„Der junge Doktorand“, ein Roman mit Botschaft – Jan Peter Bremer schlüpft in die Dickschädel deutscher Kulturbürger

"Der junge Doktorand" von Jan Peter Bremer. © Berlin Verlag

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Seit gut achtundzwanzig Jahren liefert Jan Peter Bremer stetig neue Kurzromane, er selbst nannte sie einmal Bonsairomane, in denen er dem Bürger die Narrenkappe immer wieder aufs Neue über den Schädel stülpt. Manche halten ihn deshalb für einen kleinen Kafka oder Walser (Robert), der Klappentextdichter seines neuen Buches adelt ihn gar zu einem Charly Chaplin der Schreibfeder. Das ist gewiss viel zu kurz gegriffen und ein weiteres Beispiel für die gnadenlose Geistlosigkeit vieler Literaturbetriebler*innen. Bremer wird es wahrscheinlich Wurst sein, am Ende hat er den Blurb nicht einmal gelesen.

Denn er weiß ganz genau, was er schreibt. Seine Sätze sind ausgewogene Kompositionen, die uns Leser wie eine gute Unterhose im Winter einmummeln und in Sphären fluffiger Beschlagenheit katapultieren (in Zeitlupe).

Waren es in Bremers früheren Romanen oft abstrakte Welten, ist er inzwischen in der Wirklichkeit angelangt. Und er hat in seinem neusten, kleinen Glanzstück Der Junge Doktorrand einen spannenden Plot zu bieten. Was noch bemerkenswerter ist, es ist ein Buch mit Haltung.

Bremer erzählt einen Tag im Leben des erfolglosen Provinzmalers Günter Greilich, dessen frustrierter Frau Natascha Greilich und des jungen Menschen Florian. Dieser ist für die beiden Greilichs aus unerklärlichen Gründen der junge Doktorand und soll Günter Greilichs fast vergessener Kunst zu neuem Ruhm verhelfen.

Seit zwei Jahren warten die Greilichs auf den Messias, seit zwei Jahren hat der junge Doktorrand seinen Besuch angekündigt. Doch immer wieder kam bei ihm etwas dazwischen. Mal fiel er in Spanien vom Pferd, mal wurde seine Freundin plötzlich krank, mal war es die heillose Weltlage, die ihn vom Besuch abhielt. In der beiden Greilichs Wahn und Wunschvorstellungen wuchs der junge Doktorrand zu unermesslicher Größe. Und will nun so gar nicht zu dem pummeligen Männchen passen, das alles paar Minuten auf seinem rätselhaften Taschentelefon ohne Tasten herumwischt.

In feinen szenischen Dialogen berichtet Bremer von in der Routine des Alltags erloschenen Sehnsüchten und Träumen des Künstlerpaars. Für Natascha ist Florian eine Art Jungbrunnen, der ihr die Würde zurückzaubern soll. Für Günter soll er der Schüler und Freund werden, den er Zeit seines Lebens suchte.

Doch auch der junge Florian ist nicht frei von Zweifeln und Angst. Denn einzig das von seiner Mutter gezahlte Stipendium für seine künstlerischen Studien ist sein Antrieb, die beiden müden Greilichs zu besuchen. Seine Mutter hält ihn für einen begnadeten Künstler. Er hingegen lebt im fernen Berlin von Mamas Geld, findet sein Lebensglück aber in einer Sprachschule, wo er Geflüchteten Deutschunterricht gibt und einen von ihnen zu Hause aufgenommen hat.

In letzten Drittel geht es ans Eingemachte, nachdem wir uns den eitel bis tragischen Monologen der beiden Greilichs hingeben durften. Als Künstler Greilich dem jungen Doktoranden sogar seinen Sessel anbietet, ich dem noch nie jemand anderes als er, der Künstler Greilich sitzen durfte, selbst der berühmte Museumsdirektor X nicht, kann Florian nicht mehr an sich halten und die beiden Greilichs bekommen es mit der Wahrheit zu tun.

„Das heißt geflüchtete, nicht Flüchtlinge“!

Selten ist in diesem Leseherbst ein Buch so nah am Puls der Wirklichkeit wie Bremers Doktorand, dem ich jeden Preis sofort zuschanzen würde.

Bibliographische Angaben

Jan Peter Bremer, Der junge Doktorand, 176 Seiten, Berlin Verlag, München/Berlin 2019, ISBN-13: 978-3827013897, Preis: 20 EUR

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