Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Wir sehen uns – das klingt immer positiv. „Ich weiß, wo Du wohnst“, soweit es nicht beiläufig ausgesprochen wird, könnte von Ängstlichen oder Menschen mit schlechtem Gewissen oder Leichen im Keller als Drohung aufgefasst werden. Bei Nomaden, Obdachlosen oder Menschen ohne festen Wohnsitz führt der Satz ad absurdum. Wie das Zen-Koan von dem Klatschen der einen Hand (vgl. die Bücher von Nathalie Neuhäusser oder Ulrich Dehn) zeigt es ein unauflösbares Paradoxon: Wer nicht wohnt, wohnt nicht wo. Wo wohnt, wer nicht wohnt?
Kunst und Musik, könnte man denken, steht bei Menschen, die aus eigener Kraft ihre grundsätzlichsten Bedürfnisse nicht decken wollen oder können, hinten an. eiGanz weit hinten. Wie eine Berliner Professorin zum Thema Brötchenerwerb einmal sagte: „Brot kauft man immer, Bücher nicht“.
Trotzdem pfeift sich so mancher auch in verzweifelten Situationen ein Liedchen, wenn er nicht gerade aus dem letzten Loch pfeift.
Oder malt. Malt sich etwas aus, wie es besser sein könnte. Drückt sich mit Pinsel und Leinwand, Staffelei und Palette aus. Beschreibt vielleicht den Ist-Zustand seiner Umgebung, so trostlos sie sein möge. So wie die Gitschiner 15 kunstinteressierte Arme und Normalverdiener zusammenführen möchte, so wie dort in Kreuzberg Künstlern die Möglichkeit gegeben wird, Kunst herzustellen, auch wenn das Geld für die Farbe nicht reicht, gibt es weltweit mehrere Institutionen.
Wohin mit der Kunst, wenn man kein Dach über dem Kopf hat?
Doch dann kommt der nächste Schritt: Was macht man mit der Kunst? Was macht man mit den Bildern? Herbert Normalverbraucher hat möglicherweise schon wenig Platz, doch trotzdem eine Abstellkammer. Ob er nun zur Miete wohnt oder Eigentümer ist. Doch wo haben die Ärmsten ihre Abstellkammer?
Es gibt eine Initiative, die mittellosen Künstlern nicht nur das Malen ermöglicht, Ateliers zur Verfügung stellt, sondern auch Ausstellungsmöglichkeiten verschafft. Bedingung von „This is Where I Live“ ist, dass die Bildermaler obdachlos sind oder waren.
Einmal im Jahr – jetzt – werden dann die Bilder nicht nur in den örtlichen Hilfszentren in den jeweiligen Ländern ausgestellt, sondern sogar um die Welt geschickt.
Teilnehmer aus fast aller Welt
Die Länder, aus denen die teilnehmenden Helfer und ihre Einrichtungen stammen, sind auf vier Kontinenten: Eurasien, Amerika und Australien. Die Vereinigten Staaten sind dabei und andere angelsächsische Länder wie Großbritannien, Australien und Neuseeland. Die Bundesrepublik Deutschland und das einmalige Indien.
Sie haben Papiere
An der internationalen, einmal im Jahr organisierten Austauschausstellung „This is where I live“ beteiligt sich das Kulturzentrum „Gitschiner 15“ zum dritten Mal und präsentiert ab 1. Juni 10 Werke in verschiedenen Techniken auf Papier, geschaffen von „Künstlerinnen und Künstlern aus den Städten“ New York, Mumbai, London, Auckland und Melbourne, wie die hauseigene Website verlautbart. „Die Künstler waren oder sind obdachlos.“
Gleichzeitig werden in diesen 5 Städten Zeichnungen und Gemälde von Gästen der Gitschiner 15 ausgestellt. Darunter Werke von Ursula Manthei. Nicht alle Künstler nehmen an dem internationalen Kulturaustausch teil.
Frau Manthei hatte in Berlin bereits eine Einzelausstellung:
Doppelausstellung mit Doppelvernissage eröffnet
Gleichzeitig zeigt der 19jährige Nils Ben Brahim ca. 40 Bilder und Collagen in Acryl- und Mischtechnik. Er nennt seine Ausstellung „CISHUMAN“; so wie auch eines seiner Bilder. Der Berliner nutzt das Atelier im Kulturzentrum Gitschiner 15.
Genaueres über „Cishuman“ und einzelne Werke:
Unter die Oberfläche: „Cishuman“, erste Ausstellung von Nils Ben Brahim
Vergangene und noch nicht vergangene Ausstellungen 2018: Wir sehen uns!
Die Ende Mai abgehängten Vorgängerpräsentationen in der Café- und Treppenhausgalerie hießen „Blau“ von Mariyan Dyankov Dyankov (36), 25 kraftvolle Bilder, und „Wir sehen uns“. Der doppeldeutige Satz betitelt eine Schau des 75jährigen Fotografen Willy Giro. Die abgelichteten Gesichter sind die der Gäste des Kulturzentrums. Wie die Musikerin Jocelyn B. Smith.
Unsere geneigten Leser könnten nach der Lektüre von Bertrand Russell (Warum ich kein Christ bin) und Ayn Rand (Atlas shrugged/ Wer ist John Galt?) zweifeln, ob Sozialarbeit wirklich Gutes gebiert. Diesen könnte man zu Unvoreingenommenheit raten. Konzentration auf die Kunst.
Gute Betrachtungsgründe könnten außer dem Kunstgenuss auch folgende sein:
– Generationenübergreifend: Drei der erwähnten Künstler sind 19, 36 und 75 Jahre jung; auch Frau Manthei ist im Rentenalter. Wofür sich die Unternehmerin und Professorin Ulrike Detmers mit den Mestemacher-Preisen für „gemeinsam-leben“ „Großfamilie“, „Institutionalisiertes Mehrgenerationenhaus“ einsetzt, das wird hier gelebt.
– Nicht-ausgrenzend: Menschen mit viel Geld sind hier genauso gern gesehen wie jene mit wenig. (Die Vokabel inklusiv ist leider schon besetzt.)
Wir sehen uns!
Die Fotoausstellung wird teilweise fortbestehen und ist Ende Mai nicht (oder nicht vollständig) abgebaut worden. (Einzelheiten ggf. erfragen: Telefonnummern (und „Hotlines“): Verwaltung: 030 / 695 366 14. Sozialbüro: 030 / 695 366 13. Fahrradwerkstatt: 030 / 695 366 16.)
Der Ausstellungstitel könnte auch als Motto dienen. Wir sehen uns!
Öffnungszeiten: Die Kultur- (und Sozial-) Einrichtung, und damit auch die Ausstellungen, sind geöffnet Mo.-Mi. 9-17 Uhr, donnerstags später 11-17 Uhr und freitags nur von 9-14 Uhr.
Dauer: Die Ausstellungen werden den ganzen Juni, Juli und August über bis einschließlich 31.8.2018 gezeigt. Eintritt frei. Laut Plakat bis 1.9.‘18 bzw. 1.9.2018 (beides gut zu merken ohne Punkte als Eselsbrücke: bis 19 18 oder 19 20 18).
Anschrift/Adresse: Treppenhausgalerie, Gitschiner Straße 15 (Berlin-Kreuzberg), 10969 Berlin
Verkehrsanbindung:
Parkplätze im öffentlichen Straßenraum vorhanden, auch in der Alexandrinenstraße
BVG (ÖPNV): U-Bahnhof: Prinzenstraße (U1), oder Hallesches Tor U6/U1/ Bus M41/ 248, Hallesches Tor Anfang Juni auf der U6 nur mit Schienenersatzverkehr erreichbar vom Platz der Luftbrücke)
www.gitschiner15.de