Der Schriftsteller und die literarische Eisverkäuferin – „Roter Himmel“, der Sommerfilm der Berlinale

Thomas Schubert, Paula Beer, Langston Uibel und Enno Trebs in einer Szene des Films "Roter Himmel" von Regisseur/Drehbuchautor Christian Petzold. © Christian Schulz / Schramm Film

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Der Berlinale-Film „Roter Himmel“ von Christian Petzold schafft ein Geflecht von Figuren, Literatur und bedrohlicher Umwelt und ist zugleich ein typischer Petzold-Film, also ein Gewinn für den Wettbewerb der diesjährigen Berlinale.

Christian Petzold ist ein gern gesehener Stammgast bei den Berlinale genannten Internationalen Filmfestspielen und das offenbar nicht nur bei den Veranstaltern, der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH, sondern genauso bei Presse und Publikum. Seine Filme sind doch immer ansprechend, haben spannende Figuren und ihre eigene erzählerische und unverwechselbare Sichtweise. So ist es auch mit Petzolds neustem Film „Roter Himmel“.

Feuer im Film

Die beiden Freunde Leon (Thomas Schubert) und Felix (Langston Uibel) verbringen ihren Sommer an der Ostsee in dem Ferienhaus der Mutter von Felix. Dort treffen sie auf Nadja (Paula Beer), die als Eisverkäuferin im nächsten Küstendorf jobbt, sowie auf Devid (Enno Trebs), der als Rettungsschwimmer arbeitet. Leon ist Schriftsteller und arbeitet gerade an seinem zweiten Roman, während Felix, der Fotograf werden will, dabei ist, seine Bewerbungsmappe zusammenstellen. Während die anderen die Sommerzeit unbeschwert verbringen, ist es nur Leon, der sich hier als Griesgram erweist. Steht doch ein Treffen mit dem Lektor Helmut (Matthias Brandt) an. Alles in allem ist er mit sich und der Welt nicht zufrieden. Während sein Freund Felix eine Beziehung mit Devid eingeht, kommen sich Nadja und Leon auf unangenehme wie angenehme Weise entgegen. Während sich zwischen den vier Figuren im Haus eine eigene Dynamik entfaltet, tut sich zugleich eine unterschwellige Bedrohung in Form eines Waldbrandes auf. Feuer im Film! Zu Beginn ist das Feuer noch fern und zum Ende nah. Auch wenn Leon, Nadja, Felix und Devid vom Waldbrand am Anfang nicht unmittelbar betroffen sind, so beeinflusst dieser ihre Entscheidungen und Gefühle.

Ein Gewinn für den Wettbewerb der Berlinale

Petzolds „Roter Himmel“ ist ganz klar ein Gewinn für den Wettbewerb der Berlinale. Er hat einen Sommerfilm oder besser einen Petzoldschen Sommerfilm mit allen Beteiligten geschaffen. Der Sommerfilm als solches stellt in den USA und Frankreich bekanntlich ein eigenes Genre dar, das für Petzold ganz sicher als Inspiration wirkte. Die Figuren des Films bieten – bis auf Leon – alle eine Unbeschwertheit. Sie wollen diese Sommerzeit genießen und doch hat dieser Sommerfilm die für Petzold eigene und unverwechselbare Sichtweise. So steckt im Streifen eine unterschwellige Mystik, der Waldbrand, von dem die vier Protagonisten des Filmes umgeben sind und deren Handeln das Feuer beeinflusst. Der Brand ist der Motor als unsichtbarer Charakter des Films. Das gilt genauso für das Ferienhaus, das einsam und verlassen im Wald steht. Dort hausen, lachen, lieben und leben die Figuren wie in ihrer von Petzold geschaffenen einer eigenen Welt. Alle Bewohner müssen sich im Haus im Wald (neu) orientieren. Die Umgebung, die Umwelt ist – keine Frage – ungewohnt – wie das Feuer. Insbesondere die beiden Hauptfiguren Nadja und mehr noch Leon, der ein introvertierter Charakter ist und sich gern als Schriftsteller sieht, aber unfähig ist, auf die Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung zuzugehen und ihre Gefühle und Bedürfnisse zu erkennen, offenbaren das. Nadja ist dagegen die pragmatische, die sich als Literaturwissenschaftlerin entpuppt, die auf ihr Stipendium wartet. Sie findet Gefallen am Gegensatz, an Leon, muss zugleich aber mit seiner schroffen Art klarkommen. In Petzolds Film wandeln dessen Figuren ein wenig wie im Halbschlaf umher, insbesondere Leon. Wach, da sie mit sich selbst und ihrer Umgebung beschäftigt sind, und zugleich unwirklich durch den Waldbrand, der sie bedroht. Auch wenn das jetzt alles andere als aufregend klingt, schafft Petzold es doch, seinem Film eine unterschwellige hypnotische Atmosphäre zu verleihen, in der das Sommerleben, in dem literarische Neigungen und Beziehungen einen großen Raum einnehmen.

Petzold hat einen literarischen Film gedreht, aber nicht zum Selbstzweck. Gerade gegen Ende, wenn wir die Erzählerstimme von Matthias Brandt, als Leons Lektor Helmut hören, wird Leons zweiter Roman vorgelesen und der Film im Lichtspielhaus ist damit eigentlich die Geschichte des Buches. Das Literarische im Allgemeinen und die Lyrik im Besonderen ist in Petzolds Film eine weitere Komponente. So zitiert Nadja beim Mittagessen das Gedicht „Der Asra“ von Heinrich Heine. Großes Kino! Im Grunde genommen konnte man „Roter Himmel“ durchaus als Petzold eigene filmische Version von „Der Asra“ verstehen, auch wenn er das nur durch die Blume erklärt. Für mich ist das ein Wink mit dem Zaunpfahl. Nadja als Sultanstochter und Leon als ihr junger Sklave. Paßt. Punkt. Und wenn es am Ende des Gedichts heißt „Welche lieben wenn sie sterben“, dann ist das ein Vorzeichen auf das Ende des Films, wo ebenfalls der Tod und die Liebe eine Rolle spielt wie die Darsteller. Das ist Dramatik, ja, dramatische Dichtung.

Filmographische Angaben

  • Originaltitel: Roter Himmel
  • Genre: Sommerfilm
  • Staat: Deutschland
  • Jahr: 2023
  • Regie: Christian Petzold
  • Buch: Christian Petzold
  • Kamera: Hans Fromm
  • Montage: Bettina Böhler
  • Szenenbild: K.D. Gruber
  • Darsteller: Leon (Thomas Schubert), Nadja (Paula Beer), Felix (Langston Uibel), Devid (Enno Trebs), Helmut (Matthias Brandt)
  • Produzenten: Florian Koerner von Gustorf, Michael Weber, Anton Kaiser
  • Spieldauer: 103 Minuten

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