Gesammeltes Reden … gesammeltes Schweigen. Benefiz-Matinée mit Hanna Schygulla im Filmkunst 66

Anküdigung Schygulla-Lseung im filmkunst 66, Berlin-Charlottenburg
Gesammeltes Reden ... Gesammeltes Schweigen. 17. Juni. Filmkunst. © 2018, Foto/BU: Andreas Hagemoser, Urphoto © Jim Rakete - courtesy Schirmer-Mosel Munich

Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Reden kann man sammeln. Schweigen auch? Bestimmt. Hanna Schygulla kann sogar gesammelt reden. Unter dem Titel Gesammeltes Reden … gesammeltes Schweigen findet am 17. Juni 2018 um 12 Uhr eine Matinée statt.
Der 17. Juni war lange ein Feiertag und erinnerte an Ostberlin 1953. Wer gedenken oder feiern will, kann das ja vielleicht vor 12 oder nach 14 Uhr tun. Die Gedenkstätte an der B1 in Zehlendorf ist eh kein toller Ort. Der Platz des 17. Juni vor dem Finanzministerium dagegen ist nicht offiziell im Straßenverzeichnis eingetragen und wirkt durch NS-Architektur und DDR-Bauten rundum. Und die Nähe zum historischen Ort, zum Brandenburger Tor, zur Mauer.

Der Volksaufstand ‘53 und die nachfolgende wirtschaftliche und politische Entwicklung in der DDR führten zu einer lang anhaltenden Fluchtwelle von Ost- und Mitteldeutschland in die Bundesrepublik des Grundgesetzes. Beide 1949 neugegründeten Staaten waren jung. Schnell sprach man im Westen vom Wirtschaftswunder, das unter anderem dadurch zustande kam, dass Vertriebene aus Pommern, Schlesien und Ostpreußen sich wieder so ein gutes Leben aufbauen wollten, wie sie es kannten. Obwohl angeblich „niemand die Absicht hatte, eine Mauer zu errichten“ – geschah genau das. Die Flucht zu vieler Deutscher, darunter auch viele Ärzte, Ingenieure und Akademiker, gefährdete wohl das Überleben des sozialistischen Staates. Da war man nicht zimperlich. Mit dem Mauerbau am 13. August 1961 konnte die Flüchtlingswelle gestoppt werden, der Status quo wurde zementiert, doch die „DDR“, wie sie in der 50er Jahren in der „BRD“ genannt wurde, verzögerte bloß ihr eigenes Siechtum, aufhalten konnte sie ihr Ableben nicht.

Hanna Schygulla hat selbst als Kind Fluchterfahrungen gemacht, und ihr ist Heinrich Böll ein Begriff. Deshalb jetzt:

Gesammeltes Reden … gesammeltes Schweigen: Hanna Schygulla, junge Geflüchtete und Heinrich Bölls Texte „im Dialog über Unaussprechliches, Alltag und Literatur“

Eine Veranstaltung der Literaturinitiative Berlin. Hanna Schygulla ist eine langjährige Unterstützerin der Arbeit der Literaturinitiative und des Projekts „100 Berliner Gesichter“. Schygulla widmet ihre Benefizmatinée erneut dem Projekt mit „jungen Geflüchteten“.

Exkurs Sprachgebrauch

„Junge Geflüchtete“ heißt es auf dem Handzettel im A5-Format, der im Foyer des Kinos „Filmkunst 66“ in der Bleibtreustraße ausliegt.

Auf Tafeln für Autofahrer steht: „Achten Sie auf Radfahrende!“

Sprache verändert sich; nicht immer zum Guten. Es ist fahrlässig, im Straßenverkehr abzulenken. Neue Wörter lenken ob ihrer anfänglichen Unverständlichkeit ab.

Radfahrende: gemeint sind Radfahrer. In einem Feldzug zur Gleichschaltung aller Wörter in allen Bereichen des Lebens wird die Sprache verhunzt und auch sonst viel Schaden angerichtet. Wer bitte, käme auf die Idee, dass Autofahrer nur auf (männliche) Radfahrer beim Abbiegen achten? Solcherlei Unfug vermutet wohl auch, dass Autofahrerinnen beim Abbiegen mehr auf Radfahrerinnen achten? Blödsinn, Blödsinn, Blödsinn. Beim Kämpfen um Deutungshoheit findet anderswo über unsere Köpfe Wichtiges statt, das uns auch betrifft. Viele, die jetzt noch für die „Mitgliedin“ und anderen Schwachsinn kämpfen, werden später bereuen, ihre wertvolle Zeit für das Falsche vergeudet zu haben.

Es mag sein, dass das Wort „Flüchtlinge“, das so wunderbar treffend und neutral ist, sich seit September 2015 abgenutzt hat. Hier rächt sich, dass man nicht gleich die Wahrheit gesagt hat und Migranten hinter Flüchtlingen versteckte. Jetzt ist das Wort „Flüchtling“ diskreditiert, „Refugee“ sowieso. Deshalb wohl weicht der Text auf dem Hanna-Schygulla-Flyer ab und verwendet statt des guten alten „Flüchtlings“ das Wort „Geflüchtete“.

Das Wort „Radfahrer“ hat eine Silbe und zwei Buchstaben weniger als „Radfahrende“. Zudem weiß man bei „Radfahrer“ sofort, was gemeint ist.

Dem kürzeren und verständlicheren Wort ist – zumindest im Straßenverkehr!! – Vorrang einzuräumen!

Hanna Schygulla liest aus Heinrich Bölls immer noch aktueller Satire „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“

Hanna Schygulla liest aus Heinrich Bölls „immer noch aktueller“ Satire „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“, verkündet der Handzettel der LIN (Literaturinitiative Berlin; in der Eigenschreibung rechtschreibzerstörend mit einem großen „i“ mitten im Wort, genauso unflätig wie beim Reisezentrum der deutschen Bahn).

Zivilcourage bitter nötig

Der Text erzählt von „der fantasievollen, stillen und dennoch hartnäckigen Zivilcourage des Einzelnen.“
„Bölls erklärtes Ziel, das öffentliche Bewusstsein der Bundesrepublik Deutschland zu verändern, ist bis heute relevant.“

Die Matinée lädt dazu ein, Böll zu entdecken – wiederzuentdecken oder neu. Die teils verstaubten Bücher, die man preisgünstig bei abebooks.de, antiquariat.de usw. erwerben kann, sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Böll nicht verstaubt ist. Die niedrigen Preise für Bücher, die ohne Strom funktionieren und auch im Park ohne Elektrosmog gelesen werden können, sollten als Chance begriffen werden. Wenn ofter der Strom ausfiele, zögen die Buchpreise automatisch an. In Antiquariaten kann man Schnäppchen machen und günstig etwas abstauben.

„Ansichten eines Clowns“, „Antikommunismus in Ost und West. Zwei Gespräche“, „Billard um halb zehn“ – im Antiquariats- oder Bibliothekskatalog merkt man schon bei den ersten beiden Buchstaben „A“ und „B“, wie groß Bölls Werk ist. Und vielleicht wird man beim Lesen und Stöbern verstehen, warum die Grünen ihre parteinahe Stiftung ausgerechnet nach diesem Deutschen benannten.

Böll abstauben

Allerorten sieht und hört man zurzeit, wenn jemand einen Ball abstaubt. WM-Bilder und -Töne begleiten einen auf Schritt und Tritt durch die Hauptstadt. Gefühlt in ähnlicher Häufigkeit wie Kaffee zum Mitnehmen.

Wer Böll abstaubt, hat ein Alleinstellungsmerkmal und macht sich interessant. Genug Ballmuffel gibt es ja. Der Handzettel trägt die Lichtenbergsche Fackel der Wahrheit durch die Menge:

„Zivilcourage, Verteidigung der Kunst und Künstlerinnen, streitbare Toleranz und die unbedingte Wertschätzung für Kunst und Kultur sind Werte, für die Böll – ein großer Künstler und Intellektueller – stand und in seinem Werk heute noch steht. Diese Werte bleiben aktuell und suchen wieder mutige Stimmen, die sagen, wie es um sie bestellt ist.“

Zivilcourage ist keine Zuvielcourage!

Gesammeltes Reden … gesammeltes Schweigen: Bleibtreustraße 12 um 12

Eintritt EUR 15,-, ermäßigt 8,-. Die Einnahmen aus dieser Veranstaltung werden vollständig für das Projekt „100 Berliner Gesichter“ verwendet
Wann? Datum und Uhrzeit: Sonntag, 17. Juni 2018 um 12 Uhr
Wo? Veranstaltungsort: Filmkunst 66, Bleibtreustraße 12, 10623 Berlin

(Zwischen Ku’damm und Kantstraße, Busse M19, M29, 109, M49, X34, X49, S-Bahn Savignyplatz.)

Am Ende erläutert der Handzettel zur Veranstaltung Gesammeltes Reden … gesammeltes Schweigen, was es mit dem Projekt mit Jugendlichen und Geflüchteten auf sich hat:
„Zusammen mit Jugendlichen aus dem Projekt „100 Berliner Gesichter“, mit dem jungen Volksbühnen-Schauspieler Jens Bluemlein und mit jungen Musikerinnen spricht Hanna Schygulla über das Leben in der Fremde und das Ankommen in einer neuen Heimat.“
„Die jungen Geflüchteten und in Berlin aufgewachsene Jugendliche stellen gemeinsam die von ihnen verfassten Interviewfragen vor, wie beispielsweise: „Was siehst du, wenn du aus dem Fenster schaust?“, „Wie sieht dein Alltag aus?“, „Was würdest du dir wünschen, was man nicht mit Geld bezahlen kann?“ Denn: Erklärtes Ziel der Literaturinitiative ist es, über kulturelle Bildung die Neugier junger Menschen zu wecken, etwas vom Leben anderer zu erfahren.“

Hanna Schygulla, die Autorin, signiert im Filmkunst 66

Die Bücher von Hanna Schygulla, die im Verlag Schirmer & Mosel erschienen sind, können am Büchertisch gekauft werden. Auf Wunsch werden sie von der Künstlerin handsigniert!

Wer wird denn gleich in die Luft gehen? Erstmal HB: Heinrich Böll, Ruhe und Mut

Heinrich Böll lebte von 1917-1985; Sohn eines Holzbildhauers, in dessen Hause in Köln ab 1933 verbotene Zusammenkünfte stattfanden.
Böll hat mit Konrad Adenauer Köln, Kritik und Katholizismus gemein.

Einige wenige Kämpfer für Zivielcourage gibt es:

Musical und Sicherheid – Die Theatergruppe der Jüdischen Kultusgemeinde Heidelberg, die den Präventionspreis erhielt, zeigt das Musical „Anatevka“

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