesprochen werden soll. Nur vorübergehend bis zur Einbürgerung. Sprachverfall ist Kulturverfall und hat langfristig schlimmere Folgen als eine Bücherverbrennung oder sogar Bücherverbrennungen.
Die Büchertelefonzelle ist also ab dem 23. Februar ’24 wieder rund um die Uhr geöffnet. Faszinierend – das Wort geht an die Nieren oder enthält sie zumindest – , dass während eines „Tages“, der ja bekanntlich, wenn auch nicht so stark im Bewusstsein, Tag UND Nacht umfasst, die Uhr von den Zeigern zweimal umrundet wird. Die Digitalisierung mit ihren Digitaluhren und Digitalanzeigen beraubt uns solcher grundlegender Analogien, die tief ins Unterbewusstsein eindringen. Das ist auch gut so, dass die Analogien tief ins Verständnis kommen. So tragen sie zu einem Wissensschatz bei, der nicht nur aus Büchern – aber auch!!! – gebildet wird und sich gestaltet. Auch aus Beobachtungen der Sterne, der Tiere, der Menschen. Der Sonne, die nicht nur die Welt beleuchtet, sondern, wie der Japaner Toshu Fukami es treffend formulierte, Glück ausstrahlt. Es sprach von der Glückskraft der Sonne. (Das Buch gibt es nicht auf deutsch, nur auf japanisch, englisch und vielleicht auf französisch.)
Die Öffnungszeiten rund um die Uhr gelten das ganze Jahr. Rund ums Jahr. Rund um die Uhr. Eintritt frei.
Es kommen zur feierlichen Wiedereröffnung unter anderem Kirstin Bauch, Bezirksbürgermeisterin von Charlottenburg-Wilmersdorf, Herr Sigmount Königsberg und
Michael Müller,
SPD-Mitglied aus Tempelhof (Tempelhof – was für ein Wort!) und seines Zeichens vor allem Regierender Bürgermeister von Berlin (von Groß-Berlin). Ehemaliger. Eine der ‚Regierenden‘, die nicht nach ein paar Wochen wieder eine Neuwahl abhalten oder veranstalten mussten, weil die erste Murks war. Eins der Stadtoberhäupter, der durch die nächste Berliner Wahl nicht wieder abgewählt wurde. Einer, der in einer langen Reihe von Honoratioren steht. Ernst Reuter. Klaus Schütz. Willy Brandt.
Wiedereröffnung der Büchertelefonzelle am Gleis 17
am 23. Februar ’24 um 12 Uhr fürs Volk. Die feierliche Eröffnung, zu dem wohl die eine oder andere kurze Rede gehalten werden wird, ist für 11.30 Uhr geplant.
Die Büchertelefonzelle findet man am südöstlichen Ausgang des S-Bahnhofs Grunewald oder an der Endhaltestelle des 186ers und des BVG-Metrobusses 19. Am Bahnhof Grunewald. So heißt auch die Straße. Gleis 17 ist in der Nähe.
In der Büchertelefonzelle gab es vor dem Anschlag des Jahres ’23 ein Extraregal für Bücher mit engerer thematischer Verbindung zum Gleis 17 sowie eine Audioinformationsmöglichkeit.
Nach dem Anschlag gab es im November ’23 ein Benefizkonzert für den Wiederaufbau. Wir kündigten es hier an. In dem Artikel mehr Einzelheiten zum Konzert, die Spenden-Kontonummer und der Hinweis auf zwei Schirmherrschaften. Die eine hatte Kirstin Bauch übernommen, die am 23.2.’24 sprechen soll.
Geschichtlicher Hintergrund des Gleises 17 unter dem am Anfang diesen Satzes hinterlegten Link. Zwischen dem Bahnhof Grunewald und dem nördlich gelegenen Westkreuz liegen nicht nur S-Bahngeleise, sondern ein riesiger Güter- und Rangierbahnhof, dessen Reste – seit den Hochzeiten der Eisenbahn sank der Flächenbedarf erheblich – noch in Betrieb sind (Zufahrt unter anderem über Werkstättenweg).
Bleibt zu hoffen, dass nach der Wiedereröffnung der Büchertelefonzelle die Bücher respektiert werden.