Mr. Chai Walla oder Südindische Küche – ein Gedicht

"Indian Street Food" im Restaurant "Mr. Chai Wala" in Berlin. © Leibniz Gastro GmbH

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Wir haben in diesem Restaurant Kant- Ecke Schlüterstraße in Berlin-Charlottenburg namens Mr. Chai Walla viele Gerichte probiert – probiert, das heißt in der Regel: keine ganze Portion genossen – und vorher so manches indische Restaurant aufgesucht, ja sogar in Indien gegessen – doch dabei ist uns die Eigenständigkeit der südindischen Geschmacksvariante und Zubereitungsarten bisher vollständig entgangen. Und so kam es, dass wir, anscheinend nur mit einem Halbwissen ausgestattet, bei Mr. Chai Walla beziehungsweise dem Chef des Restaurants „gekonnt“ einen Chai bestellten (Yogitee, Erklärung siehe unten). Außerdem als Beilage ein leckeres „Batura“ – ein in Fett gebackenes „Luftbrot“. Nach dem es das nicht gab, vielleicht ein Nan oder ein Chapatti?- und schon wurde uns bewusst, wie wenig wir doch wissen. Ein indisches Restaurant – ja; aber eben ein südindisches, und das ist etwas ganz anderes.

Ein Besuch lohnt sich deshalb doppelt. Es ist wirklich durchgehend lecker, weshalb wir auf Einzelheiten hier nicht eingehen, und man entdeckt etwas völlig neues.

Nur Wissen hilft gegen Unwissenheit und bringt dem Chai Walla* Millionen

In Unwissenheit, dass wir eigentlich immer nur nordindische Gaststätten aufgesucht hatten, hatten wir nordindische Gerichte in einem südindischen Restaurant bestellt. Der Chef des Restaurants war aber sehr freundlich und nachsichtig; weshalb er auch meinte, dass er nachfragebedingt sogar überlege, ob er nicht ein paar aus dem Norden des Subkontinents stammende Gerichte, besonders im Bereich Brot, auf die Karte setzen solle.

Wissen ist wichtig und ohne Wissen gäbe es noch nicht mal einen Namen für ein indisches Restaurant, nämlich dieses.

Im Gegenteil, Wissen ist hier besonders wichtig. Warum heißt dieses Restaurant so? Welche Rolle spielt ein Film dabei, welche ein Buch? Was ist ein Walla oder Wallah und welche zwei Bedeutungen haben das Wort „Chai Walla“? Welche Provinzen oder Bundesstaaten gibt es im Süden Indiens? Welche Sprachen werden dort gesprochen?

Wie heißt Indien dort in der Indischen Union, der Indischen Republik? Die Inder nennen sich selbst Bharat wassis und ihr Land Bharat.

Was ist Chai eigentlich?

Chai – sprich „Tschai“ oder „Tschaj“ – ein Tee mit Milch und Gewürzen, der längere Zeit gekocht bzw. zubereitet wird und in Deutschland meist unter „Yogitee“ firmiert, weil es ihn auch als Teebeutel und Gewürzmischung eines Hamburger Unternehmens gibt. Außerdem wäre „Chai“ auf der Karte schwerer auszusprechen als Yogitee. Wir meinen hier das, was auch als Masala Chai bekannt ist, wobei Masala in Indien ‚Mischung‘ bedeutet, besonders Gewürzmischung.

Woher kommt das Wort Chai und warum sagt man mancherorts Tea oder Tee?

In einem Artikel in einer Netzenzyklopädie finden Sie auch genaueres zur Zubereitung und über die ETYMOLOGIE der Wörter Tee und Chai (von Cha) überhaupt. Da in China mit Zeichen geschrieben wird und nicht mit Buchstaben, ist es möglich, ein Zeichen (wie das Zeichen für Tee/ Chai, also 茶) in verschiedenen Landesteilen anders auszusprechen. In Nordchina chá (sprich Tschaa mit einer ansteigenden Betonung wie in einer Frage), in Guangzhou (englisch Kanton) ähnlich, in der mittleren Küstenprovinz Fujian té. (Die Silbe wird genauso lang gesprochen wie Cha oder Chai. Das ist ganz einfach im Chinesischen. Alle Silben werden einfach gleichlang ausgesprochen. Ausgesprochen einfach.)

Die Holländer kamen mit dem Schiff, seitdem der Portugiese Vasco da Gama 1498 den Seeweg nach Indien entdeckt hatte. Sie landeten an der Küste an, in Fujian (sprich Fu-dsjiän, Silben gleichlang) – das liegt zwischen Kiautschou mit Tsingtau im Norden und Hongkong im Süden; immer an der Küste entlang gedacht – und segelten zurück nach Holland. Das gehörte zum Heiligen Römischen Reich (deutscher Nation) und es gab spanische und französische Niederlande; Belgien als Staat (die österreichischen Niederlande) erst viel später, nachdem Napoleon besiegt wurde, der 1806 das Heilige römische Reich zerstört hatte. Über die Niederlande und „Deutschland“ breitete sich der „Tee“ in Mitteleuropa aus und mit ihm das aus Fujian stammende Wort. Der „Tee“, der über die Seidenstraße Mittelasien durchquerte, hieß „Cha“ und „Chai“.

Gleiches Erzeugnis, gleiche Ware, anderes Wort. Gesprochen. Geschrieben und gepinselt wurde das Wort aber in China, dem jahrtausendealten Kaiserreich, wie gesagt mit dem gleichen Schriftzeichen, egal, wie es ausgesprochen wurde. Das ist für uns ausgesprochen ungewohnt.

Die beiden chinesischen Wortwurzeln für Tee und Chai findet man auf allen Kontinenten wieder – sogar in ‚Teekanne‘ und ‚tschainik‘

Mit dem Tee, der auf dem Landweg von Ostasien über Mittelasien nach Nord- und Westasien Chai genannt wurde, verbreitete sich in Eurasien das Wort Chai weiter bis in die Türkei. Dort wird es cay geschrieben, in Griechenland mit griechischen Buchstaben, in Osteuropa wieder anders, aber meist gleichlautend und in Russland, das in Nordasien und Osteuropa liegt, lautet es ebenfalls ‚Tschai‘, geschrieben чай mit kyrillischen Buchstaben. In Äthiopien und in Ostafrika, wo man Suaheli/ Swahili spricht, heißt Tee genauso „Chai“.

In Polen zwar ‚herbata‘, aber im Teekessel bzw. der Teekanne versteckt sich wieder der Tschai, denn die Kanne heißt Tschainik (in anderer Schreibung). Diesen Behälter nennt man Italien wiederum ‚la teiera‘ nach der aus Fujian stammenden Aussprache ein und dasselben Getränks.

Was ist ein Chai Walla oder Chai Wallah?

Die kurze Antwort: Ein Kellner, der Tee serviert – den Chai (Taschaj) im Sinne von Masala Chai – oder ein Straßenverkäufer, der im Freien ggf. vor einem Restaurant (Masala) Chai anbietet. Häufig unter einem Sonnendach oder einer Plane.

Quelle der südindischen Küche – der Bundesstaat Tamil Nadu

Keine Sorge, wir werden bloß zwei Sprachen nennen und nur einen Bundesstaat, die für das Restaurant Mr. Chai Walla charakteristisch sind. Es handelt sich um Tamil Nadu im Südsüdosten, den zehntgrößten Bundesstaat der Indischen Union und nach der Bevölkerung den siebtgrößten. Schon 2011 lebten dort etwa 72 Millionen Menschen, inzwischen sind es wohl so viele wie in der Bundesrepublik Deutschland, wenn nicht mehr. Die Hauptstadt Chennai ist bekannter unter dem alten Namen „Madras“. Der Name Madras hat sich auch in Gerichten niedergeschlagen, so gibt es ein Madras CURRY**. Tamil Nadus Gouverneur heißt Ravi, der Chief minister Stalin.

Gegründet wurde der Bundesstaat Tamil Nadu 1956 entlang der Sprachgrenzen der namensgebenden Sprache Tamil. Diese Sprache können Sie auch bei Mr. Chai Walla im Hintergrund hören. Die Literaturgeschichte des Tamilischen umfasst mindestens zwei Jahrtausende. Telugu ist die größte der Minderheitensprachen, bringt es aber nur auf etwa 6% der Sprecher, das ist jeder 18. in dieser Provinz.

In Tamil Nadu liegt auch der südlichste Punkt Indiens, das Kap Kormoran.

Auf der Karte liegt rechts unten, also südöstlich gegenüber die Insel Sri Lanka, auf der es das Volk der Tamilen auch gibt und die ungefähr die gleiche Fläche einnimmt wie die indische Provinz. Diese war früher über die Adamsbrücke mit Sri Lanka verbunden. Die Reste der Landverbindung sind bis heute gleich auf der Karte erkennbar. Umgeben von geringer Wassertiefe.

Tamil Nadu bietet fruchtbare Ebenen vor felsigen Bergen und einen Fischreichtum, der sich in der Küche widerspiegelt. Fragen Sie den Chef des süd-indischen Restaurants Mr. Chai Walla ggf. nach einem Gericht, das nicht auf der Karte steht; so etwas gibt es nämlich auch.

Mr. Chai Walla – ein Spielfilm nach einem Buch

Der Name des Spielfilms ist auf englisch „Slumdog Millionaire“. Regie führte DANNY BOYLE. Slumdog Millionär erhielt 8 Oscars.

Die Hauptfigur ist ein chai walla, der in einem Callcenter arbeitet (teekochend und servierend, nicht am Telephonapparat) und an einem Quiz im Fernsehen teilnimmt.

Erfolgreich. Vom Chai Walla zum Millionär.

*Mr. Chai Walla – Chai Wallah ist eine Berufsbezeichnung

Ein Walla ist ein Arbeiter, Angestellter oder auch Selbständiger mit einer bestimmten Spezialisierung. Nachdem sich die Engländer in Indien breit gemacht hatten, erst mit der Herrschaft der East India Company und seit 1857 direkt als Kolonie unter der Regierung, verbreitete sich auch die englische Sprache. „Para-walla“ hieß ein Polizist, dann ‚police walla‘. Weitere Mischbildungen englisch-Hindi entstanden, es gibt auch Wortbildungen Hindi-Hindi. Da es in Indien viele Völker und Sprachen gibt, haben auch die Inder neue Wortverbindungen beigetragen. Das Englische ist in dem Riesenland zwischen Himalaya und Indischem Ozean die lingua franca.

Ein Auto walla ist nichts anderes als ein – Taxifahrer. Der ‚biscuit walla‘ verkauft Süßwaren, kann Konditor sein. Biscuit (sprich: Bisskit) = Keks. Was ist ein ‚bottle walla‘ (bottle = Flasche)? Sie können für die Antwort hier keine Million gewinnen. Wären Sie darauf gekommen, dass es ein Flaschensammler ist?

Der ‚Snack walla‘ holt einen Imbiss von einem Restarant und bringt ihn zum Zug im Bahnhof. Der Dabba walla bringt, meist mit dem Fahrrad, das Mittagessen. Wegen der religiösen Vorschriften und des Kastensystems darf nicht jeder Inder von jedem Koch etwas essen. Die Dabba wallas holen das Essen, das am Vormittag zum Beispiel von den Frauen zuhause gekocht wurde, ab und bringen es rechtzeitig zur Mittagspause dem Mann ins Büro. Darüber gibt es auch einen tollen Dokumentarfilm, der schon Jahrzehnte alt ist.

Und der ‚pani wallah‘ verkauft das Wichtigste. Wasser.

Die Auswahl traf ihr Story walla. Der Autor dieser Zeilen.

Das Buch „Q&A“ – in deutscher Übersetzung „Rupien! Rupien!“ –

ist wiederum die Grundlage für den Film. „Q&A“ erschien 2005. Das Buch – den Roman – schrieb der Diplomat Vikas Swarup. Er ist Jahrgang 1963. (Geburtsort Allahabad). Die deutsche Übersetzung erschien in Köln 2006. Übersetzer: Bernhard Robben.

Q&A (sprich ‚kju end ej!‘) ist die Abkürzung für „question and answer“, Frage und Antwort. Ein Gespräch nach einer Filmvorführung bei einem Filmfest wie zum Beispiel der Berlinale, bei der eine Moderatorin einen Regisseur befragt und dann das Gespräch für das Publikum öffnet, nennt man auch Q&A.

Da das Buch anders als der Film ist, lohnt es sich sogar dann, wenn man ihn gesehen hätte. Es geht um Schicksal. Es geht um Wissen. Soziale Abgründe werden sichtbar.

Niemand hätte einem so armen Jugendlichen so viel Wissen zugetraut. So viel Wissen, dass er alle Fragen beantworten konnte.

Die Quizshow heißt im Buch „Who will win a billion?“ Zu deutsch ‚Wer gewinnt eine Milliarde?‘ Nun, es handelt sich um Rupien. Und da sind 1000 Millionen vielleicht soviel wie eine Million Euro?

Warum hatte Swarup die Zeit, ein Buch zu schreiben? Als Diplomat war er in London. 2003. Von Familie und Kindern getrennt. Dort hatte er Freizeit. Er entschloss sich, wie er sagte, einen „indischen Roman“ zuschreiben. „Mit indischen Figuren“. So kommt eins zum anderen.

Südindische Küche – ein Gedicht

Nicht einfach ein „Inder“ in Berlin, noch nicht einmal ein „Inder“ in Berlin-Charlottenburg, was schon eine Qualitätssteigerung bedeutet, sondern ein sehr sehr gutes indisches Restaurant mit dem Deutschen in der Regel recht unbekannten Gaumenfreuden – wegen der südindischen Küche. Süddeutsche Küche ist ja in einem bestimmten Sinne auch keine deutsche Küche, sondern eine sehr spezifische südlich des Weißwurst-Äquators, mit badischen Wein, Spätzle und der herausstechenden bayerischen Küche. Asiatische Küche hatten wir bereits kennengelernt. Auch südostasiatische.

Dass südindische Küche bzw. cuisine etwas eigenständiges ist, konnten wir nun vor Ort im Mr. Chai Walla feststellen. Es mundete uns sehr.

Anfahrt

mit dem Auto oder Fahrrad: Die Kantstraße verbindet den Breitscheidplatz mit der Gedächtniskirche am Zoo über die Neue Kantstraße und die Ostpreußenbrücke mit ICC, Messegelände, Haus des Rundfunks und ZOB.

Falls Sie das hinter einem Baugerüst versteckte Eckhaus auf der Nordwestecke Kantstraße/ Schlüterstraße mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen möchten, brauchen Sie von der BVG-Bushaltestelle Kantstraße/ Schlüterstraße – z.B. M49 Tag und Nacht, dieser Bus fährt ab Zoo oder ZOB, Theo oder Haus des Rundfunks – nur einmal über die Straße zu gehen.

Mit der S-Bahn der S-Bahn-Berlin-GmbH sind es vom 1896 gebauten Bahnhof Savignyplatz (zwischen den (Fern-) Bahnhöfen Charlottenburg und Zoologischer Garten) nur wenige Schritte nach Norden zum Inder, vorausgesetzt man nimmt den Ausgang Richtung Schlüterstraße.

Von der südindischen Küche im Restaurant Mr. Chai Walla muss man respektive diagonal über die Kreuzung und ein paar Schritte nach Süden, wenn man nach dem Chai zu S-Bahn will. Sehr bequem.

(Wer einen Fahrstuhl braucht, muss halt über die Kantstraße zur Bleibtreustraße (einen Block weiter), dort ist ein Lift unter der Unterführung hoch zur S-Bahn.)

Fazit: Mit Wissen zum leckersten Chai und zu den Millionen

Nach dem guten Essen oder einem leckeren Gewürztee, der alles, was sie bisher ii indischen Restaurants an „Yogitee“ bisher probiert haben, vermutlich in den Schatten stellt, könnten Sie vom Mr. Chai Walla auch zu Fuß die Kantstraße gen Osten laufen. Über den Savignyplatz geht es. Den Delphi-Palast und das Theater des Westens links liegenlassend kommt man vor der Bahnunterführung links in den Yva-Bogen. So heißt die autofreie Zone Richtung Zoo. Dort kommt man am Kino Delphi Lux vorbei, wo vielleicht gerade der „Slumdog Millionär“ läuft. Ein paar Meter weiter ist man am Bahnhof Zoo und wenn man geradeaus weiterläuft durch die Jebensstraße zum Palazzozelt. Dort beginnt in wenigen Tagen die Palazzo-Saison.

So lassen sich Kultur wie Musical und Kino wunderbar mit gutem Essen verbinden. Guten Appetit und viel Freude!

PS: Nach dem Lesen dieses Artikels könnten Sie einiges an Wissen haben, nicht nur über ein indisches Restaurant. Wenn die richtigen Fragen kommen, macht es Sie vielleicht auch zum Millionär.

Und ja, verflixt, wenn Sie lieber Millionärin werden wollen: Bitteschön!

Restaurant Mr. Chai Walla – Anschrift, Telephonnummer und Zeiten

Indisches Restaurant Mr. Chai Walla in der Kantstraße 31, 10625 Berlin. Tel. (030) 922 106 52.

Öffnungszeiten: Jeden Tag ohne Ruhetag von 12-23 Uhr, als auf englisch von 12 p.m. bis 11 p.m.

**Das ist so ähnlich wie bei den Königsberger Klopsen. Die Stadt Königsberg i.Pr. (für in Preußen, heute sagen wir Ostpreußen) heißt heute Kaliningrad. Die Klopse haben ihre Bezeichnung behalten. Und das liegt nicht an dem Stabreim, der ja auch mit ‚Kaliningrader‘ klappen würde. Sondern es geht um einen eingeführten Begriff, mit dem die Leute etwas anfangen können.

Die Hauptstadt Tamil Nadus heißt heute Chennai, aber es gibt ein Madras-Currypulver. Dieses Curry ist besonders scharf und enthält mehr Chili als gewöhnlich. Es gibt zum Beispiel auch das Bassar-Currypulver, es ist in Kaschmir beliebt. Beide Sorten gehören zu den Masalas. Das Wort kennen wir schon, geht es doch bei Chai Wallas wie bei Mr. Chai Walla als indisches Restaurant um Masala-Chai. (Oder, naja, um Yogitee.)

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