Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Die Berlinale naht, für viele eine alte Liebe. Im Reich der Perfektion gäbe es sie wohl nicht, die Internationalen Filmfestspiele Berlin. Aber anderswo. Anderswo ist hier, auf der Erde.
Im Herzen Mitteleuropas tobt bald wieder der „Wahnsinn“: 11 Tage mit fast einem halben Tausend Filmen, die Tag für Tag etwa 17-18 Stunden ausfüllen und definitiv zuwenig Raum zum Schlafen lassen. Das Forum hat seinen Platz in die Berlinale eingemeißelt neben Panorama, Wettbewerb und allerlei Firlefanz.
Fels in der Brandung
Christoph Terhechte, der Chef oder Sektionsleiter, steht wie ein Fels in der Brandung. Einst hieß das Forum „Internationales Forum des jungen Films“. Jetzt ist es dem Alter nach erwachsen geworden, sogar über 40.
Viele schieden schon vorher aus dem Rennen aus. Kurt Cobain, James Dean, Amy Winehouse, die DDR. Auch die Bonner Republik und West-Berlin, die den Rahmen für die Berlinale boten, gibt es so nicht mehr. Die Bundesrepublik Deutschland heißt zwar noch so. Sie ist aber fetter und behäbiger geworden, 16 Länder stark. Mit einem neuen Beinamen: Berliner Republik.
Eine Umbenennung hilft bei der Verjüngung. Und, wie Christoph Terhechte am 18. Januar ’18 ausführte und bekräftigte, das Besondere. Im Forum finden viele Filme statt, die zwischen Baum und Borke stehen. Man nannte sie früher „Essayfilme“, wie Terhechte in Erinnerung rief. Gemeint sind Streifen, die weder klar als Dokumentar- noch als Spielfilm eingeordnet werden können. Die zwischen den Stühlen stehen. Ungewohntes ausprobieren.
Das kann auch mal anstrengend sein – und sei es auch nur, weil es mit unseren Sehgewohnheiten in Konflikt steht, die von Trailern und Fernsehen gebildet wurden.
35 Weltpremieren
Viele Menschen aus fast aller Herren Länder werden anreisen, um das zu sehen. Viele werden Schlange stehen. Nicht alle werden Karten kriegen.
„Wunschfilm“ und Wunschfilm
Schon gar nicht für ihren Wunschfilm. Da bietet sich das Forum als Alternative. Fakten sind:
1. ist der „Wunschfilm“ oft gar nicht der tatsächliche Wunschfilm, sondern das, was in den meisten Medien steht. Dahinter stehen große Geldgeber, die Streifen können gut, müssen aber nicht unbedingt besser sein. (Meist stehen sie im „Wettbewerb“, auf dem zuviel Aufmerksamkeit lastet.)
2. Geht man nicht auch zur Berlinale, um Neues und Überraschendes zu erleben?
3. Das „Forum“ bietet oft das Forum für hervorragende Filme. Es ist weniger ein Marktplatz, wie die ursprüngliche Bedeutung des lateinischen Wortes vermuten lässt. Mehr der Boden der Tatsachen. Der Boden, auf dem ein Film gedeihen kann – oder eben nicht.
Das entscheiden auch die Zuschauer. Doch wer es hierhin geschafft hat, zur Berlinale, ist sich weltweiter Aufmerksamkeit sicher. Verdient oder nicht.
Verdiente und herausragende Beispiele hervorragender und preisgekrönter Forumsfilme sind:
„Snow Piercer“ aus Korea und
„Winter‘s Bone“ von Debra Granik mit Jennifer Lawrence („Passengers“, „Silver Linings“, „Die Tribute von Panem – Mockingsjay“)
Vielleicht finden Sie die Juwelen. Hier ist Goldrausch angesagt: Waschen Sie das Gold und lassen Sie den Sand zurück!
Die Filme des 48. Forums der Berlinale
IP bedeutet Internationale Premiere (Filmpremiere außerhalb des Ursprungslands)
WP = Weltpremiere. Die Liste ist alphabetisch geordnet, Ziffern zuerst, dann A-Z (A-F, G, I-K + L-Y):
14 Apples von Midi Z, Taiwan (Republik China) / Myanmar – WP
Afrique, la pensée en mouvement Part I von Jean-Pierre Bekolo, Senegal – IP
Aggregat von Marie Wilke, Bundesrepublik Deutschland – WP
Amiko von Yoko Yamanaka, Japan – IP
Apatride (Stateless) von Narjiss Nejjar, Marokko – WP
Aufbruch von Ludwig Wüst, Österreich – WP
La cama (The Bed) von Mónica Lairana, Argentinien / Deutschland / Niederlande / Brasilien – WP
La casa lobo (The Wolf House) von Joaquín Cociña, Cristóbal León, Chile – WP
Casanovagen von Luise Donschen, Deutschland – WP
Classical Period von Ted Fendt, USA – WP
Con el viento (Facing the Wind) von Meritxell Colell Aparicio, Spanien / Frankreich / Argentinien – WP
Los débiles (The Weak Ones) von Raúl Rico, Eduardo Giralt Brun, Vereinigte Staaten von Mexiko – WP
Den‘ Pobedy (Victory Day) von Sergei Loznitsa, Deutschland – WP
Die Tomorrow von Nawapol Thamrongrattanarit, Thailand – IP
Djamilia (Jamila) von Aminatou Echard, Frankreich – WP
Drvo (The Tree) von André Gil Mata, Portugal / Bosnien und Herzegowina – WP
An Elephant Sitting Still von Hu Bo, Volksrepublik China – WP
L’empire de la perfection (In the Realm of Perfection) von Julien Faraut, Republik Frankreich – WP
Fotbal Infinit (Infinite Football) von Corneliu Porumboiu, Rumänien – WP
Buchstabe G oder Das Forum als Ausbruch aus der Norm
Grass von Hong Sangsoo, Republik Korea – WP
The Green Fog von Guy Maddin, Evan Johnson, Galen Johnson, USA/Kanada
An dieser Stelle bricht das Forum doppelt aus: Es gibt einen Vorfilm: Accidence von Guy Maddin, Evan Johnson, Galen Johnson, Kanada – WP.
Die Zuordnung erscheint logisch, die Regisseure sind identisch. Der Film „Accidence“, womöglich ein Wortspiel, steht demnach nicht in der alphabetischen Reihenfolge. Das englische Wort „Accident“ meint Unfall, das ist hier nicht gemeint. „Coincidence“ ist ein Zufall, eine Synchronizität. Wenn beides gleichzeitig stattfindet, könnte die Wortschöpfung angemessen sein.
Hinzu kommt die phonetische Gleichheit zwischen „accidents“, dem Plural von „accident“, und dem Filmtitel „Accidence“. Der Titel könnte also soviel wie „zufällige nichtzufällige Unfälle“ bedeuten. Kürzer: „Zufällige Unfälle“.
Ein Blick ins Langenscheidt-Wörterbuch zeigt, dass es das Wort zwar gibt. Wortreich ist sie ja schon, die englische Sprache. Doch „accidence“ ist ein Begriff aus der Grammatik: Formenlehre.
Forumsfilme I-K
Interchange von Brian M. Cassidy, Melanie Shatzky, Kanada – WP
Jahilya von Hicham Lasri, Marokko – WP
Kaotični život Nade Kadić (The Chaotic Life of Nada Kadić) von Marta Hernaiz, Vereinigte Staaten von Mexiko / Bosnien
und Herzegowina – WP
Forumsfilme L-Z (L – Y)
Last Child von Shin Dong-seok, Republik Korea – IP
Madeline’s Madeline von Josephine Decker, USA – IP
Maki’la von Machérie Ekwa Bahango, Demokratische Republik Kongo / Frankreich – WP
Mariphasa von Sandro Aguilar, Portugal – WP
Minatomachi (Inland Sea) von Kazuhiro Soda, Japan / USA – WP
Notes On an Appearance von Ricky D’Ambrose, USA – WP
Old Love von Park Kiyong, Republik Korea – IP
Our House von Yui Kiyohara, Japan – IP
Our Madness von João Viana, Mosambik / Guinea-Bissau / Katar / Portugal / Frankreich – WP
Premières armes (First Stripes) von Jean-François Caissy, Kanada – WP
Premières solitudes (Young Solitude) von Claire Simon, Frankreich – WP
SPK Komplex von Gerd Kroske, Deutschland – WP
Syn (The Son) von Alexander Abaturov, Frankreich / Russische Föderation – WP
Teatro de guerra (Theatre of War) von Lola Arias, Argentinien / Spanien – WP
Tuzdan Kaide (The Pillar of Salt) von Burak Çevik, Türkei – WP
Unas preguntas (One or Two Questions) von Kristina Konrad, Deutschland / Uruguay – WP
Waldheims Walzer von Ruth Beckermann, Österreich – WP
Wieża. Jasny dzień. (Tower. A Bright Day.) von Jagoda Szelc, Polen – IP
Wild Relatives von Jumana Manna, Deutschland / Libanon / Norwegen – WP
Yours in Sisterhood von Irene Lusztig, USA – WP
Welches 2017 der beste Film aus Sicht der Caligari-Jury war, die ausschließlich Filme aus dem Forum begutachtet, steht hier.
Es wird auch Publikumspreise geben und Leserjurys. Die Tagesspiegel-Leserjury wählt nur aus den Filmen des Forums aus.